128. Etappe

Von Sarande nach Korfu

„Autsch, tut das weh,“ rufe ich, während ich mich mühsam vom Sitz der Fähre erhebe. Robert schiebt ein bisschen mit. Da habe ich mir ein schönes Andenken aus Albanien mitgebracht. Das Steißbein zwiebelt bei jeder Bewegung. Wo ich mir das eingefangen habe, weiß ich ganz genau. Traktor sind wir gestern gefahren, sogar zwei Mal und das war eine absolute Tortur für den Allerwertesten.

Los ging es mit einer schönen Tour durch die hügelige Ebene nordöstlich von Saranda. Traumhafte Blicke auf das Gebirge mit dem klangvollen Namen Mali i Gjerë. Das heißt soviel wie Breiter Berg und ist eine von den Wortschöpfungen, die ich so liebe. Adjektive und Substantive werden hier auf diese Art verbunden. Es bedeutet wortwörtlich Berg, der breite. Eine berühmte albanische Sehenswürdigkeit heißt: Syri i Kaltër – Auge, das blaue - und bezieht sich auf eine tiefblaue Wasserquelle. Lange habe ich gebraucht um zu kapieren, wie das funktioniert. Eines Abends ist der Knoten geplatzt. Da hat einer auf dem Markt alte Bücher angeboten. Eines davon habe ich sofort erkannt. Da steht ein kleiner, blonder Junge mit roter Fliege und Händen in den Hosentaschen verloren auf einem Planeten und fliegt durch das Weltall. „Princi i vogel“ stand darüber und Antoine de Saint−Exupery. Logisch, fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Prinz, der kleine. Der kleine Prinz.

Vielleicht 5 km der Wanderung habe ich Zeit, mir darüber Gedanken zu machen, dann stehen wir im Mais. Mal wieder. Der Weg ist zu Ende. Auf einem Feld am Wegesrand steht ein kleiner roter Traktor. Wir befragen den blutjungen Traktoristen nach dem Weg. Zeigen in Richtung des Undurchdringlichen, wiederholen mantrahaft Sarande, Sarande. Nein, nein. Da kommt ihr nicht durch. Es ist aussichtslos. Seid ihr durch den Mais, steht ihr vor einem Wassergraben. Ihr müsst zurück. Rruga, Rruga (Weg, Weg) dann Asphalt nach Saranda. Immer wieder weist er in die Richtung, aus der wir gerade gekommen sind und dann auf die Schnellstraße auf halber Höhe des Berges, die wir ja nun gerade nicht gehen wollen. So ein Mist. Dann latschen wir eben die drei Kilometer zurück an die Hauptstraße und trampen dann.

Der junge Mann erkennt unsere Not. „Kommt, ich nehme Euch ein Stück auf dem Traktor mit“, gibt er uns zu verstehen. Wir schauen uns ungläubig an. Wie soll das denn bitte schön gehen? Es gibt genau einen Sitz. Er zeigt auf die Radkästen. Das ist unser Platz. Einer rechts, einer links. Auf dem Radkasten ist kein Sitz, sondern eine Art länglicher Griff als Einsteighilfe. Der ist völlig kontraproduktiv. Er verläuft nämlich längs zur Kimme. Platz für die Füße? Unter der Kupplung, unter dem Gas und noch irgendwo auf dem Gestänge des Rückspiegels. Und dann schaukeln wir, wie ein Kutter bei Seestärke 16, über furchigen Feldweg. Oh Gott, wenn wir umkippen, denke ich immer wieder panisch. Sehe mich schon platt wie eine Flunder unter dem roten Vehikel liegen. Meine rechte Hand krallt sich um die Regenrinne des heißen Daches. Meine linke stützt sich am Sitz des Fahrers ab. Versucht das arme Steißbein von den 60 + 8 Kilo zu entlasten, welche es unbarmherzig auf diesen vermaledeiten Griff drücken. Wäre er doch wenigstens andersrum montiert. Schon nach wenigen Metern bin ich schweißgebadet und das „ich–fahre–Traktor–in –Albanien–Grinsen“, ist zur schmerzverzerrten Grimasse gefroren.

An einer Kreuzung der Feldwege hält er, schaltet den Traktor aus. Wir klettern erleichtert herunter. Er weist uns noch einmal die Richtung, winkt und tuckert davon. Eine halbe Stunde später stehen wir an der Hauptstraße nach Sarande und halten den Daumen raus. Vielleicht kommt ja auch ein Bus. Aber da kommt er schon wieder angetuckert. Der kleine, rote Traktor mit dem blutjungen Traktoristen. „Kommt, ich fahre euch nach Sarande“, ruft er und strahlt und lacht über das ganze Gesicht. Warum wir nochmal aufsteigen, wissen wir nicht so genau. Die Situation ist unwiderstehlich. Und dann tuckern wir mit 25 km/h, begleitet von einem freudigen Hupkonzert der Überholenden auf viel befahrener Landstraße. Das sieht ganz sicher kurios aus, wie wir mit unseren dicken Rucksäcken rechts und links an diesem Fahrzeug kleben.

Nach etwa drei Kilometern hält er an. Ich bin heilfroh. Mir tut der Hintern weh zum Sternesehen. Hinter der nächsten Kurve ist eine Polizeistation. Wenn die uns erwischen, geht er in den Knast. Er kreuzt seine Hände. Eine eindeutige Geste. Faleminderit, Faleminderit und danke auch, dass Du uns an einer Stelle rausgeschmissen hast, wo keine Sau mehr halten kann. Bei Tempo 80 geht keiner auf die Eisen und provoziert einen Auffahrunfall. Egal, dann laufen wir eben die letzten sechs Kilometer. Ist doch alles halb so schlimm. Wir nehmen die Dinge wie sie kommen.

Es ist jetzt 19 Uhr. In zwei Stunden gehen wir zum Flugplatz von Korfu und holen die Kinder ab. Sie begleiten uns für eine Woche. Ich freue mich darauf, seitdem die Idee geboren wurde. Gänzlich uneingeschränkt ist die Freude nicht. Familienurlaub in einer Patchworkfamilie ist eine Herausforderung. Damit kenne ich mich aus. Die Kinder tragen eine Verletzung mit sich herum, die ihnen mit dem Zerbrechen der Kernfamilie zugefügt wurde. Das leibliche Elternteil trägt schwer an der Last, Verursacher dieser Wunde zu sein. Und der dazugekommene „Neue“ tut sich schwer, einen Platz oder eine Rolle in dieser bestehenden Gemeinschaft zu finden. Ich mache mir nichts vor. Diese Art Urlaub ist harte Arbeit. Für uns alle. Wir werden ganz sicher streiten, wir werden uns ganz sicher versöhnen. Wir werden viele schöne Dinge erleben und oft hadern. Am Ende sind wir klüger. So ist es eben das Leben.

„Hähni, erinnerst Du Dich noch an den Spruch in Adelheids Frühstückspension in Gmünd?“. „Klar, Huhni. Adelheid ist die, die so arg in Winnetou verschossen war“. Ich lache. Da hing eine Postkarte an der Pinnwand neben dem Eingang auf der stand: „Das Leben ist schön! Von einfach war nie die Rede“.