144. Etappe

Von Poros nach Dimitra

Na, das war doch ein Klacks! Mäßig erschöpft sitzen wir im Hafenörtchen Poros, blicken zufrieden über grünblaues Wasser. Die Wellen tragen heute weiße Krönchen.

24 Kilometer liegen hinter uns. Die ersten 12 davon stapfen wir schweigend 500 Meter bergauf. Wir erreichen den Pass, da ist die Sonne nicht mal über den Berg. Geschwitzt haben wir noch keinen Tropfen. Nichts ist schwer oder kompliziert heute. Die nächsten 12 km geht es bergab. Meer in Sicht. Die Straße kaum befahren, wir können nebeneinander gehen. Ich vertreibe uns die Zeit. Zähle alle 143 Etappen unserer Reise auf und versorge meinen vergesslichen Reisegefährten so lange mit markanten Details, bis der sich erinnert: „Genau! Horšovský Týn, da stand eine Badewanne mitten in unserem Zimmer“ oder „Aahhh Gradac, der letzte Macho der Adria. Ich erinnnere mich“ oder „Ja, Sarande, da sind wir Traktor gefahren und Dir tat danach der Hintern weh“. Pling, Pling, Pling macht es an meiner Seite und die Groschen fallen. Ganze zehn Kilometer halte ich unsere Geister in Schach. Erzähle die ganze wunderbare Geschichte unserer Reise. Im Gestern versunken merken wir gar nicht, wie die Kilometer purzeln. An einer Tankstelle machen wir Rast. Zischen eine Brause. „Huhni, wie viele Kilometer haben wir noch vor uns?“, fragt der Mensch, der navigatorisch am kürzeren Hebel sitzt. Hatte er nicht mal einen Kompass? Irgendwann? (Der Korrekturleser fragt besorgt: Was nützt denn ein Kompass bei der Entfernungsbestimmung, Frau Huhni-Superschlau??)

„Hähni, ich weiß nicht. Lass uns schätzen. Wer näher dran ist, hat gewonnen.“ Wir vertun uns beide in günstigster Weise. Rechnen noch mit fünf, sechs Kilometern.

Der finale Blick auf das Navi lässt uns ungläubig jubilieren. 1,6 km bis zum Ziel. Steht da schwarz auf weiß. Da sitzen wir ja in zwanzig Minuten beim Begrüßungsgetränk.

 Wie einfach das heute war. Wir verstehen die Bedenken von gestern nur noch schwer. Sollte sich ein gewisser Trainingsstand eingestellt haben? Oder wieder einmal die berühmte Kopfsache. Worauf man sich eben so einstellt? Wahrscheinlich von beiden ein bisschen.

Heute gegen Mittag sind wir auf dem Peloponnes angekommen. Auf der Zielgeraden. Kefalonia war die letzte Insel unserer Reise und die Fahrt mit „Levante Ferries“ herüber aufs Festland ebenso. Ich mag die Fortbewegung mit diesen gutmütigen Arbeitspferden der Meere. Ich beobachte gerne, wie sie geduldig warten, während ihre eisernen Bäuche vollgestopft werden mit Autos, Bussen, LKWs, Wohnmobilen. Es wird gepfiffen, eingewunken, gebrüllt, zirkuliert. Das ist Millimeterarbeit. Und wenn das letzte Vehikel verstaut und das große eiserne Tor kreischend und quitschend verschlossen ist, tuckert sie los. Behäbig, gemächlich auf immer gleichem Kurs. Hin und her und her und hin.

Zunehmend werden wir Dinge zum letzten Mal tun. Und während ich mit einem Becher Kaffee an Deck sitze, meine Augen die große Wasserfläche abtastet und die Berge dahinter, taucht ein neuer Begriff am Horizont auf: Ankommen.

Ankommen ist ein häufig benutztes Wort. Man kann ankommen an einem Ort, in einer neuen Beziehung, in einer neuen Stadt oder Wohnung, an einem neuen Arbeitsplatz.

„Komm erst einmal an“, „Ich muss erst einmal ankommen.“ diese häufig benutzten Floskeln bedeuten nicht mehr als eine Art verordneter oder gewünschter Schonzeit. Man muss sich einrichten, einarbeiten, Alltag muss sich etablieren.

Ankommen bedeutet aber auch, und das verstehe ich erst durch die Dimension der Reise … Ankommen bedeutet zwangsläufig mit einer Sache abzuschließen. Mit jedem Ankommen schließt sich eine Tür. Wenn ich in einem neuen Job ankomme, dann hatte ich ganz sicher vorher einen anderen. Vor meiner neuen Beziehung gab es vielleicht eine andere oder ich war viele Jahre allein und muss nun mit dem Alleinsein abschließen.

Ankommen in unserer Reise bedeutete, gemütlichen Alltag in Schwerin hinter sich zu lassen und sich in die Routinen des Reisens einzuleben. Ankommen in Pyrgos bedeutet das Ende unserer halbjährlichen Reise.

Der Peloponnes zeigt sich uns von allerbester Seite. Wir vergeben das Prädikat „hier ist es ja genau wie in Albanien“, was gleichzusetzen ist mit „besonders wertvoll“. Wir laufen 10 Kilometer durch lebendige Kulturlandschaft. Maisfelder, Obstgärten, Gewächshäuser. Begegnen jeder Menge pelziger Vierbeiner. Und überall kräht ein Hahn auf dem Mist. In Diitra gibt es keine Touristen. Warum auch? Das Meer ist weit weg und die Berge schimmern milchig am Horizont. Spektakulär ist hier nur die Normalität. Unser Begrüßungsgetränk nehmen wir in der einzigen Kneipe des Ortes. Hier regiert Roza. Kocht, bedient, kassiert, führt den kleinen Laden, der dazu gehört und in dem man die wichtigsten Grundnahrungsmittel kaufen kann. Rundlich ist sie, gemütlich, mit einem gutmütigen Ausdruck in den wachen Augen, vielleicht sechzig Jahre alt. Sie spricht nicht englisch. Meine paar Worte griechisch helfen uns, ein Bier zu bestellen (das kann der Korrekturleser schon lange – „Mia megalo Bira, paragallo“), aber ansonsten wenig. Ich möchte sie unbedingt von meinem guten Willen überzeugen, krame mein Notizbuch hervor und überreiche ihr die zwei Seiten, welche ich dicht beschrieben habe mit all den griechischen Wörter, die ich schon kann. Sie setzt sich, kramt die Brille raus, liest, murmelt die Worte vor sich hin. Ihr anerkennendes Nicken stimmt mich zufrieden. Dann ist sie an der Reihe. Bittet mich um einen Moment Geduld, verschwindet in der Küche und kommt zurück mit einem großen Buch. Sie öffnet es, reicht es mir und ich blicke auf zwei Seiten. Eng beschrieben mit Wörtern. Roza lernt englisch.

Am Abend sind wir noch einmal zurückgekommen. Zum Essen. Mal sehen, wie Roza kocht. Wir bekommen eine handgeschriebene Speisekarte und eine Einweisung. Nicht jedes Gericht, gibt es jeden Tag. Wir bestellen Tzaziki, eine Bohnensuppe, ein Spinatgericht und Fisch mit Kartoffelbrei. Alles schwimmt in würzig, leicht bitterem Olivenöl. Selbstgemacht, was sonst. Und der eigene Wein hat Geschmack und vor allem Charakter.

Am Ende bezahlen wir für die ganze Schlemmerei 20 Euro und sind uns einig. Das war das bestes Essen der Reise. Schade, das wir morgen weiter müssen. Roza könnte meine Lehrerin werden. In Griechisch und im Kochen.