129. Etappe

Von Kavos nach Igoumenitsa

Eine Ratte sitzt am Wegesrand und nagt an einem angeklebten Kaugummi, eine andere liegt überfahren auf der Straße. Eine Kakerlake treffen wir beim Morgenspaziergang. Eine andere liegt zerlatscht zwischen zwei leeren Bierbüchsen. Vier benutzte Kondome zählen wir im Gebüsch auf einem Kilometer Strandpromenade. Hundert Mal am Tag stinkt es nach Kloake. Die Gärten verkrautet, die Dörfer verwaist. Wenige zerrupfte Hühner picken auf kahlem Boden in praller Sonne. In den Ruinen einstiger Luxushotels wuchert Efeu über Billardtischen, sprengen Baumwurzeln trockengelegte Pools, erzählen Fenster mit eingeschlagenen Scheiben die Geschichte der kurzen Glanzzeiten. Alles auf Sand gebaut. Auch die nächste Generation All inclusive Ferienanlage hat die beste Zeit hinter sich. Matratzen sind abgeranzt, Scheiben halb blind und in den Fugen des Badezimmers sammelt sich schwarzer Schimmel. Irgendwie ist hier alles schmutzig, oll. Die traurige Melancholie abgehalfterter Schönheit, die immer nur Schein war, hängt in der Luft.

Die Autofahrer sind ein Ausbund an Rücksichtslosigkeit. Seitenspiegel verfehlt Rucksack oft um ein Haar. Und mein verzweifelt, optimistisch posauntes Kalimera (Guten Tag), verhallt häufig ungehört, holt hier selten jemanden aus der Lethargie. Die Bedienungen in den Einkaufsläden oder den Kneipen wirken müde und teilnahmslos. Die hochgelobte Freundlichkeit der Gastwirte trieft vor Routine. Ein Bier kostet hier 5,00 Euro und ein Fruchtjoghurt 1,80 Euro. Es gibt keine Quartiere unter 50 Euro. Die wenigen ehrlich freundlichen Menschen die wir treffen, kommen aus Albanien und arbeiten hier. Falleminderit klingt es aus weiter Ferne in meinem Herz.

Seit einer Woche taumele ich über die Insel Korfu. Ich bin im Schock. Im Kulturschock.

Nach fünf Monaten Reise sind wir im Zielland angekommen.

So sehr hatte ich mich darauf gefreut, habe die Tage gezählt. Nach Hause kommen, nach Hause in mein Griechenland. Ich lerne doch gerade die Sprache. Mir war immer klar, dass diese Reise meinen Blickwinkel und mich verändert. Viele unserer lieben Leute zu Hause hatten Sorge, das wir vielleicht nicht mehr nach Schwerin zurückkommen und anderswo neue Heimat finden. Dieser Gedanke kam mir nie in den Sinn, zu fest sind die Bande. Aber die Infragestellung meines eigenen Zieles hätte ich mir nie träumen lassen. Demontage eines Traumes? Nennt man das Enttäuschung?

Jetzt heißt es erst einmal, ruhig bleiben. Wir haben eine wertvolle Woche mit den Kindern verbracht. Unser Fokus lag auf der Gemeinschaft und nicht auf der Reise und der Einordnung der damit verbundenen Erlebnisse. Wir finden uns wieder ein in unserem Trott. Wanderung, Begrüßungsgetränk, Mittagsruhe, Tourenplanung, Nahrungsbeschaffung, Bericht schreiben. Einen Monat haben wir noch Zeit. 380 km liegen vor uns. Wir wollen auf dem Festland bis Preveza. Dann die Inseln Levkada und Kefalonia durchqueren. Am Ende bleibt noch der Peloponnes. Wir haben noch genügend Zeit, uns mit diesem Land auseinanderzusetzen. Wo ist das Problem mit den Abwässern? Wie verändert die EU landwirtschaftliche Produktion? Was passiert mit einem Land, wenn der einzige Joker die Schimäre Tourismus ist? Wieviel haben die Hellenen von heute mit den Alten Griechen von einst gemein? Müssen wir etwas wissen über den Olymp oder den Hades, um die Menschen hier zu verstehen? Welche Stellung hat die orthodoxe Kirche im kollektiven Bewusstsein und was ist das überhaupt?

Es gibt genug zu erfahren. Dann mal los. Morgen früh um halb sieben bimmelt der Wecker. Es wird wieder heiß.