Abgesang

Theaterstück in einem Akt, wie von Zauberhand aus der Feder geflossen.

 

Personen:

 

ein MANN. vorgerücktes Alter, rüstig

eine FRAU. im besten Alter, rüstig

 

vier Gestalten:

CHRONISTIN. eifrig, quirlig

KORREKTURLESER. akkurat, etwas angestaubt

ABSCHWEIFER. abgehoben

FOTOGRAF. verhuscht

 

ein KELLNER

 

CHOR DER SCHMEICHLER.  setzt sich zusammen aus der treuen Mitleserschaft, die uns bestärkt und moralisch unterstützt hat.

 

Szene: Taverne in Pyrgos, quadratische Tische mit blau-weiß karierten Tischdecken, Holzstühle mit Bastgeflecht, auf einem Flachbildschirm flimmern unbeachtet Werbung und Sportnews. Gigantische Aussicht auf Berge und Meer. Ein Kellner lümmelt in der Ecke, wenige Fliegen surren in der Mittagshitze. Hund und Katze schielen ohne Hoffnung auf Brosamen zu den vier einzigen Gästen, die in lebhaftes Gespräch vertieft sind. In der Mitte ihres Tisches steht eine Flasche Retsina samt Gläser.

 

Der Vorhang öffnet sich

 

CHRONISTIN. Die Reise ist nun zu Ende. Zeit die Gläser zu erheben. AUF MICH!

Beifallheischend schaut sie in die Runde

CHRONISTIN. Täglich habe ich fleißig wie ein Bienchen gearbeitet. Berichtet und erklärt und informiert. Das war nicht immer leicht. Manchmal war ich müde und ideenlos, bin aber stets drangeblieben. Also: Yamas! sag ich und hoch die Gläser!

 

CHOR DER SCHMEICHLER. ♫ Unserer Chronistin, das ist fein, fällt immer wieder etwas ein. ♫

 

KORREKTURLESER. Augenblick mal, so einfach geht das nicht! Auch ich habe meinen Anteil am Werk. Ich habe mich bemüht, Deine goldigen Sätze zu polieren und manchmal war das gar nicht so einfach. Meine Schicht begann, wenn Deine zu Ende war. Und das war mitunter spät. Ich denke schon, dass der ein oder andere Tropfen auch auf mein Wohl getrunken werden sollte. Also Yamas! und wech das Zeug.

 

CHOR DER SCHMEICHLER. ♫ Du göttlicher Korrektor, du all unser Glück, bleib du stets am Ball und tritt nie zurück! ♫

 

Er schickt sich an zu trinken

 

ABSCHWEIFER. Nun sagt mal, findet Ihr nicht, dass ich einen entscheidenden Beitrag zum Gesamtwerk geleistet habe? Meine Abschweifungen hatten Hand und Fuß. Na gut, es waren nur 23 an der Zahl, aber so schlecht waren die doch auch nicht? Auch auf mein Spezielles sollte ein Schlock genossen werden. Yamas! sage ich da. Nun endlich rein damit, ehe das Gesöff warm wird.

 

CHOR DER SCHMEICHLER. ♫ Wir folgen dir, du großer Held, durch die ganze weite Welt! ♫

 

Schüchtern hebt der Fotograf den Finger

 

FOTOGRAF. Und ich? Und ich? Ihr wisst wahrscheinlich gar nicht, wie kompliziert meine Aufgabe eigentlich ist. Jeden Tag ein markantes Foto im Querformat. Vielleicht war ich nicht immer gut, aber geliefert habe ich und ich denke, auch auf mich sollte man ein kleines Stößchen machen. Yamas!

 

CHOR DER SCHMEICHLER. ♫ Das ist nicht die Sonne, die aufgeht im Meer - es ist unser Fotograf so stolz und so hehr! ♫

 

Die Vier lassen die Gläser klirren.

Mann und Frau betreten die Taverne. Er mit rotem Stirnband á la Keith Richards, sie mit Wuschelkopf und Strohhut. Sie stellen schnaufend ihre Rucksäcke in die Ecke. Wischen den Schweiß von der Stirn. Sichtbar erschöpft nehmen sie Platz und geben dem Kellner ein Zeichen.

 

MANN. Huhni, jüngere Menschen würden jetzt so dämlich abklatschen. Du weißt schon, wie heutzutage im Sport. Sauber hinbekommen, ca. 3000 km gelatscht und punktgenau gelandet. Holla die Waldfee! Und nun „Mia megalo Bira oder Vino, Hauptsache pronto avanti oder von mir aus auch schnell.

FRAU. Hähnchen, mach langsam, siga siga (immer mit der Ruhe). Hier in Griechenland geht es nicht schnell. Hast Du das immer noch nicht begriffen? Außerdem haben wir nun überhaupt keine Eile mehr. Wir sind am Ziel.

 

CHOR DER SCHMEICHLER. ♫ O glückliches Paar, o Reise voll Glanz! Welch herrlicher Tag die Sach´ ist nun Ganz! ♫

 

Der Kellner nährt sich dem Tisch, breitet die übliche Papiertischdecke aus. Befestigt sie umständlich mit Klammern.

 

KELLNER. What would you like to drink?

MANN. Mia megalo bira parakallo (griechisch - ein großes Bier bitte)

KELLNER. I'm sorry, what?

Der Mann gibt resigniert auf.

MANN. One beer please.

FRAU. Tha ithela ena portieri grase paragalo (Ich hätte gerne ein Glas Wein)

KELLNER. Ena portirie grase. Bitte sehr.

FRAU. Siehste, alter Sachse, mich hat er verstanden.

Der Kellner hält einen Moment inne

KELLNER. Where are you from?

MANN. From Germany

KELLNER. Ah. Ich haben gearbeitet in Wuppertal fünf Jahre. Von wo kommt ihr?

FRAU. Zwischen Hamburg und Berlin liegt Schwerin. An sieben Seen und die Ostsee ist nicht weit.

KELLNER. Wo habt Ihr geparkt? Ich sehe Euer Auto nicht.

Mann und Frau aus einem Mund

MANN/FRAU. Wir haben kein Auto. Wir sind hierher gelaufen!

KELLNER. Unten vom Meer?

FRAU. Nein. Von Schwerin!

 

CHOR DER SCHMEICHLER. ♫ Sie sind die Größten, die Schönsten, als Star geboren und alle sagen: Man ham` dies dick hintern Ohren .“ ♫

 

Dem Kellner verschlägt es die Sprache. Er verlässt den Tisch. Nach drei Schritten dreht er um, geht zurück

 

KELLNER. Zu Fuß realy? Könnt Ihr Euch kein Auto leisten?

 

Kopfschüttelnd verschwindet er in seiner Küche.

Das Gespräch erregte die Aufmerksamkeit am Nachbartisch. Die vier Gestalten schauen verstohlen über die Schulter. Tuscheln.

 

FRAU. So richtig fassen kann ich das noch gar nicht. Da sind wir taggenau vor einem halben Jahr losgezogen. Wir hatten unseren großen Plan. Wir wollten ein halbes Jahr jeden Tag 15 km gehen immer nach Süden, nach Pyrgos. Wir hatten keinerlei Vorstellung wie sich die Reise gestalten würde. Wieviel Kilometer vor uns genau liegen, ob wir Quartier finden und wie weit wir mit dieser Idee in einem halben Jahr überhaupt kommen würden. Wir haben nichts forsiert und nicht gebummelt. Und machen auf eine Distanz von 3000 Kilometern und 6 Monaten eine Punktlandung. Hähni, das ist gespenstisch.

 

Zustimmend nickt der Mann und kratzt sich versonnen am Bart.

 

MANN. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß wir nur freundliche Menschen kennenlernen würden und nie ernsthaft in Gefahr gerieten. Nicht mal im Ansatz. Nicht mal bescheißen wollte man uns oder irgendetwas aufschwatzen, zum Beispiel ein mehrbändiges Lexikon. Keine Diebe, keine Räuber, keine pöbelnden Trunkenbolde. Ich hatte mir das alles viel gefährlicher vorgestellt, zumal Montenegro und Albanien als das Armenhaus Europas gelten. Und gerade da ging man äußerts zuvorkommend und großzügig mit uns um.

 

Der Kellner bringt die Getränke und stellt sie auf dem Tisch.

 

KELLNER. Zu Fuß? Wirklich?

MANN. Zu Fuß!

 

Der Kellner tritt ab.

 

FRAU. Ich bin absolut erstaunt darüber, dass wir alles rein körperlich so gut verkraftet haben. Ich muss jetzt nicht kokettieren, aber so jung und kräftig sind wir nicht mehr. Die Knie, der Rücken, die Hüfte, die Füße ... alles lief wie am Schnürchen.

MANN. Moment mal. Zweimal hatten wir es mit dem Magen. Und jeder hatte auch mal mit Rückenschmerzen zu kämpfen.

FRAU. Hähni, das ist Männerschnupfen. Das war doch gar nicht schlimm. Und nichts, was uns tagelang am Weiterziehen hinderte.

MANN. Männerschnupfen! Männerschnupfen? Was soll das denn nun schon wieder heißen.

 

Mann trinkt sein geeistes Bierglas in einem einzigen großen Schluck leer. Knallt den Bempel auf den Tisch, rülpst dezent.

 

MANN. Ich habe seit langem mal wieder das Gefühl, mein Geld in eine richtig gute Sache gesteckt zu haben.

FRAU. In Bier?

MANN. Nein Huhni. In unsere Reise.

 

CHOR DER SCHMEICHLER. ♫ Immer nur Glück hienieden war Euch o Reisenden, beschieden! ♫

 

Der Mann winkt dem Kellner mit seiner Geldbörse.

 

FRAU. Hähni, Momen noch! Eine letzte Frage muss ich noch loswerden.

MANN. Was denn nun noch? Ich will los. Rucksack auspacken. Beine hochlegen.

FRAU. Hähni, hab ich Dich in den letzten sechs Monaten oft genervt?

MANN. Oh Nein, Hühnchen, nicht die Bohne.

 

Die Nase des Mannes wächst in die Länge. Bereits gesehen bei Pinocchio.

Der Kellner tritt auf. Geld wechselt den Besitzer. Mann und Frau schultern ihre Rucksäcke. Bereits an der Tür ruft ihnen der Kellner zu:

 

KELLNER. Zu Fuß? Aus Schwerin?

 

Das Paar nickt fröhlich. Die Tür fällt hinter ihnen ins Schloß.

 

CHRONISTIN. Sagt mal, waren die das?

KORREKTURLESER. Klar, haste nicht gehört. Dieses Hahni und Huhni Gedöns.

ABSCHWEIFER. Und aus Schwerin sind sie gekommen. Das müssen die sein.

FOTOGRAF. Ich hab den Alten gleich erkannt mit seinem bekloppten roten Stirnband.

CHRONISTIN. Und offensichtlich ist die Reise tatsächlich zu Ende. Habt Ihr doch auch gehört, oder?

Ohne auf Antwort zu warten, fährt sie fort.

CHRONISTIN. Sagt mal Jungs, habe ich Euch in den letzten sechs Monaten oft genervt?

KORREKTURLESER. Na jetzt, wo die Reise zu Ende ist, kann ich es Dir ja endlich sagen: Dieses Huhni, Hähni, Hähnchen, Hühnigeseier ging mir schon immer auf den Senkel. Das war ja Schlimmer als Bärchen, Mausikatzi oder Schatzi. Kaum auszuhalten.

CHRONISTIN. Na dann erzähle ich Dir mal was. Wie ich nachts oft gesessen und noch Deine „angebliche“ Korrektur korrigiert habe. Mit Deinem staubtrockenem Pragmatismus hast Du meine Sätze entzaubert und ihr jegliche Melodie genommen. Abgesehen davon bist Du in Rechtschreibung und Grammatik eine Niete. Da hat ja jeder Fünftklässler mehr auf dem Füller.

 

CHOR DER SCHMEICHLER. ♫ Armer Korrektor, welchen Schaden hat dir die Chronistin aufgeladen! ♫

 

Der Abschweifer wendet sich an die Chronistin

 

ABSCHWEIFER. Das ewige Kopieren aus der Wikipedia hat schon manchem Schreiberling seinen Doktortitel gekostet. Glücklicherweise hast Du keinen. Sonst wäre er jetzt futsch.

CHRONISTIN. Das erzählst Du mir? Der Titel „Kleine Robertsche Abschweifung“ ist geklaut.

ABSCHWEIFER. Nö!

CHRONISTIN. Wohl. Bei Walter Moers.

ABSCHWEIFER. kleinlaut Is nich wahr!

CHRONISTIN. Aber sicher. Bei Moers hieß es Mythenmetzsche Abschweifung und war ein Stilmittel, um ungestraft über andere herziehen zu können. Dieses Plagiat sollte man Dir um die Ohren schlagen. Robertsche Abschweifung, da kann ich ja nur schrill kichern.

FOTOGRAF. Leute, mal ehrlich, ich find Euch so richtig blöde. Ihr macht Euch wichtig, verbreitet Halbwissen, säuselt philosophischen Schwachsinn und haltet Euch für die Allergrößten. Sogar mit dem Gedanken, ein Buch aus diesem Stuss zu machen, spielt ihr. Das interessiert doch keine Sau. Es gibt genügend mittelmäßige Bücher auf der Welt.

 

CHOR DER SCHMEICHLER. ♫ Ein Buch, ein Buch. Ein Hoch auf das Buch. Man will Euch nicht missen. Die Welt muss es wissen. ♫

Die Hand des Korrektors schnellt nach vorn und packt am Schlawittchen.

 

KORREKTURLESER. Du bist mal ganz still, Du lausiger Händieknipser. Jeder Fotograf der etwas auf sich hält, hat heutzutage eine Drohne dabei.

CHRONISTIN. Die wirklich interessanten Bilder hast Du uns vorenthalten. Zum Beispiel runzelige, vom Leben gezeichnete alte Bauerngesichter mit entwaffnendem zahnlosen Grinsen. Oder knackige Kerls in einer Tunika. Das hast Du Dich ja nicht zu fotografieren getraut. Statt dessen blöde Esel und ewige Landschaft.

ABSCHWEIFER. Mindestens zehn Sonnenuntergänge – wie aufregend! Und nicht mal einen Sonnenaufgang hast Du vor die Linse bekommen. Da lagst Du ja noch schnarchend im Bett.

 

CHOR DER SCHMEICHLER. ♫ Noch nie, noch nie gab es soviel Harmonie! ♫

 

CHRONISTIN. Jungs, lasst uns mal wieder auf den Teppich kommen, jetzt wo wir uns die Meinung gegeigt haben

 

Der Korrekturleser lässt ab vom Fotografen, beide plumpsen zurück auf ihre Stühle.

 

CHRONISTIN. Haben wir uns eigentlich schon mal überlegt, was das Ende dieser Reise für uns bedeutet?

 

Betretenes Schweigen macht sich breit.

 

CHRONISTIN. Worüber soll ich nun berichten?

KORREKTURLESER. Was soll ich korrigieren?

ABSCHWEIFER. Wovon soll ich jetzt Abschweifen?

FOTOGRAF. Als Fotograf einer beendeten Reise bin ich völlig überflüssig. So wie wir alle.

CHRONISTIN. Die beiden Halunken, die sich Reisende nennen, haben uns zu Beginn ihres Spazierganges aus einer ihrer unzähligen ausgetrunkenen Weinflaschen gezaubert - und nun lassen sie uns hängen.

KORREKTURLESER. Vielleicht sollten wir dahin gehen, woher wir gekommen sind.

 

Die Gestalten schauen sich bedeutungsvoll an. Nicken sich zu. Ihre Umrisse verlieren an Klarheit. Schmelzen zusammen zu einer kleinen Rauchsäule (man kennt das aus diversen orientalischen Märchen) und nacheinander verschwinden sie in der auf dem Tisch stehenden Retsina-Flasche.

Der Kellner, der verwundert das Geschehen beobachtete, tritt an den Tisch, verschließt die Flasche. Er eilt zum Fenster.

 

KELLNER. Hehe Fußgänger. Wollt ihr die Zechpreller mitnehmen? Als Andenken?

 

Mann und Frau schauen sich an und schütteln mit den Köpfen.

 

FRAU. Nein danke, die brauchen wir nicht mehr. Sie haben ihre Schuldigkeit getan. Ihre Aufgabe ist erfüllt.

MANN. Die Zeche dieser Typen übernehmen wir. Wir kommen jetzt öfter, also spätestens morgen.

 

CHOR DER SCHMEICHLER. ♫ Wo gab's jemals solch ein Paar, das so gut war und so klar, das so klar war und so gut und darum nur Gutes tut! ♫

 

Der Vorhang fällt.