134. Etappe

Von Ammoudia nach Vrachos

Heute morgen sind wir ganz früh in Ammoudia aufgebrochen. Die Sonne ist kaum hinter den Hügeln hervorgekrochen, da sind wir auf der Piste. Wie schön der Morgen ist. Wie frisch und kühl die Luft, wie golden das Morgenlicht. Die flirrende, stickige, staubige Hitze ist Geschichte. Ich bin so was von erleichtert. Es macht Spaß unterwegs zu sein. Wir schreiten zügig aus, zu unserer Rechten schlängelt sich der Fluß Acheron. Acheron heißt soviel wie „schwarzer Fluss“ Knapp 60 Kilometer fließt er durch die historische Region Epirus und mündet hier, in diesem kleinen Fischerdorf ins Meer. In seinem Oberlauf wird er durch derart kalte Quellen gespeist, das der Volksmund behauptet, sie entsprängen direkt der Unterwelt. Dem Hades. Und hier sind wir schon fast mitten drin in der Geschichte. Der Acheron ist nämlich ein wichtiger Teil der griechischen Mythologie.

Die Märchenstunde kann beginnen.

Nach dem Zeus aber und aber tausende Jahre blutige Schlachten geführt hat gegen seine Großmutter Gaia, gegen Titanen, Giganten und gegen seinen eigenen Vater Kronos (der fand es eine gute Idee alle seine Kinder aufzuessen um den Verlust seiner Macht zu verhindern. Nur bei Zeus ist es ihm nicht gelungen. Seine Mutter hatte ihn auf Kreta in Sicherheit gebracht.) stand dem Weg zum Olymp nichts mehr im Wege. Alleine wollte er sich nicht um alles kümmern. So teilte er sich die Arbeit mit seinen Brüdern (seine Geschwister bekam er zurück, in dem er seinem Vater ein Brechmittel verabreichte – Kopfschüttel) Man warf Lose. Dabei erhielt Zeus den Himmel, Poseidon das Meer und Hades die Unterwelt. Die Erde und der Olymp waren ein gemeinsamer Bereich.

Seitdem ist Hades der „Herr des Totenreiches“, der strenge, unerbittliche, Göttern und Menschen verhasste Gott, aus dessen schaurigem, ödem Reich es keine Rückkehr gibt. Auch durch Bitten und Schmeicheln ist er nicht zu erweichen. Nur dem Orpheus gelang es durch die Macht seines Gesanges, ihn zur Rückgabe der Eurydike zu bewegen.

Das Totenreich ist grob gesagt in drei Abteilungen eingeteilt.

Die allermeisten Seelen treiben sich als Schatten schmerzlos, aber auch freudlos auf der Asphodeloswiese herum. Sie führten ein durchschnittliches Leben, luden Schuld auf sich in überschaubarem Rahmen. Keine besonderen Heldentaten. Gute Durchschnittsware. Menschen wie Du und ich.

Dann gibt es den Tartaros, den Strafort der Unterwelt. Er ist angeblich so tief, dass ein Amboss, der von der Erde zum Tartaros hinabfällt, neun Tage braucht, um ihn zu erreichen. Da möchte ganz sicher niemand von uns hin.

Er ist der unheimlichste, finsterste, quälendste Ort des Hades. Wer gegen die Götter frevelte, musste nach seinem Tod (der meist unmittelbar nach dem Frevel eintrat) für alle Ewigkeiten ohne Hoffnung auf Erlösung hier leiden.

Nach dem Tartaros hatte man in Europa tatarische Völker manchmal auch als „Tartaren“ bezeichnet, da man annahm, diese kämen direkt aus der Hölle. Auch die Mongolen unter Dschingis Khan und seinen Nachfolgern wurden später so bezeichnet.

Und dann gibt es noch die Luxusklasse der Unterwelt. Da kommen nur die Guten hin, die ganz, ganz Guten. Das Elysium. „Freude schöner Götterfunken, Tochter aus ...“ Mein Hähnchen hat ein Lied auf den Lippen. Er hat wohl gut aufgepasst im Musikunterricht 9. Klasse. Ganz im Gegensatz zum Tartaros handelt es sich hierbei um paradiesische, rosengeschmückte Wiesen, auf denen ewiger Frühling herrscht und wo ein nektarähnlicher Trank aus einer Quelle der Lethe ewiges Vergessen aller irdischen Leiden ermöglicht. Die Auserwählten vertreiben sich die Zeit im Schatten von Weihrauchbäumen mit Reiten und Turnen, Würfel- und Lautenspiel.

Manche glauben nach dieser Beschreibung die Kanarischen Inseln zu erkennen. Außerdem werden Madeira, die Azoren und Kap Verde als weitere Möglichkeiten in Betracht gezogen. Da buchst Du einen All-inclusive Urlaub auf Madeira, trinkst einen gleichnamigen Wein (der Trank des Vergessens) und schwupps bist Du im Elysium. So einfach ist das heutzutage.

Aber wie kommt man nun in den Hades, ins Totenreich? Also erst einmal muss man sterben. Logisch. Dann, ganz wichtig, müssen Dir Deine Nachkommen eine Münze unter die Zunge legen. Das ist der Eintrittspreis. Und dann irrt Deine Seele wie ein Schatten an einem der Ufer der fünf Flüsse des Totenreichs herum. Styx heißt einer und ein anderer Acheron. Unser Acheron auf dem ich mir gut und gerne ein Kajak mieten könnte um ein bisschen darauf herumzuschippern. Das wird hier überall angeboten. In der griechischen Mythologie mietest Du Dir auch ein Boot. Da kommt nämlich der Fährmann Charon und wehe Du hast keine Münze im Mund, da hast Du Pech gehabt. Und dafür, das Du bezahlst, darfst Du am Ende auch noch selbst rudern. Na, schönen Dank auch. Wenn Du auf der anderen Seite angekommen bist, musst Du noch an einem Wächter vorbei. Ein riesiger Hund mit drei Köpfen und Schlangen wickeln sich um seinen Bauch. Der ist ganz lieb, wenn Du rein willst, ins Totenreich. Wedelt mit dem Schwanz und so. Raus lässt er keinen mehr.

Meine Güte, was für eine Räuberpistole. Mit der griechischen Mythologie ist das so eine Sache. Ich habe mich nun für wenige Stunden damit beschäftigt. Verstehe nicht einmal ein Prozent, entdecke aber ihre Spuren überall in der Musik, in der Malerei in der Literatur unserer europäischen Kultur. Ich habe Blut geleckt. Möchte mehr in Erfahrung bringen.