143. Etappe

Von Sami nach Poros

„Hähni, lass es uns wenigstens versuchen“.

„Hühnchen, es ist zu viel für uns. Das schaffen wir nicht.“

„Hähni, warum sagst Du so etwas? Wir haben doch schon ganz andere Dinge geschafft. Weißt Du noch unsere große Wanderung? Von Krajnska Gora über den Vrsic Pass nach Trenta. Das waren auch 24 km und 900 Meter hoch und 1090 wieder runter. Das alles über Stock und Stein, querfeldein und steil bergauf“.

„Hühnchen, das war unsere Königstour. Der Höhepunkt der Wanderkünste, das Sahneschnittchen des Alpinismus. Das kann man nicht wiederholen“.

„Hähni, die Tour die wir morgen gehen könnten, ist zwar 24 km lang, führt aber ausnahmslos über befestigte Wege. Außerdem geht es um 500 Höhenmeter hoch und runter. Das ist die Hälfte von Deiner sogenannten Königstour. Im Abstand von fünf sechs Kilometern gibt es Siedlungen, da bekommen wir Wasser und Essen. Müssen also nicht viel schleppen. Außerdem ist es nicht mehr so heiß. Wenn wir nicht weiter können, dann halten wir den Daumen raus“.

Lange diskutieren, beraten wir unser morgiges Vorhaben.

Fest steht, wir sind weder Sportskanonen, noch echte Abenteurer. Das wussten wir schon vorher und daran hat sich bedauerlicher- oder vernünftigerweise auch auf den letzten 2500 km nichts geändert.

Wir könnten dem Wetter trotzen. Eisern Tag für Tag 30 bis 40 Kilometer durch kalten Regen, arge Kälte, unbarmherzige Hitze oder zornige Stürme gehen. Wir könnten auf verfallenen Ziegenpfaden durch unwirtliche Berge ziehen. Garantiert touristenfrei. Wir könnten dabei jeder 20 kg auf dem Buckel schleppen mit Kochgeschirr, Wasser und Nahrung für Tage. Könnten an einsamen Stränden oder auf zugigen Bergkuppen unser kleines Zelt aufschlagen und das höchste Glück des Tages wäre es bei Sonnenuntergang eine Dose Ravioli aufzuwärmen und dazu ein Schluck abgestandenes Wasser zu trinken.

Wir könnten, wir könnten, wir könnten. Und um ehrlich zu sein. Nichts von all dem können wir.

Bei 6 Grad und Nieselregen brauchen wir nach vielen Stunden auf den Beinen einen Ort, an dem wir uns aufwärmen können. Mit heißen Getränken, einem guten Essen. Bei 38 Grad im Schatten kommen wir bei Tagesetappen von 15 km an unsere Grenzen. Die wichtigste Frage bei der Buchung der Unterkunft ist dann: Gibt es eine Klimaanlage? Und kündigt sich ein Unwetter an, bleiben wir eben einen Tag im Bett.

Lange habe ich geglaubt, dass die Aufgabe dieser Reise darin besteht, Grenzen zu erweitern und Ängste zu überwinden. Meine Lehre aus fünf Monaten unterwegs sein ist, sie anzuerkennen und Frieden mit ihnen zu schließen.

Ganz früh sind wir heute aufgestanden. Der Morgen ist noch jung und wie wunderschön er ist.

Das kleine Kribbeln im Bauch macht sich breit. Wir gehen auf eine Expedition.

Schweigend packen wir, schweigend trinken wir einen Kaffee. Ziehen los. Vor uns liegen 24 km und 500 Höhenmeter. Für uns ein echtes Abenteuer.

 

Kleine Robertsche Abschweifung 21

 

Es regnet, es regnet, die Erde wird nass

Nein, wir waren nicht im Kerngebiet des Starkregens. Tief Daniel hat uns verschont. Wir zottelten über die Ionischen Inseln und erfreuten uns an kleineren erfrischenden Schauern. Wie gut das tat, nach der Hitze. Es ist schlimm, wenn in drei Tagen die Menge Wasser herunter kommt, wie sonst in einem Jahr. Da wird aus Segen ein Fluch. Die Infrastruktur ist anschließend im Eimer, Ernteschäden sind immens und natürlich gibt es Tote. Beim Hochwasser vor zwei Jahren im deutschen Ahrtal gab es 175 Opfer, die Zahl der Verkehrstoten in Griechenland liegt bei 680 pro Jahr. Das September- Hochwasser forderte „nur“ zehn Todesopfer. Die Griechen lernen offensichtlich schnell. Den ewigen Erdbeben begegnen sie mit Stahlbeton in jedem Neubau, den Regenmassen mit schlauen Warnapps und gezielten SMS aufs Handy der gefährdeten Bürger. So konnte Schlimmeres verhindert werden.

Die Wetterkarte unserer Ziel-Region, der äußeren Mani, zeigte mittleren bis starken Regen. Also keine ganz große Katastrophe. Diese ehemals dicht besiedelte Region hat nie ernsthaft unter Wassermangel gelitten. Aus dem Gebirge quackerte das Wasser durch tief eingeschnittene Schluchten vorbei an den Dörfern Richtung Meer. Nur im Sommer wurde hin und wieder z.B. in Pirgos das Wasser knapp. Brunnen gab es nicht, das Dorf steht auf Fels. Jeder Tropfen wurde aufgefangen und in Zisternen gespeichert.

Auf den mit riesigen Platanen bewachsenen Dorfplätzen stehen mit Ornamenten und Tierköpfen verzierte Brunnen, aus deren Öffnungen früher permanent Wasser sprudelte. In den Schluchten findet man alte Waschhäuser mit steinernen Waschzubern, daneben Ruinen gewesener Wassermühlen. Wo ist das viele Wasser hin, alles liegt trocken? Die Antwort ist einfach: Oben, am Fuß der großen Berge, wird massiv das Wasser abgegraben. Die Quellen werden eingefasst und das Wasser in dicken Druckschläuchen in die Speicher oberhalb der Touristenorte geleitet. Die Urlauber brauchen viel Wasser für Dusche, Pool und gepflegten Rasen. Das Resultat: Die Schluchten führen kein Wasser mehr, blaue Schläuche verschiedenen Kalibers mäandern neben Schrottrohren aus den sechziger Jahren. Die Waschhäuser fristen ein trockenes Dasein. Gebraucht werden sie sowieso nicht mehr, es gibt ja Waschmaschinen.

Aus dem prächtigen, steinernen Löwenmaul eines Dorfbrunnens ragt ein erbärmliches Rohr samt einem Billigwasserhahn aus dem Baumarkt. Manchmal sind diese Rohre auch nur mit einem Druckwasserhahn bestückt, wie man sie an Pissbecken in einer öffentlichen Bedürfnisanstalt findet. Einmal drücken und fünf Sekunden tröpfelt die Brühe. Und im schlechtesten Fall ertönt bei Betätigung des Hahnes lediglich ein trockenes, staubiges Rülpsen. Auf der Rückseite des Wasserspeiers baumelt der blaue, manchmal wasserführende Plastikschlauch.

Wie gern wäre ich bei diesem kräftigen Regen (nicht bei so einer Sintflut wie im Norden Griechenlands) in unserem Pirgos gewesen. Die Speicher gut gefüllt, so dass das Wasser endlich mal seinen normalen Lauf hätte nehmen können.Die Schluchten waren bestimmt voller Wasser, kein Grieche käme auf die Idee, dorthin sein Haus zu bauen.

Vor hundert Jahren wären die Einwohner der Region glücklich in die Gassen gerannt und hätten die Zuläufe ihrer hauseigenen und kommunalen Zisternen kontrolliert, damit so wenig Regen wie möglich verlorengeht. Nach dem heißen und trockenen Sommer und dem damit verbundenen muffigen und abgestanden Restwasser in den Zisternen - jeder frische Tropfen wäre ein Labsal. Vorausgesetzt die Ernte ist in der Scheune, wäre dieser Tag ein guter Tag gewesen.

 

Ende der Abschweifung