124. Etappe

Von Gjipe nach Qeparo

Wie stellen wir uns einen Partystrand in Albanien vor? Falls wir je über diese Frage nachgedacht haben, heute Nacht bekommen wir unfreiwillig Antwort. Eine Antwort, mit der wir sehr gut leben können.

Der Strand von Gjipe gilt nicht nur als einer der besten Strände Albaniens, er führt sogar viele Listen mit Lieblingsstränden in Europa an.

Abgelegen ist er und liegt am Ende einer wunderschönen Schlucht mit spektakulären Felsen. Das Wasser ist türkisblau und für August außergewöhnlich erfrischend. Mein Begleiter ziert sich hineinzugehen, das ist der beste Indikator für frisch.

Hierher kommt man nur zu Fuß. Abgesehen von ein paar nervigen Allradfahrertouristen aus Polen, tragen die überwiegend sehr jungen Menschen ihre Handtücher, Zelte, Isomatten und Paletten mit Büchsenbier in großen Rucksäcken den steinigen, steilen Weg hinunter. Manche bringt ein Boot. Um die Verpflegung braucht sich niemand zu sorgen. Es gibt zwei Strandbars und am Eingang der Schlucht sogar ein Restaurant.

Unter Feigen und Olivenbäumen versteckt sich ein Campingplatz. Man kann sich hier einmieten, muss man aber nicht. Die Leute stellen ihre Zelte am Strand auf oder schlafen unter freiem Himmel.

Von All dem ahnen wir nichts, als wir heute Nachmittag angestolpert kommen. Es liegt einfach auf unserem Weg. Wir schlittern unvorbereitet in dieses Abenteuer, wie in alle zurückliegenden auch. Wir lesen keine Reiseführer, wir gehen nur nach Pyrgos.

Mittlerweile ist es 23 Uhr. Wir haben gut gegessen und trinken noch einen Absacker.

Überall am Strand brennen kleine Feuer. Aus einem großen Lautsprecher dröhnt aktueller Albanopop. Die Musik klingt folkloristisch, hat einen mitreißenden Rhythmus.

Die vorwiegend jungen Menschen tanzen. Keiner hottet hier einsam vor sich hin. Man fasst sich an den Schultern, an den Händen, bildet einen großen Kreis. Ein schneller Wechselschritt, dann wird der Fuß geschwungen, dann ein kleiner Ausfallschritt, der andere Fuß wird gehoben und dann geht es wieder von vorne los. So kreiselt man um die Feuer. Alle können diese Schrittfolge. Wahrscheinlich haben sie diese bereits als Kinder erlernt. Ich habe meine Freude an diesem nächtlichen Treiben.

Offensichtlich mögen sie ihre Traditionen und leben sie, interpretieren sie neu. Das beeindruckt mich schwer.

Am Morgen bekommen wir noch ein Frühstück. Das wird im Restaurant serviert und ist in den 10 Euro pro Person und Nacht im eigenen Zelt enthalten. Nach dem wir alles Essbare vertilgt haben, bleibt ein trauriger Haufen zurück. „Lass uns mal schauen, was wir da fabriziert haben, Hähni“, und ich fange an zu sortieren. Jeder ein Trinkpäckchen Saft mit Halm. Einen Pappbecher Kaffee, der aus Plastikkapseln gepresst wurde, zwei Zuckertütchen, zwei Plastikstäbe zum Umrühren. Das ganze multiplizieren wir jetzt mal mit 500. So viele Menschen halten sich sicher hier unten beim Frühstück auf. Zu dem Frühstück kommen dann tausende leere Getränkedosen, also was eben so weggenuckelt wird am nächtlichen Partystrand. Meine Güte, was passiert mit dem ganzen Müll? Über die Abwässer denke ich lieber nicht nach.

 

Kleine Robertsche Abschweifung 18

 

So ein Müll!

 

Wer keine Müllberge sehen und riechen kann, sollte auf eine Wanderung durch Albanien verzichten und lieber in die Schweiz fahren. Die Müllproblematik gehört seit Jahren zu Albanien wie die freundlichen Menschen und das schöne Wetter. Müll türmt sich am Wegesrand, Plastikflaschen, Bauschutt, Autoreifen und Pappkartons. Teilweise abgefackelt, stinken die Überreste meilenweit gegen den Wind. Und als Sahnehäubchen obendrauf: Die Überreste der Müllcontainer, in die diese Zivilisationsprodukte entsorgt werden sollten. Durchrostet, oder wenn aus Plastik, zur Unbrauchbarkeit verschmort. Oder es wurden die Räder geklaut und so wurden sie selbst zu Müll.

„Huhni, was haben wir persönlich heute zu diesen Abfallbergen beigetragen? Da wären insgesamt sechs Kunststoff-Flaschen für Wasser, Fanta und Wein. Dann die beiden Bierbüchsen als Begrüßungsgetränk. Dazu drei Plastikbeutel, die wir weder brauchten, noch gewünscht haben. Ach ja, die dicke Joghurtbuddel. Und heute Abend die Papiertischdecke im Restaurant sowie die beiden Plastikhalme. Klopapier, Servietten. Und eine Menge Papier-Geldscheine, aber das war jetzt ein Scherz.

Wir haben hier als Reisende kaum die Möglichkeit, Müll zu vermeiden. Es gibt keinerlei Pfandsystem, geschweige denn eine Mülltrennung. Alles wird in die großen Tonnen geschmissen und wenn diese überquellen, einfach daneben. Oder in den Wald, Wasserkanäle oder Flüsse. Letztere schwämmen bei Hochwasser den Ekelcocktail Richtung Meer, wo sich alles am Ufer, Strand oder den Lagunen ablagert.

Wir haben versucht, uns über die Gründe dieses Ökodesasters zu belesen. Lediglich über Pläne und teure Studien ist etwas zu erfahren. Müllverbrennungsanlagen sollen gebaut werden, die gleichzeitig Energie erzeugen. Pfand- und Sortiersysteme eingeführt und und und. Aber es ist nichts davon zu spüren. Fünf Millionen Plastikbeutel verbrauchen die drei Millionen Einwohner, und zwar täglich. Und ein Umdenken ist nicht in Sicht. Vor unseren Augen flattern die leeren Coladosen über die Zäune und aus den Autofenstern, und das nicht mal heimlich verschämt.

(„Aber Hähni, jetzt will ich mal eine Lanze brechen für die albanische Bevölkerung“ schaltet sich die Korrekturleserin ein. Haben wir in der DDR nicht auch unseren Müll im Wald entsorgt und war es nicht normal die leere Zigarettenschachtel oder das Bonbonpapierchen einfach fallenzulassen wo man gerade stand oder ging? Es gab nur nicht diese Unmengen an Plastikverpackungen. Und ganz ehrlich. Unser super duper Pfandsystem und die große Errungenschaft der „Grüne Punkt“ reinigen doch vor Allem unser schlechtes Gewissen und verschleiern die endgültige Erkenntnis, das auch wir viel zu viel Müll produzieren. Bei uns recycelt man das Problem, hier liegt es ehrlich auf der Straße herum. Und sich das Ansehen zu müssen, ist schmerzhaft und lehrreich gleichermaßen. Ich empfehle Bildungsreisen zu diesem Thema nach Albanien.)

Wir befragen unseren deutsch sprechenden Vermieter über die Gründe dieses Übels und weshalb kein angrenzendes Land solche Probleme hat. Wir bekommen Plattitüden zu hören: „Die Regierungen aller Nachbarländer sind korrupt, das ist normal“. Meint er mit Verschwörermiene. „Aber unsere Regierung ist korrupt UND kriminell zugleich. Alles Geld verschwindet in deren Taschen.“

Paradox erscheint, dass in Privathäusern alles tipitopi sauber ist. Manchmal wird sogar der Müll getrennt. Aber alles landet letztlich in den großen, grauen Containern.

Eine neue Deponie wurde nach deutschem Standard errichtet. Die Gebühren für die Müllablagerung sind aber so hoch, dass die klammen Gemeinden den gesammelten Unrat dann doch nach guter alter Tradition lieber in den Fluss abkippen. Konkrete Lösungen sind kurzfristig nicht in Sicht. Also Augen sowie Nase zu und durch.

Und als ob Albanien nicht schon genug Müll an der Backe hätte, duldet es sogar noch Müllimporte aus Westeuropa. Angeblich sortenrein zur Wiederverwertung. Da lachen ja die Hühner. Aber nicht herzlich.

 

Ende der Abschweifung