Von Vasiliki nach Agio Efimia
Gestern habe ich keinen Tagesbericht geschrieben. Mit einem kleinen schlechten Gewissen und voller Gedanken bin ich ins Bett gegangen. Ich muss doch schreiben, ich bin doch die Chronistin unserer Reise. Dreimal, in fünf Monaten, hatte ich am Ende des Tages keine Kraft mehr zur Berichterstattung. Das erste mal saßen wir bei Lörmi und Almut in ihrer Küche in Großpötzschau bei Leipzig. Es gab Kartoffeln, Gurkensalat und Ei. Wir waren die absoluten Reiseneulinge und wir hatten uns viel zu erzählen. Beim zweiten Mal war es ein gemütlicher Abend bei Nebels in Mittweida. Spät war es geworden. Und gestern? Gestern haben wir einen Riesensatz in den Süden gemacht. Erst gegen 18:30 Uhr, die Sonne steht schon tief, erreichen wir unser Quartier. Rucksäcke plumpsten vom Rücken, die große Kramerei nach frischen Sachen geht los, Lebensmittel werden im Kühlschrank verstaut, der Rosé natürlich sofort im Tiefkühlfach, die Dusche rauscht. Man, haben wir einen Knast. Eine halbe Stunde später sitzen wir in der Taverne gegenüber. An dieser Stelle sei berichtet, dass wir hier selten mehr als 30 Euro bezahlen für ein schmackhaftes, reichliches Abendessen. Zusammen! Und der halbe Liter Hauswein inklusive. Einzige Bedingung: kein Fleisch, kein Fisch. Dann wird es sofort teuer. Aber die Alternativen sind bestechend lecker. Es gibt Gerichte mit Spinat oder dicken Bohnen. Tomaten oder Paprika werden mit Reis gefüllt. Dann die Klassiker, der griechische Salat, Tzaziki oder Oliven. Gerne wird auch alles was der Boden so hergibt, frittiert oder gegrillt. Die Gerichte sind nicht kompliziert oder raffiniert. Die Rechnung geht auf, weil jede einzelne Zutat von hoher Qualität ist.
„Jetzt wird aus dem Robert noch ein Vegetarier“, frohlocke ich innerlich. Die entscheidende Frage: was ist stärker? Die Gier nach Fleisch oder der Geiz. (Der Korrekturleser träumt inzwischen heimlich von Eisbein, Kassler-satt und Gänsebraten).
Dann schlagen wir uns also die Bäuche voll. Und im Quartier zurück, ich will gerade anfangen zu schreiben, kommt es noch zu einem schönen Telefonat mit einem Fliegerfreund über die Belange unseres Vereins. Die Vergangenheit, die Zukunft, die Gegenwart. Ideen brechen sich Bahn, Pläne werden geschmiedet. Wunderbar. Als ich den Hörer auflege, ist das Ohr heiß, der Kopf glüht und die Seele ist erwärmt.
Es ist 21:00 Uhr. Ich klappe den Deckel des Laptops unverrichteter Dinge zu. Es reicht für heute.
Heute Morgen sind wir auf die Insel Kefalonia geschippert. Sie ist die größte des Siebengestirns der Ionischen Inseln, welche sich von der Küste Albaniens bis zum Peloponnes erstreckt. Die bekannteste Insel dieser Gruppe ist Korfu. Eine zeitlang (1816-1864) gab es sogar eine Republik der Ionischen Inseln. Das war eine Idee der Engländer und ein vergleichsweise kurzes Intermezzo in der langen, bewegten Geschichte der Inseln. Bereits 1864 entschieden sich die Einwohner im Zuge eines Volksentscheids gegen die Eigenständigkeit und kuschelten sich an den Busen der jungen Mutter Hellas. Griechenland war zu diesem Zeitpunkt erst seit 34 Jahren ein unabhängiger Staat.
Kefalonia ist atemberaubend schön. Weiße Felsen stürzen sich ins grünblaue Meer, hohe Berge türmen sich. Die ausgebeulte Leitplanke unseres Sträßchens erzählt wilde Geschichten von Steinschlägen, Schlammlawinen und gescheiterten Überholmanövern. An den Hängen klingeln Glöckchen. Ihre Träger, weiße Ziegen, stehen mit dünnen Beinchen im Geröll. Wo finden sie in dieser Kargheit etwas zu beißen?
Immer wieder bleiben wir stehen. Verinnerlichen die Ausblicke. Immer mehr zeigt sich, dass die Investition dieser Reise sich lohnt. Wir hätten investieren können in Bleibendes, in Materielles. In ein Auto, ein Haus, ein Stück Land, Goldstückchen, ein Segelflugzeug. Wir legen unser Geld an in das Flüchtigste, Vergänglichste was es zwischen Himmel und Erde gibt. Wir setzen auf den Augenblick. Und wir spüren, dass die Vielzahl von Augenblicken sich zu einem Gefühl in unserer Seele anreichert, welches tiefer reicht als eine kurzfristige Erinnerung. Wir sind beseelt.