Von Pyrgos über Olympia nach Krestena
„Hähni, jetzt, wo wir hier in Olympia gestrandet sind, müssen wir uns die Sache mal genauer anschauen.“ agitiere ich meinen Begleiter.
„Huhni! Wir hassen Sport. Zumindest den kommerziellen Leistungssport“, sträubt sich der
Ex-Vize-DDR Meister im Ringen, der zufälligerweise auch mein Ehemann ist.
„Hähni, dieser Ort ist die Wiege der Olympischen Spiele. Da kommen wir nicht drumherum.
Da ist zum einen das Großereignis der Antike, welches seinen Ursprung 2000 Jahre vor Christus hatte. Der ganze Spaß endete im Jahr 393. Da wurden nämlich alle heidnischen Zeremonien, darunter auch die Olympischen Spiele, vom römischen Kaiser Theodosius verboten.
Zum anderen sind da die Olympischen Spiele der Neuzeit, welche erstmals 1894 als Wiederbegründung der antiken Festspiele in Olympia auf Anregung von Pierre de Coubertin beschlossen wurden. Als „Treffen der Jugend der Welt“ sollten sie dem sportlichen Vergleich und der Völkerverständigung dienen,
Wie viel hat die "Olympiade" der Antike mit den Spielen, wie wir sie heute kennen zu tun?
Beginnen wir mal mit den Unterschieden. Die sind nämlich weitaus größer als die Gemeinsamkeiten.
Da wäre zunächst die Intention.
In einem Bergdörfchen auf dem nordwestlichen Peloponnes errichtete man im 11. Jahrhundert vor Christus ein Heiligtum, welches niemand Geringerem, als Zeus höchstpersönlich gewidmet war. Man taufte es auf den Namen Olympia. Was sonst?
Die darauf folgenden regelmäßigen Zusammentreffen an diesem Ort hatten viele Facetten. Sie waren keine „Sportveranstaltung“ in unserem heutigen Sinne, sondern ein religiöses Fest zu Ehren des Göttervaters. Neben den sportlichen Wettkämpfen fanden Weihehandlungen statt und musische Wettbewerbe. Bei den olympischen Spielen der Neuzeit höre ich wenig Musik. Abgesehen von den mal mehr oder weniger phantasievollen Nationalhymnen, welche bei den Siegerehrung abgespielt werden. Dabei kriecht die Kamera dann förmlich in das Gesicht des Athleten und wir dürfen live mitverfolgen, wie sich die Siegesträne ihren Weg über das von Anstrengung und Druck verzerrte Gesicht des Siegers bahnt. 1. 2. 3. Platz. Gold Silber Bronze gehen an …
Nicht so im antiken Griechenland. Hier wurden keine Zeiten gemessen und auch keine Entfernungen. Es zählte einzig und allein Erster zu sein. Alle anderen waren Verlierer und taten gut daran, sich auf Schleichwegen in ihr Heimatdorf zu begeben, um Hohn und Spott zu entgehen.
Ein gewaltiger Unterschied ist weiterhin das Ausmaß der Festivität. Zu Spitzenzeiten dauerte die Veranstaltung fünf Tage. Die Athleten, ausschließlich Griechen, maßen ihre Kräfte in 18 verschiedenen Disziplinen. Leichtathletik, Schwerathletik, Pentathlon und Reiten.
Im Vergleich dazu: Die Sommerspiele 2008 in Peking dauerten 16 Tage und über 11.000 Athleten aus 204 „Nationen“ nahmen daran teil. Die Zahl der olympischen Sportarten ist auf 41 gestiegen. Auch Skateboarder und Kletterer mischen jetzt mit. An dieser Stelle sei angemerkt, dass man vor zehn Jahren ernsthaft in Erwägung zog, das Ringen aus dem olympischen Verkehr zu ziehen. Zu lahm, zu langweilig, nicht telegen genug. Das bewiesen die Zuschauerzahlen. Daraus ist zum Glück nichts geworden. Man hätte ja die Mutter aller olympischen Sportarten abgeschafft.
Schauen wir weiter. Die antiken Spiele waren aus heutiger Sicht außerordentlich brutal. Jeder Teilnehmer in den klassischen Kampfsportarten musste auch mit dem Tod rechnen. Und teilweise wurden Kämpfer für ihr Durchhalten zum Sieger erklärt, nachdem ihr Tod im Kampf festgestellt worden war.
Dass einer der Athleten heutzutage beim Ausüben seines Sportes (Berufes) ums Leben kommt, ist unwahrscheinlich. Es sei denn, er fällt tot vom Rennrad, weil sein gebeuteltes Herz nach jahrzehntelangem Doping schlapp gemacht hat.
Den nun folgenden Unterschied finde ich besonders pikant.
Das Bekleidungsverbot in den gymnischen Wettbewerben.
Die gymnischen Wettbewerbe umfassen diejenigen Sportarten der Antike, bei denen die Athleten nackt antraten. Dies waren Leicht- und Schwerathletik einschließlich Fünfkampf. Ab den 95. Olympischen Spielen wurde diese Anordnung auch auf die Trainer ausgeweitet.
Wenn ich das lese, beginnt sofort das Kopfkino. Da stelle ich mir Roland Matthes ohne Badehose vor oder Karin Balzer bei Olympia 64 auf dem Weg zum Sieg über 100m Hürden. Nackt. Oder wie wäre es mit Jutta Müller? 1984 bei den olympischen Winterspielen in Sarajevo steht sie an der Bande und feuert ihr Produkt an. Ihre Kati Witt. Und zwar so, wie Gott sie schuf.
Einen letzten Unterschied muss ich noch erwähnen. Heute kann jeder Zuschauer bei der Olympiade dabei sein. Absolut jeder. Jedenfalls wenn er einen Fernseher hat, GEZ bezahlt oder sich die Anreise und die Eintrittskarten in das Stadion leisten kann.
In der griechischen Antike war es nur freien Bürgern und unverheirateten Frauen gestattet, den Spielen beizuwohnen. Verheirateten Frauen und natürlich Unfreien Bürgern drohte die Todesstrafe bei Zuwiderhandlung. Na da werde doch einer mal schlau draus.
Und die Gemeinsamkeiten?
Die Zählung nach Olympiaden war ein Zeitmaß im gesamten antiken Griechenland. „Olympiade“ ist somit – entgegen einem heute weit verbreiteten Irrtum – nicht synonym mit „Olympische Spiele“, sondern bezeichnet den Zeitraum von vier Jahren, der mit den Spielen beginnt. Daran halten sich die Olympiaplaner bis heute.
Der Profisport. Übel, Übel.
Früher in der DDR wollte man uns weismachen, dass unsere Athleten ihre Medaille für unser kleines Land so nebenbei und im Ehrenamt holten. Alle hatten auf dem Papier eine Berufsausbildung oder ein Studium absolviert und einen Vertrag im VEB Kombinat „Schlag mich tot“ unterschrieben. Als Junger Pionier habe ich das noch geglaubt, später hat es mich nicht interessiert und heute frage ich mich, wie blöd konnte ich damals sein.
Auch im alten Griechenland waren überwiegend Berufssportler am Start. Aus begüterten Verhältnissen, die sich die langen Trainingszeiten auch finanziell leisten konnten.
Naja, und dann noch der große Gedanke der Völkerverständigung. Die Idee, dass Austragen von Konflikten, das sich Messen und Vergleichen müssen, das zwanghaft Gewinnen wollen, der Drang sich über andere zu stellen, in geordnete und friedliche Bahnen zu lenken. Statt uns mit Waffen zu bekämpfen, sollen wir uns in sportlichen Wettkämpfen austoben.
Viel scheint mir das nicht zu helfen, wenn ich mir den Weltenlauf ansehe. Und seien wir doch mal ehrlich. Profisport ist doch auch nur ein Geschäft.