133. Etappe

Von Agio Kiriaki nach Ammoudia

Meine neue Beschäftigung auf Wegen, welche nicht meine vollste Konzentration brauchen, ist das daher beten von griechischen Vokabeln. Wenn sie mir denn wieder einfallen. Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, diese Sprache zu erlernen und empfinde das nur als recht und billig in Anbetracht der Tatsache, dass ich die nächsten sechs Monate hier verbringen werde. Wenn ich mir überlege, wie viel Zeit wir bereits in diesem Land verbracht haben und wie wenige Worte wir kennen und so aussprechen können, dass sie verstanden werden, dann bin ich beschämt. Zugegebenermaßen müssen wir nicht griechisch sprechen können, um tagtäglich unsere niedersten Bedürfnisse erfüllt zu sehen. In den Urlauberorten kann jeder ein bisschen Englisch. Man stellt sich ja auf die Kundschaft ein. Und so radebrechen wir eben alle in der Weltsprache, sind very international und etwas Gutes landet schon auf dem Teller, im Glas oder wir im richtigen Bus. Mir ist das zu wenig. Die Sprache zu lernen hat etwas mit Respekt vor dem Gastgeber zu tun und ist Eintrittskarte in die Gesellschaft. Was „Gesellschaft“ in unserer Zielregion „Mani“ letztendlich bedeutet, können wir im Moment nur ahnen. Sehr gut möglich, dass dort Engländer und Deutsche residieren, Albaner und Rumänen arbeiten und nur wenige Griechen im Rentenalter dort leben, die am allerliebsten unter sich bleiben. Aber sei es es drum. Es ist entschieden. Ich bin eine Lernende.

Eine Sprache im späteren Erwachsenenalter zu erlernen, fühlt sich an wie Geige lernen Ü40. Ich kann mich da voll rein denken in meine mutigen Leute aus dem Musikzimmer. Am Anfang bekommst Du mit viel Mühe vier Töne hin. Schrei E, Quitsch A, Krächz D, Brummel G.

Vier Worte griechisch: Καλή μέρα - Guten Tag Καληνυχτα - Gute Nacht Ευχαριστώ - Danke und verdammte Axt, was hieß noch mal Bitte? Nicht mal vier Worte wollen in meinen Kopf. Dazu das griechische Alphabet. Um mich herum plaudert es munter und fröhlich. Ich verstehe kein Wort, keine Struktur, alles eine Soße und verzweifelt frage ich mich: Wie soll ich diese Sprache je lernen? Niemals werde ich ein Gespräch führen können. Niemals. Warum fange ich überhaupt erst an? Ich bin doch viel zu alt für solche Experimente. Aber ich habe mich entschieden, es gibt kein zurück, also weiter.

Auf der Geige kommt nun die linke Hand ins Spiel. Macht üble Verrenkungen. Zuerst der Mittelfinger. Millimeterarbeit ist das. Die Töne H , Fis, Cis, Gis kommen dazu. Das Schrei, Quitsch, Krächz, Brummel wird nicht weniger, im Gegenteil. Da heißt es Nerven behalten.

Vier neue griechische Worte: Τη κάνης – Wie geht es Dir? πολύ καλά ευχαριστώ – Danke, sehr gut. πως σε λενε – wie heißt Du? Μελέν Martina – ich heiße Martina. Aus dem griechischen Kauderwelsch am Nachbartisch in der Taverne oder vor mir an der Kasse am Supermarkt lösen sich einige Worte. Da! Ich habe etwas verstanden. Wie geht es Dir? Hat hier jemand gefragt. Und die Antwort habe ich auch verstanden und besser noch, ich hätte sie sogar selbst geben können. Die Motivation steigt.

Auf der Geige kommt nun der nächste Finger ins Spiel. Die linke Hand hat sich an ihre Zwangslage gewöhnt und wir haben angefangen über die Geräusche, die wir produzieren, zu schmunzeln. A, E, H, Fis. Lieder entstehen. Backe, backe Kuchen. Ringel, Ringel Reihe.

Ich lerne: Σκύλος – Hund, Γάτα – Katze, Εγώ έχω μια γάτα – ich habe eine Katze, Εγώ έχω ένα σκυλί – ich habe einen Hund.

Vorletzte Nacht habe ich in Plataria mein erstes Gespräch auf griechisch geführt. Georgia hat eine kleine Tochter. Sie ist sechs Jahre. Eine echte Prinzessin, sogar ein Papierkrönchen zierte ihr dunkel, welliges Haar. Ewig turnte sie um uns herum auf der Suche nach Aufmerksamkeit. Irgendwann habe ich sie mir geschnappt. Ich spreche sie an: πως σε λενε – wie heißt Du? Frage ich vorsichtig. Prompt kommt Antwort. Μελέν Lula -ich heiße Lula. Uuhhh, sie hat mich verstanden. Ich grinse über beide Backen und sie auch. Sie will wissen, wie ich heiße. Μελέν Martina gebe ich Auskunft und sie versteht wieder. Wiederholt meinen Namen. Mehrfach und er klingt aus ihrem kleinen Mund so anders, so fremd, aber irgendwie schön.

Ich bleibe am Ball. Τη κάνης – Wie geht es Dir? Frage ich sie. Die Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen, so wie es sich für Floskeln gehört. καλά ευχαριστώ – Danke gut. Sie hat mich verstanden und ich sie. Ich glühe vor Begeisterung. Etwas kann ich noch: Εγώ έχω μια γάτα – ich habe eine Katze, lüge ich und fühle mich etwas schlecht. Ja, sie habe auch eine Katze, erklärt sie mir freudig und zeigt auf das kleine, grau-weiß getigerte Wesen, welches sich zu meinen Füßen zusammengerollt hat.

So Lula, nun ab ins Bett, du bist schon ganz müde, dass sehe ich Dir doch an der Nasenspitze an … würde ich ihr gerne sagen. Kann ich nicht. Καληνυχτα - Gute Nacht muss für´s erste reichen.

Der Damm ist gebrochen. Nun heißt es nur noch dranbleiben. Innere Schweinehunde überwinden, lernen, geduldig sein. Ich bin optimistisch.

An dieser Stelle ist es nun Zeit für eine Entschuldigung. Vor ein paar Tagen habe ich behauptet, die Albaner wären freundlich und die Griechen nicht. Heute bin ich beschämt darüber. Ich weiß nicht genau, was mich zu einer derartigen Aussage bewog. Vielleicht die unverbrauchte, im besten Sinne naive Freundlichkeit der Albaner, die 40 Jahre abgeschottet vom Kapitalismus und Massentourismus lebten. Privileg und Last gleichermaßen.

Also, die Menschen hier in Griechenland erleben wir als ungemein freundlich. Punkt. Unsere Wirtsleute weisen uns den Weg, helfen bei der Suche nach Busverbindungen, versorgen uns mit Reiseproviant und schenken uns ihre Geschichten. Es tut mir leid, ihnen Unrecht getan zu haben.