90. Etappe

Von Sreser nach Brijesta

Oh Miesmuschel, als Filtrierer spielst Du eine wichtige Rolle für den Erhalt einer stabilen Wasserqualität. In aquatischen Ökosystemen bildest Du mit Deinen fleißigen, stummen Kollegen Muschelbänke und damit einen Lebensraum und Unterschlupf für zahlreiche weitere Arten wie Fische, Krebstiere und Würmer.

Mytilus edulis – darf ich Dich essen?

Ich bin Vegetarierin. Überzeugte! Seit ungefähr zehn Tagen. Da haben wir uns gegrilltes Lamm bestellt in der Konoba Tomic in Gornji Humac. Während ich lustlos an den Knochen nage, laufen putzige Lämmer in meinem Kopf Spalier. Laut blökend und mit kleinen Glöckchen am Hals klingelten sie durch die Olivenhaine, die unseren Weg säumten. Zu putzig. Die kann ich nicht essen. Das muss ja auch nicht sein. Robert findet das gut. Jetzt bekommt er die doppelte Portion und ich seine Pommes. Die isst er eh nicht gerne. Die machen angeblich dick. (Aber nur, wenn man sie quer runter würgt. Sonst machen sie schlank.)

Aber wie ist das mit der Miesmuschel? Sie kann mich nicht mit toten Augen anklagend anschauen und sie hat auch keinen Mund, der sich zum stummen, vorwurfsvollen Schrei verzerrt. Sie wird nicht gejagt, sondern geerntet und zwar von Muschelbauern und nicht von Muscheljägern. Die Muschel ist die Blume des Meeres. Beschließe ich und deshalb werde ich sie heute kosten. Zum ersten Mal.

Hier in Brijesta kommt man da auch nicht drum herum. Die Bucht von Mali Ston mit ihrem klaren Wasser und großen Muscheln- und Austernzuchtplätzen ist ein Natursonderreservat. Die Feinschmecker wissen schon lange von der reichen Auswahl an Meeresfrüchten, sowie von den Spitzenrotweinen der Halbinsel Peljesac.

Für uns ist das neu. Wir sind, wie üblich, nicht vorbereitet und stellen verwundert fest, dass hier statt der üblichen Freizeitboote in allen Klassen, Fischkutter die Mole säumen. Die hellweiße Auster bietet sich mit Zitronenscheiben garniert auf großen Tabletten zum sofortigen Verzehr an. Die schwarze Miesmuschel wird gewaschen und sortiert und in Kisten verpackt. Rege Geschäftigkeit.

Kurz nach eins trudeln wir hier ein. Der Weg zwar autofrei, aber unappetitlich schattenlos und irgendwie eintönig. Unerbittlich läuft der Schweiß. Nirgends ein Ort, an dem wir unsere Rucksäcke ablegen würden, um im Schatten zu verweilen.

Brijesta war einst ein beschauliches Fischerdorf in einer verwunschenen Bucht im Osten der Halbinsel, umgeben von grünen Hügeln. Man spürt noch den Geist und Wehmut macht sich in mir breit. Dann kam die Brücke.

555 Millionen Euro kostete das Projekt und 85 Prozent davon übernahm die Europäische Union. Mein Geld sozusagen. Es galt, den bosnische Korridor bei Neum zu überwinden. Der Transitverkehr musste innerhalb weniger Kilometer zwei EU-Aussengrenzen überwinden, mit Pass- und Zollkontrollen und allem Pipapo. Grund genug, diese Brücke zu schlagen. Millionen zu verschwenden und die Landschaft oberhalb von Brijesta tiefgehend zu zerstören. Alles was nach Dubrovnik will, alles was nach Montenegro und noch weiter südlich will. Alles wälzt sich nun über die Halbinsel. Tiefe Narben in den Bergen, Tunnel, Brücken, Lärm. Der Wahnsinn wurde feierlich am 28. Juli 2021 eröffnet. Mit einem großen Feuerwerk. Man hätte auch Bosnien in die EU aufnehmen können. Dann hätte man sich das alles sparen können. Aber so einfach geht das ja nicht. Nicht jeder darf so ohne weiteres in unserem Sandkasten spielen.

Am Eingang des U-Boot Tunnels waren wir baden. Diese Bauwerke gibt es hier überall. Im zweiten Weltkrieg wurden sie von deutschen Truppen in den Fels gehauen, zum Schutz der Unterseeboote. Hitlers Auge werden sie hier genannt. Gruselige Orte.

Zehn Mal springen wir ins Wasser. Kopfüber. Synchron. 3, 2, 1, Sprung - hinein ins blaue milde Wasser. Prustend und lachend tauchen wir auf, wischen uns das Salz aus den Augen. Noch ein tiefer Tauchzug zurück zur Treppe. Flink die Leiter wieder hoch und 3, 2, 1, Sprung. Ist das Reise oder sind wir im Urlaub?