145. Etappe

Von Dimitra nach Marathia

„Robert, lass mich da mal ran. Du kannst das eh nicht gut“, fahre ich meinen Ehemann an, der noch ganz verschlafen vor der Küchenzeile rumtappst und die fettigen Teller von gestern Abend unter fließend kaltem Wasser abspült. Er glaubt ernsthaft, die wären danach sauber und er besonders energiesparend oder umweltfreundlich am Werk, so ganz ohne Fit und heißes Wasser.

Burschikos schiebe ich ihn beiseite. Übernehme die Regie. Kopfschüttelnd überlässt er mir das Pflaster. Er hat resigniert vor meinen Ansprüchen. Die sind hoch.

Jeden Morgen starte ich eine mittelprächtige Putzorgie. Spüle Geschirr, wienere Arbeitsflächen, poliere Wasserflecken aus Waschbecken und von Wasserhähnen, inspiziere die Toilettenschüssel und auch die Unterseite der Klobrille. Kehre aus, insofern ein Besen vorhanden ist und entsorge den Müll. Aller oberstes Gebot ist: So sauber, so rein, als wären wir nie hier gewesen. Allein das zerknitterte Bettlaken und die zwei kleinen !!! benutzten Handtücher auf dem Fußboden des Bades zeugen von unserer Anwesenheit. Auf dem Bett ein sorgfältig gestapelter Haufen mit den Dingen, die wir nicht benutzt haben. XXL Badetücher, Überbetten, Paradekissen, Badvorleger.

Darüber hinaus pflege ich sorgfältig Kontakt mit den Vermietern. Wenn wir schon über derart anonyme Plattformen unsere Quartiere buchen, dann muss es doppelt menscheln. Nach der Buchung erhält jeder von mir eine Nachricht, in der ich über unsere Ankunftszeit informiere, ein kleines persönliches Detail einfüge, meiner Freude auf die Unterkunft Ausdruck verleihe und beste Grüße und einen schönen Tag wünsche. Bekommen wir den Vermieter nicht zu Gesicht, weil der Schlüssel entweder im Schlüsselkasten, oder im Fensterbrett oder unter dem Türvorleger (der Klassiker) liegt, dann verkünde ich unsere Ankunft … sind gut angekommen, haben alles gut gefunden, es gefällt uns sehr gut hier … so in etwa klingt das. Und nach der Abreise schreibe ich, dass der Schlüssel wieder an seinem Platz liegt, alle elektrischen Geräte ausgeschaltet sind und der Müll entsorgt. Das alles immer gleich zweimal. Auf englisch (da kann ich überprüfen, was ich geschrieben habe) und in der jeweiligen Landessprache (da kann ich nur hoffen, dass da am Ende nichts Unanständiges steht) und das alles, dank dem Googleübersetzer. Werde ich dann in den nächsten Tagen von den Buchungsplattformen aufgefordert die Unterkunft zu bewerten, bekommen sie 8, 9 oder 10 (von 10 möglichen Punkten) und noch eine verbale Begründung. Was hat mir besonders gut gefallen.

Außer die Ekelbude in Triest. Da sage ich lieber nichts dazu.

Das ganze Prozedere ist mir ein Bedürfnis und kostet mich vielleicht eine halbe Stunde am Tag. Erstaunlicherweise scheint das nicht die Normalität zu sein. Es hagelt allerbeste Bewertungen (ja, auch die Vermieter können die Mieter bewerten) und mitunter eine Liebeserklärung: „Danke für Deinen Respekt, ich schätze und liebe Dich sehr.“ so übersetzt zumindest der Übersetzer die Nachricht von Vasiliki aus Dimitra. Vasiliki haben wir nie gesehen.

Hier in Griechenland und wahrscheinlich auf dem ganzen Balkan hat gestern wieder die Schule begonnen. Aus einem langgestreckten Flachbau mit großen, buntbeklebten Fenstern dringt fröhliches Gelärm. Kleine Kinder, mit viel zu großen Schulranzen strömen durch die Pforte eines gelb, blau gestrichenen Zaunes. Werden in Autos verladen, spazieren plaudernd an der Hand ihrer Großmutter zum Mittagessen nach Hause. Eine Dame mit gelber Warnweste leitet den Verkehr zum Schutz der Kleinen. Auf dem Bürgersteig dahinter schlurft ein Trupp Halbwüchsiger vorbei. Sie verschwinden im Kiosk um die Ecke. Tauchen wieder auf, mit einer Dose Cola in der Hand und einer Tüte Kartoffelchips unter dem Arm. Leute, Leute gesunde Ernährung sieht anders aus. Ehrlich.

Ein langer, heißer Sommer liegt hinter ihnen und das neue Schuljahr wie ein unbeschriebenes Blatt vor ihnen. Hoffnung durchzieht die Luft, aber auch Besorgnis. Werde ich Freunde finden in der neuen Klasse? Kann ich meine Note in Mathe verbessern? Schaffe ich es dieses Jahr endlich mal nicht so viele Hausaufgaben zu vergessen. Das Abitur liegt vor mir. Und die Heftführung! Jetzt sind alle Hefter neu, ich habe Rand gezogen. Dieses Jahr wird es gut.

Im Vorbeigehen schaue ich in die Gesichter der jungen Menschen. In die kleinen runden der Kinder. In die kantigen, mit einem zarten Flaum überzogenen der größeren Jungen, in die grell geschminkten der jungen Mädchen.

Das Prinzip Schule ist überall gleich in Europa. Das Prinzip Kind ist überall gleich auf der Welt.