127. Etappe

Von Nivice nach Sarande

Faleminderit Albanien, Faleminderit. Wie schön dieses Wort klingt. Wie oft ich es auf der Zunge getragen habe. Anfangs noch schüchtern geflüstert, später voll aufrichtiger Inbrunst formuliert. Nie war es Floskel. Und wie sich das Wort letztendlich in ein Gefühl verwandelt hat, welches mich vollkommen durchdringt. Faleminderit heißt Danke.

Vor knapp vier Wochen haben wir uns in dieses Land geschlichen. Über die grüne Grenze am Shkodersee sind wir gegangen. Unvorbereitet, etwas ängstlich und unsere mentalen Rucksäcke waren vollgestopft mit Vorurteilen.

Bestimmt wird hier geklaut, dachten wir und Wegelagerei ist nicht unüblich. Wenn die alle so arm sind, dann sei ihnen verziehen. Schließlich haben wir gelesen, das Albanien eines der ärmsten Länder Europas ist. Robert, der Finanzer unserer Reise hat sich ausgerüstet mit einem Täschchen, welches man am Oberarm trägt um die wichtigsten Dokumente und das Geld zu verwahren. Was war? Absolut sicher haben wir uns gefühlt. Das Täschchen war nach wenigen Tagen in den Untiefen des Rucksacks verschwunden. Ein Fehlkauf. Das Händie lag nächtelang auf der Toilette des Campingplatzes herum, um geladen zu werden. Hoteltüren ließen wir unverschlossen. Schliefen nachts mit sperrangelweit geöffneten Fenstern, auch im Erdgeschoss. Hier passiert uns nichts.

„Hähni, lass uns nochmal in den Vorurteilrucksack schauen. Was haben wir denn noch?“

Ach ja, die Straßen seien in einem erbärmlichen Zustand, die Autofahrer wahnsinnig, öffentlicher Nahverkehr ein unterentwickeltes Rudiment. Und? Die großen Magistralen entlang der Küste sind in Ordnung, zunehmend werden die kleineren Wege asphaltiert. Da passiert eine Menge. Die Fahrer verhalten sich in großer Mehrheit rücksichtsvoll und nur wenige drehen am Zeiger. Die Menschen hier in Albanien sind nicht heißblütig, wie man es gerne den Menschen im Süden Europas unterstellt. Sie sind ruhig, zurückhaltend, bedächtig. Das spiegelt sich auch im Fahrstil wieder. Zusätzlich sei erwähnt, dass es quasi keinen LKW Verkehr gibt. Man transportiert hier kaum Dinge von A nach B. Warum soll man Milch aus dem Norden in den Süden transportieren oder Gemüse oder Fleisch? Die Leute würden es nicht kaufen, sie produzieren ihre eigenen Dinge. Und über die öffentlichen Verkehrsmittel und die Normalität des Trampens haben wir ausreichend jubiliert.

„Jetzt, bin ich dran, Hähni“, rufe ich und hole das nächste Vorurteil hervor. Ich habe mir vorgestellt, dass in Albanien alles dreckig und heruntergekommen ist. Auch der Armut geschuldet. Die Dörfer eine Ansammlung von Bruchbuden entlang einer schlammigen, bekackten Dorfstraße. Die Städte heruntergewirtschaftete Elendsviertel. Jede dritte Scheibe blind oder ausgeschlagen. Unbewohnbar in unseren Augen. Kinder betteln am Straßenrand. Die Realität? Ich habe noch nie so wunderschöne, lebendige Dörfer gesehen. Die Häuser, manchmal klein, aber tipitopi in Schuss. Die Gärten und Tiere gepflegt und immer ist einer zu Hause, der winkend über den Zaun schaut. Und die Städte? Wir haben die Größten besucht. Shkodar, Fier, Flora, Durres, Saranda. Und wir sind immer von außen nach innen gegangen. Am Rand ist ja meistens das Elend. Wir haben es nicht gesehen. (Der Korrekturleser möchte ein wenig relativieren: Ich fand es manchmal arg ärmlich, verbunden mit viel Müll, üblen Plattenbauten. Aber Slums wie in Indien oder Afrika gab es tatsächlich nicht),

„Jetzt Du wieder, Hähni! Hol ein Päckchen aus dem unseligen Rucksack. Zier Dich nicht. Er ist Spiegel unserer Begrenztheit, beschämt sind wir schon lange“.

Wir sind davon ausgegangen, dass es hier generell eine schlechte Infrastruktur gibt, vor allem auf dem Land. Keine Einkaufsmöglichkeiten, wenige oder lausige Quartiere, keine Cafés am Straßenrand zum einkehren. Und wie schief gewickelt waren wir da. Jedes noch so kleine Kaff hat mindestens eine Bar und irgendein Krämerlädchen. Verhungern oder verdursten tut man in Albanien ganz sicher nicht. Und überall die Gastrokühlschränke, aus denen der Reisende ohne zu fragen ein Kaltgetränk entnehmen darf. Gezahlt wird anschließend. Und das, was es im Laden nicht gibt, das bekommst Du am Ende geschenkt. Unsere Quartiere in Albanien waren die besten unserer Reise. Blitzsauber, dezent elegant eingerichtet und Wirtsleute, die uns mit ihrer Freundlichkeit die Herzen überlaufen ließen.

„So, jetzt jeder noch eins, dann reicht es“, lege ich fest und beginne sofort.

„ Hähni, Straßenhunde sollen ein großes Problem sein, sogar die EU investiert in den Tierschutz. Ich habe ein bisschen Angst vor Hunden, jedenfalls vor großen, das hat mich echt beschäftigt. Sogar Pfefferspray wollte ich mir deswegen kaufen." Was haben wir erlebt? Es gibt sie, auch sehr große, aber es sind nicht besonders viele. Sie streunen völlig aggressionslos durch die Fußgängerzonen, liegen hechelnd in den Parks oder chillen am Strand. Sie sind ein bisschen heruntergekommen, aber nicht kurz vor dem Verhungern. Es fällt immer etwas für sie ab in den Restaurants und Fleischereien. Wir haben es mit eigenen Augen gesehen.

„Huhni und jetzt ich“, und das vorerst letzte Päckchen wird auf den Tisch gelegt. „Ich hatte meine Bedenken wegen Siedlungen von Sinti und Roma, die man lieber meiden sollte. Auf dem Balkan gibt es wohl allerhand Elend in Bezug auf dieses Volk, habe ich gehört“, gesteht mein Begleiter. „Hähni, die hatte ich auch, aber erinnerst Du Dich an die Worte des jungen Velo, als er uns zur Kirche in den Bergen kutschiert hat? Ihn hatten wir befragt. Er hat uns berichtet, dass es hier und dort kleinere Siedlungen gibt. „Es sind gute Leute“. Das waren seine Worte.

Eine Minderheit ist immer das, wozu sie die Mehrheit macht. „Gute Leute“ klingt respektvoll.

Heute haben wir Fahrkarten für die Fähre nach Korfu gebucht. Ab morgen sind die Gurken wieder gerade, das Gemüse nach Größe sortiert und makellos. Wir haben den Euro zurück, die lästigen Roaminggebühren fallen weg und an der Bushaltestelle hängen wahrscheinlich verlässliche Fahrpläne. Ich weiß noch nicht, ob ich mich darüber freuen soll.