116. Etappe

Von Rreth nach Golem

„Man, was ist hier los in Golem? Es klappt aber auch gar nichts.“ Verschwitzt und verzweifelt balanciere ich hart am Rande des Nervenzusammenbruchs.

Unser unerschütterlicher, hassgeliebter Hochseekreuzer booking.com (Hotelbuchungsapp), unter dessen Fahne wir nun seit vier Monaten äußerst komfortabel durch fremde Betten schippern, bekommt Schlagseite.

Heute Mittag um 12:00 Uhr, wir sind gerade nach wunderbarer Wanderung durch sandige Hügellandschaft in den längst vergessenen Strandwahnsinn eingetaucht, klingelt das Telefon.

„Ja, hier ist Tony vom Hotel Blue Balcony, kannst Du mich verstehen?“ Ja, kann ich, aber gerade so. Zu Diskomusik werden Kinder von einem tanzenden Menschen im Tigerkostüm zum Nachturnen animiert. Mann, ist das laut.

„Was ist denn?“, brülle ich ins Telefon und „ja, wir haben ein Zimmer gebucht für heute, ja, über Booking.“

Es ist ihm unendlich peinlich und er weiß auch nicht, wie es passieren konnte, aber das ganze Zimmer steht unter Wasser. Ja und was nun, will ich wissen? Stornieren, lautet seine Antwort.

Oh Mann, muss das sein. Ich lege auf. Wir steuern eine Bar an, lassen uns das WLAN-Passwort geben. Na dann suchen wir eben etwas anderes. Die Stadt ist ja voll mit Hotels. Nein, die Stadt ist Hotel. Bis vor 20 Jahren war Golem ein kleines Fischerdorf. Weißer, breiter Sandstrand trennte das azurblaue Meer vom schattigen Kiefernwald. Ein bisschen wie auf dem Darß. Heute trennt die Strandpromenade Sonnenschirmfelder von Hotelneubauten. Nichts hier ist älter als 20 Jahre. Es wird sich doch etwas finden, wo wir die nächsten zwei Tage bleiben können. Optimistisch drücke ich das kleine, blaue Kügelchen auf meinem Händie. Booking steht in winzigen weißen Buchstaben darauf.

Schnell werden wir fündig. Und schwupps ist ein Apartment gebucht. Nah am Strand, mit Küche, Waschmaschine, WLAN und Klimaanlage. Es ist nicht ganz günstig, aber das gönnen wir uns, schließlich wollen wir zwei Tage bleiben. Morgen wird das Wetter turbulent. Zack, zack, Buchung abschließen, Buchung bestätigt. Das geht in Sekunden. Alles ist voreingestellt. Ich lehne mich zurück. Nuckele zufrieden an meiner Ivi (die albanische Fanta). Fünf Kilometer sind es noch bis ans Ziel. Das schütteln wir doch aus dem Ärmel.

Pling macht es in meine Zufriedenheit und wenig später noch einmal pling. Was ist denn? Pling macht auf meinem Händie nur booking.com. Alles andere habe ich schon vor geraumer Zeit auf lautlos geschaltet, als man begann, sich in Gruppen bei WhatsApp und Co. zusammenzurotten.

Ich schaue nach, was es gibt. Sicher heißt uns die Pension Mali i Robit, die ich vor fünf Minuten gebucht habe, herzlich willkommen. Leider ist es nicht an dem. Die Pension Mali i Robit teilt uns in weinerlichem Ton mit, dass die Wohnung bereits belegt sei. Untröstlich ist man und könne sich auch nicht erklären, wie es dazu denn kommen konnte. Irgendetwas muss mit der App nicht stimmen.

Oh, ich glaube das nicht. Lasse mich zurück in meinen Korbstuhl fallen, die Partymusik wird immer lauter. Jetzt fange ich wieder von vorne an. Gibt es WLAN? Klimaanlage? Eine Küche? Wie sind die Bewertungen? Stimmt der Preis? Robert sitzt schweigend neben mir. Ihn geht das alles ja nichts an. Gott sei Dank, der Herr ist ja fein raus. Wut kocht hoch. Wut, die sich gerne mal über alles ergießt, was sich nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen kann.

Also nochmal von vorne.

„Hier Robert, guck, dieses Apartment nehmen wir jetzt. Es ist zwar noch sieben Kilometer entfernt, aber die Richtung nach Süden stimmt. Es erfüllt unsere Kriterien. Und es gibt Einkaufsmöglichkeiten in der Nähe. Allerdings ist es schon wieder teurer. Lass es uns trotzdem buchen. Ich habe keine Lust mehr zu suchen“, presse ich gequält heraus. Widerspruch zwecklos, verrät der Unterton in meiner Stimme. Ok. Zack, zack, Buchung abschließen, Buchung bestätigt. Eine Weile noch lauere ich in Habachtstellung auf das bedrohlich Träume zerplatzende Pling – allein das Händie schweigt.

Wir zahlen. Machen uns auf den Weg. In anderthalb Stunden können wir da sein. Ich freue mich auf eine Dusche und ein kühles Bett zum Beine hochlegen. Unterwegs, ich schlecke gerade ein kaltes Eis zur Beruhigung meines überhitzten Gemütes, klingelt das Telefon.

„Ja, hallo hier nochmal Tony vom Hotel Blue Balcony“, kräht die bekannte Stimme aus dem Hörer. „Wir konnten jetzt das Problem lösen. Das Zimmer ist wieder trocken. Ihr könnt gerne kommen.“

„Neee, lass mal, wir haben jetzt schon etwas Neues. Aber wenn das Zimmer dort auch unter Wasser steht, dann komme ich auf Dein Angebot zurück“, antworte ich und finde mich ungeheuer lustig. Das Stimmungsbarometer steigt.

Vier Kilometer später, wir sitzen im Schatten einer großen Kiefer und machen Picknick, macht es … macht es? … nein, das war doch nicht … doch es war pling und wenig später, ich hatte schon gehofft, das nächste pling.

Die Pension Bonita 645, die wir guten Mutes anstrebten, teilt uns in noch weinerlicherem Ton mit, dass die Wohnung bereits belegt sei. Untröstlich ist man und könne sich auch nicht erklären, wie es dazu kommen konnte. Irgendetwas muss mit der App nicht stimmen. ABER, man hätte etwas Vergleichbares, gleich in der Nähe, der selbe Standard, selber Preis. Ich glaube, die in Golem haben den Schuss nicht gehört. Okay, nehmen wir.

Irgendwann treffen wir dann Pavel. Er kommt aus Tschechien. Ganz jung ist er, hat gerade die Schule fertig gemacht und ist für zwei Monate in Albanien. Er arbeitet bei der Reiseagentur MyAlbania, die auch diese Wohnungen vermietet. Schüchtern schließt er mir auf. Einsilbig ist er und sehr unsicher. Die Wohnung entspricht nicht dem Standard wie die gebuchte, sie hat nämlich keine Waschmaschine (die ist für uns auf Reisen wichtig) und keinen Backofen (ich hatte schon von einem Blech mit gegrilltem Gemüse geträumt) und auch kein Bidet (naja, eher unwichtig für den Mecklenburger) und sie ist auch noch teurer als die gewählte. Egal. Sie ist sauber, sehr modern, alles auf neuestem Stand. Wir nehmen sie. Ich werde mich doch nicht mit dem armen Pavel hier rumzerren. Der kann ja weiß (Karel) Gott nichts dafür.

Wenig später. Ich liege frisch geduscht auf kühlem weißen Linnen, die Fußsohlen glühen noch nach, da macht es pling und wenig später nochmal pling. Ich schrecke hoch.

Neeee, ausziehen werde ich hier ganz sicher nicht mehr. Da würde ich mich eher festkleben.

Es ist die Pension Mali i Robit. Wo wir denn seien und wann wir ankämen? Natürlich kommen wir nicht, ihr habt uns doch abgesagt. Das sei ein Fehler gewesen, erfahre ich, und man hätte eigentlich dem nächsten, der kurz nach uns gebucht hat, abgesagt.

Schluss, es reicht. Ende der Disskusion.

Am Abend sprechen wir lange über das Erlebte. Robert ist Betrügereien auf der Spur, die über diese weltweit operierende wichtigste Buchungplattform für Unterkünfte geschehen. Fakt ist eins: Booking.com ist eine Krake, der das Kartellamt längst einige Arme hätte amputieren müssen. Ähnlich wie bei Amazon. Und dort verkaufen wir schließlich auch nicht unsere Bücher. Und es kann nicht sein, dass wir uns stumpf und unwissend in die Umarmung dieses Monsters begeben. Wir müssen mehr darüber erfahren, um bewusster damit umzugehen. Das hat uns der Tag gelehrt und darüber bin ich ziemlich froh.