146. Etappe

Von Marathia nach Pyrgos

Heute sind wir in Pyrgos angekommen. Nein, natürlich nicht in unserem Pyrgos, davon trennen uns noch 180 km. Griechenland ist voll von Pyrgossen. Allein drei kenne ich auf dem Peloponnes.

Pyrgos heißt übersetzt so viel wie Burg oder Turm. Und diese Bezeichnung ist fast ein Allgemeinplatz. Auch in Deutschland gibt es sie. Regensburg, Aschaffenburg, Magdeburg, Hamburg, Burgstädt oder einfach nur Burg. In Burg hatten wir Station gemacht. Da habe ich mit unserem Kocher einen Brand entfacht und der Versuch diesen zu löschen, bescherte Robert ein großes Loch in der Strickjacke. Das trug er stolz die nächsten 400 km. In Frauenau war der Spuk vorbei. Da habe ich ihm eine neue verpasst.

Unser heutiges Pyrgos ist ein hübsches Städtchen. Etwa 35.000 Menschen leben hier. Tourismus spielt eine untergeordnete Rolle. Das merken wir sofort an den Preisen.

Für den gemeinen Touristen ist der Ort weitestgehend uninteressant. Die schicken Strände 15 bis 20 km entfernt. Die große antike Kultstätte Olympia ebenso. In Pyrgos hält die kleine Eisenbahn nur kurz, welche Kreuzfahrtgäste aus dem Hafen von Katakolon nach Olympia bugsiert und am Abend wieder zurück. Pünktlich zum Captain Dinner, natürlich im perfekten Dresscode.

Uns gefällt es hier. Moderne, helle zwei und dreistöckige Gebäude mit großen Fenstern und ausladenden Markisen säumen die Straßen. Der Verkehr brummt, Menschen gehen ihrem Tagesgeschäft nach. Die Fußgängerzone blitzt. Bänke stehen einladend im Schatten großer Bäume, Brunnen spenden kühles Wasser. Hier hat niemand Eile. Das Leben läuft geruhsam.

Die letzten neun Kilometer sind wir entlang der Nationalstraße durch ein gigantisches Einkaufszentrum gelaufen. Möbelhäuser, Baumärkte, Lebensmittelgroßhandel, Gartenmärkte, Elektronikfachgeschäfte in der Dimension Mediamarkt hoch zehn. Wer kauft hier ein? Wer konsumiert? War da nicht mal etwas mit einer Finanzkrise?

Ja, die gab es und streng genommen hält sie bis heute an. Im Jahr 2008 platzte die Blase, stürzte das Luftschloss in sich zusammen. Europa hielt den Atem an.

Und die Geschichte geht so ...

Im Januar 2001 trat Griechenland der Eurozone bei. Und schon hier begann das krumme Geschäft. Die Einführung des Euro hatte vor allem den Vorteil, dass der Staat sich zu günstigen Konditionen Geld auf den internationalen Finanzmärkten leihen und gleichzeitig die Rückzahlung ihrer Auslandsschulden aufschieben konnte.

Zwischen 2000 und 2007 entwickelte sich Griechenland durch den massiven Zufluss ausländischen Kapitals und durch die Ermunterung der Privathaushalte zur Kreditaufnahme zu einer der dynamischsten Volkswirtschaften der Eurozone. Vor allem beruhte aber das Wachstum auf öffentlichen und privaten Schulden und die Verschuldung nahm durch korrupte Politiker der konservativen und der sozialistischen Parteien, die seit 1974 die Regierung bildeten, immer weiter zu.

So erwarb man zwischen 1992 und 2008, im Wettrüsten mit der Türkei, Rüstungsgüter in Deutschland, Frankreich und der USA. Mehrere Untersuchungen ergaben, das deutsche Industriekonzerne, darunter Siemens, Schmiergeld an griechische Politiker gezahlt hatten, um öffentliche Aufträge zu erhalten. Als die Verschuldung immer größer wurde, verschleierte die Regierung bewusst ihr Ausmaß. Bereits um den Euro einführen zu dürfen, frisierte die sozialistische Regierung mit Hilfe der US Bank Goldman & Sachs, dem mächtigen und berüchtigten amerikanischen Geldinstitut, die Statistiken. So wurde das Haushaltsdefizit künstlich halbiert. Unter den von 2004 bis 2009 regierenden Konservativen betrug es sogar nur ein Drittel seines tatsächlichen Wertes.

Aber im Oktober 2009 machten die Sozialisten nach ihrem Wahlsieg das wahre Ausmaß des Defizits bekannt. Es betrug 300 Milliarden Euro, in einer Zeit, in der die ganze Welt unter den Auswirkungen der Wirtschaftskrise von 2008 litt. Das Land war pleite. Was passiert normalerweise, wenn ein Land nicht mehr in der Lage ist, seine Schulden zu bezahlen? Es verkündet den Staatsbankrott. Geld wird gedruckt, die Inflation galoppiert. Und wie soll das bitte gehen, wenn die Währung nicht mehr die Drachme, sondern der Euro ist und ein Großteil Europas damit hantiert? Und was passiert, wenn die Kreditgeber, die Banken, einen großen Teil ihres Geldes verlieren? Dann gäbe es eine Bankenkrise. Und die Auswirkungen auf die Weltwirtschaft wären unabsehbar. Griechenland musste geholfen werden. Da ging es nicht um guten Willen, das war alternativlos.

Ab 2010 verlangten die EU–Kommission, die europäische Zentralbank und der internationale Währungsfonds, die sogenannte Troika, von Griechenland einschneidende Sparmaßnahmen und die reichte man bis ganz nach unten durch. Gehälter im öffentlichem Dienst wurden gekürzt. Die Rente sank von durchschnittlich 1200 auf 750 Euro, Erstattungen der Krankenkassen wurden gedrosselt, Bildung und Kultur wurden zusammen gestrichen und die Steuern wurden erhöht. Die Arbeitslosenquote schnellte in die Höhe und die Selbstmordrate gleich mit. An denen, welche den Mist verbockt hatten, ging dieser Kelch vorüber. Im Austausch dazu sollten Kredite gewährt werden. Ab 2011 verordnete man Griechenland drei Rettungsschirme in Höhe von 289 Milliarden Dollar. Letzten Endes um den Euro zu schützen und die Banken zu retten. Im August des Jahres 2022 durfte das Land offiziell den verstärkten Überwachungsrahmen verlassen. Aber auch wenn sich die Wirtschaft langsam erholt, hat die Sparpolitik die soziale Ungleichheit verstärkt und zu einem erheblichen Anstieg der Armut geführt.

Soweit die Theorie. Ich muss wissen, welche Auswirkungen das auf die Menschen auf der Straße hat.

 „Hähni, es ist jetzt 21:30 Uhr. Lass uns nochmal vor die Tür gehen, in die Stadt. Es ist noch warm, wir können ein Glas Wein trinken“. Ich möchte noch wenigstens einen Menschen dazu befragen.

Es ist eine schöne Nacht. Hand in Hand schlendern wir durch die Fußgängerzone. Was hier los ist. Geh mal um diese Zeit in die Schweriner Mecklenburgstraße. Da liegt der tote Hund begraben. Hier hingegen ist Kind und Kegel auf den Beinen. Die Menschen sitzen in

den Cafés und auf den Bänken. Das Gesumme von hunderten Stimmen, hohen, tiefen, leisen, lauten liegt in der Luft. Gläser klingen und Geschirr klappert. Nichts erinnert an Armut oder Krise. Wir nehmen Platz in einer kleinen Bar. Der Besitzer bedient uns persönlich, lässt sich, nachdem er uns versorgt hat, auf einem Sofa in unserer Nähe nieder. Er spricht englisch. Meine Chance. Ich frage ihn, wie es ihm ergangen ist, im Sturm der Krise. Er redet viel, redet schnell und undeutlich. Trotzdem erkenne ich den Tenor. „Es ist nicht unsere Krise. Wir“ - und er zeigt auf die Menschen um uns herum, „wir haben damit nichts zu tun. Das machen die Banken und die Politik. Darauf haben wir keinen Einfluss. Nicht einmal durch Wahlen in einer Demokratie“.