142. Etappe

Von Agios Efimia nach Sami

Kefalonia ist fest in britischer Hand. Zumindest was den Tourismus angeht. Ein Wissen, welches ich mir nicht nur angelesen habe, welches ich auch deutlich höre.

Englisch ist inoffizielle Amtssprache in den abertausenden Gastronomie- und Beherbergungsbetrieben der Insel. Jeder Kellner, jeder Hotelier geht selbstverständlich mit dieser Sprache um. Und sogar der alte Taxifahrer, der uns für 10 Euro ein Stück mitnimmt, spricht deutlich besser englisch als Robert. Zumindest, was die Aussprache angeht.

Gefühlt hat man sich in Europa, vielleicht in der halben Welt auf Englisch als kleinsten, gemeinsamen Nenner geeinigt. In Tschechien, in Kroatien kamen wir damit immer weiter. In Montenegro und Albanien wurde es schwieriger. Die älteren Menschen sprechen dort kein Englisch. Wenn eine Fremdsprache überhaupt, dann Italienisch. Aber wenn es mal nicht weiterging, griff man zum Telefon und geschwind hatten wir ein Kind oder Enkelkind am Apparat, welches die Angelegenheit regelte. Im feinsten englisch versteht sich.

Bis jetzt habe ich das nicht hinterfragt. Wir mogelten uns so durch mit mäßiger Aussprache und einem Wortschatz, beschränkt auf das Nötigste. „Wir sollten mal einen Englischkursus an der Volkshochschule belegen, Hähni, diese Sprachstümperei ist ja furchtbar“, fordere ich meinen Reisegefährten auf, der es sich seit geraumer Zeit zur Aufgabe gemacht hat, Lieder von den Beatles (das ist möglich) oder von Frank Zappa (aussichtslos) ins Deutsche zu übersetzen. Er kontert gewohnt pragmatisch: „Klar Huhni, machen wir. Dann können wir es genau so gut wie unsere Gesprächspartner in den tschechischen Restaurace, den kroatischen Konobas und griechischen Tavernen. Dann bekommen wir endlich genau das, was wir auch tatsächlich bestellt haben.“

 Wie kommen sich eigentlich die Wirtsleute bei dieser Englisch-Flut vor? Dieser Gedanke schießt mir durch den Kopf, als ich bei einem Glas Rotwein das Treiben in einer der Tavernen von Sami beobachte. Da kommen sie reinstolziert, die Engländer. Lässig den Pullover über die Schulter gelegt, natürlich die richtigen Schuhe an. Strohblondes Haar verdeckt vom Sonnenhut samt Brille und die helle Haut partiell krebsrot vom letzten Sonnenbad. Und sie reden lautstark auf die Bedienung ein. Gekonnt, gewandt, elegant. Pronuncation (Aussprache), Grammar (Grammatik) = Zensur 1. Sie bemühen sich nicht langsam, deutlich oder mit einfachen Worten zu sprechen und sie versuchen nicht ein Fitzelchen Griechisch zu reden.

Und es fällt mir wie Schuppen von den Augen. Englisch ist die Sprache der Herrscher.

Das Vereinigte Königreich war die größte Kolonialmacht der Geschichte mit Kolonien und Protektoraten auf jedem bewohnten Kontinent und im 17. und 18. Jahrhundert tief in den Sklavenhandel verstrickt. Die Kolonien und Protektorate bedeckten im ausgehenden 19. Jahrhundert fast ein Viertel der Landfläche der Erde. Und in diesen Gebieten war die Amtssprache, die Kolonialsprache, englisch.

Englisch spricht man auch in Amerika. Der Supermacht, dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Ein ganzes Volk haben sie auf dem Gewissen und heutzutage rühren sie mit ihren schmierigen Pfoten im Weltgefüge. Ihre wirtschaftliche und militärische Stärke macht es möglich.

Englisch ist allerdings auch die Sprache von William Shakespeare, Oscar Wilde, Miss Marple und Monty Python. Aber dafür ist heute kein Raum in meiner  Entrüstung, welche mir die Erkenntnis beschert.

Warum lassen wir uns auf dieses Diktat ein? Warum ordnen wir uns diesem ungeschriebenen Gesetz unter? Es gibt doch eine Alternative: Esperanto.

1887 veröffentlichte der Augenarzt Ludwik Lejzer Zamenhof unter dem Synonym Dr. Esperanto (Dr. Hoffender) die Grundlagen dieser Plansprache. Schon als junger Mensch beobachtete er in seiner Heimatstadt Bjelostock im heutigen Ostpolen die Probleme, welche eine ethnisch gemischte Bevölkerung aufwarf. In der von Polen, Litauern, Deutschen und vor allem Juden bewohnten Stadt bildeten sich ghetto-artige Strukturen. Oft kam es zu körperlichen Auseinandersetzungen und zu Pogromen.

Schon zu seiner Schulzeit kam dem jungen Ludwik der idealistische Gedanke, dass eine neutrale Sprache notwendig sei, um Ethnozentrismus und Ghettobildung zu verhindern. Und dass dies auch letztlich ein Schlüssel zum Weltfrieden wäre. Respekt würde ich sagen.

Und er beließ es nicht bei den jugendlichen Phantastereien. Er plante diese Sprache. Oberstes Gebot: Leicht zu erlernen für jeden sollte sie sein. Jeder Buchstabe nur eine Möglichkeit zur Aussprache. Kein der die das! Jeweils nur eine Deklination und Konjugation. Es gibt nur wenige grammatikalische Regeln und diese gelten ohne Ausnahme. Er entlieh Worte aus fast jedem europäischen Sprachraum und suchte nach höchstmöglichen Übereinstimmungen. Siehe: Esperanto muro, deutsch Mauer, polnisch mur, niederländisch muur , lateinisch murus; französisch: mur, italienisch/portugiesisch/spanisch: muro.

Bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs erblühte die Idee. Gesellschaften wurden gegründet, eine Zeitung herausgegeben, Radiosendungen auf Esperanto flatterten durch den Äther. Eine französischen Tageszeitung schrieb 1934: „Wenn die französische Regierung das Esperanto zum obligatorischen Unterrichtsgegenstand erhöbe, würde sie vor Ablauf von zwei Jahren überall in der Welt Nacheiferung finden. Es ist erstaunlich, dass der Mensch trotz aller Siege über die Natur und die feindlichen Elemente noch nicht dahin gelangt ist, die Sprachverwirrung zu meistern.“

Die großen Diktatoren der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Hitler und Stalin erstickten das Pflänzchen, welches Weltfrieden bringen sollte, im Keim. Esperanto wurde verboten. Warum wohl? Sprache kann Literatur, Poesie, Verständigung, Liebeserklärung sein. Aber auch Herrschaft.

Hähni, ab sofort bestelle ich nichts mehr auf englisch. Ich spreche nur noch griechisch. Ich mach da nicht mehr mit“, entscheide ich resolut. (Huhni, spricht der Korrekturleser, willst Du wirklich in diesem Paradies kläglich verhungern und verdursten?) Ich nehme meinen Mut zusammen.

Θα ήθελα να πληρώσω παρακαλώ (Ich möchte bitte bezahlen) spreche ich beherzt in das freundliche Gesicht der jungen Griechin, welche uns bedient. Mein Herz klopft. Ob sie mich versteht?

Ihre Antwort kommt postwendend. Yes, of course. Just a moment. I'll bring you the bill.