121. Etappe

Von Vlora nach Orikum

„Hähni, jetzt mach aber mal einen Punkt“, rufe ich energisch in den lärmenden Verkehr. Bremse, als Vorauslaufende unsere Minikarawane abrupt ab. Beinahe gibt es einen Auflaufunfall. Gott sei Dank wirkt mein dicker Rucksack wie ein Airbag. Stillstand.

Ich drehe mich um, blicke in das leidverzerrte Gesicht meines Wandergefährten.

„Was ist denn nur los?“ will ich besorgt wissen. „Siehst Du nicht die schönen Berge, das blaue Meer, so blau war es noch nie und all die Menschen, die freudvoll ihren Sommerurlaub genießen?“

„Nein, Huhni, ganz ehrlich, ich will hier nur weg. Das ist ja lebensgefährlich, so derart rücksichtslose Fahrer rasen die enge kurvige Straße entlang, jedes mal erschrecke ich mich zu Tode, wenn da einer an uns nur knapp vorbeischrammt … und der Lärm und das Gehupe … ich halte das nicht mehr aus.“ Klagt der sonst so Souveräne, den nie etwas aus der Ruhe bringt.

Das Drama begann schon gestern Abend in unserem kleinen Haus in Vlora. Da hatte man auf unserer Terrasse die Wasserpumpe installiert und jedes mal, wenn im Haus über uns der Hahn aufgedreht wurde, fing die kleine Maschine an zu rattern und zu pfeiffen. Zugegebenermaßen sehr hoch und derb laut. Da konnte man mal eindrücklich hören, wie viel Wasser Menschen eigentlich verbrauchen und wie lange es dauert, bis ein Spülkasten wieder voll ist. Mich ging das nichts an, aber Robert war unruhig wie ein Tiger im Käfig. Ewig in Habachtstellung und wenn die Pumpe wieder los kreischte, da durchzuckte es seinen ganzen Körper. Die Gastgeber haben uns zwar den Schalter gezeigt, mit dem man bei Bedarf das Gewieher der Pumpe abstellen konnte. Aber die Betätigung des Schalters habe ich meinem Sensibelchen natürlich strikt untersagt. Könnte ja sein, dass da oben auf einmal jemand einshampooniert unter der Brause im Trockenen steht.

Irgendwie dünnhäutig ist er geworden. So kenne ich ihn ja gar nicht. Haben männliche Wesen eigentlich auch mit Hormonschwankungen zu tun?

Wir machen erst einmal eine Pause am Wegesrand. Wieder kommt eine Klagesrede über den wahnwitzigen Verkehr.

Ich höre mir das still an. Irgendwie sind wir heute auf zwei verschiedenen Straßen unterwegs. Klar ist viel Verkehr auf der Küstenstrasse von Vlora in Richtung Süden. Aber kaum LKW´s und kein Fernverkehr quält sich den heißen Asphalt entlang. Albanien investiert aktuell Unsummen in den Bau neuer Straßen und die Stadt hat eine weiträumige Ortsumgehung durch die Berge bekommen. Die Leute die hier fahren, verteilen sich gerade, nach gemütlichem Frühstück, in einer langen Kolonne auf die Strände der Umgebung. Außerdem laufen wir quasi ununterbrochen in geschlossenen Ortschaften. Viele andere Menschen sind auch zu Fuß unterwegs. Mit großen, grellen Schwimmreifen um den Bauch und Badehandtüchern über der Schulter schlurfen sie badebelatscht in Richtung Sonnenschirm-Liegestuhlensemble. Autos werden eingeparkt und schwere Picknickkörbe herausgehoben. Keiner rast hier. Man achtet aufeinander und wann immer es geht, werden große Bogen gefahren. (HaHa!?, wann immer es geht?? Der Korrekturleser kichert wild hysterisch. Auf 10 km kurviger Strecke mit dichtem Verkehr und wild parkenden Autos am Rand geht es eben 100 x nicht!! Und jedes mal ein graues Haar mehr!)

Es gibt viel zu sehen. Die Landschaft hat sich schlagartig verändert. Steil und felsig ist die Küste hier und tief unterhalb der Straße laden kleine, kieselige Buchten zum Baden ein. Geschmückt mit bunten Sonnenschirmen und Liegen aus Holz. In elegant wirkenden schilfgedeckten Bars werden kühle Getränke serviert und das Meer ist von einem durchdringend grünblau, wie ich es auf unseren vielen Kilometern entlang der Adria nicht gesehen habe. Heute sind wir am Ionischen Meer angekommen. Vielleicht hat es etwas damit zu tun.

Auf den letzten fünf Kilometer erhöhe ich unsere Reisegeschwindigkeit auf 5 Kilometer pro Stunde. Bloß ankommen heißt die Direktive, die mein gestresster Hahn herausgegeben hat. In Rekordzeit erreichen wir Orikum, schlüpfen in den Innenhof einer Pizzeria. Große Bäume spenden Schatten, der Verkehr brüllt in weiter Ferne. Wir schmeißen die Rucksäcke ab. Noch ehe wir sitzen hat Robert uns schon zwei Bier bestellt. Zwei große versteht sich. Eiskalt ist es, schmeckt hervorragend und kostet: 1,40 Euro der halbe Liter. Das Gesicht meines Gefährten entspannt sich zunehmend. Beim Blick auf den Bierpreis erkenne ich sogar einen Anflug von Lächeln. „Hähni, und heute Abend gehen wir Billardspielen. Einverstanden? Das wünschst Du Dir doch schon die ganze Zeit. Er nickt zustimmend. Ich glaube, der Tag ist gerettet.