114. Etappe

Von Fushe Kruje nach Kameras

„Hallo, HALLO… kommt Ihr aus Deutschland? Trinkt einen Kaffee mit mir!“

Wir werden am Ärmel gezupft und, ehe wir uns versehen, in ein Café hineingeschoben. Die gläserne Tür schließt sich hinter uns. Es ist kalt hier. Wir frösteln. Volles Rohr dröhnt die Klimaanlage. Nur wenige Tische stehen verteilt im Raum. Alle, bis auf einen sind besetzt. Alte Männer trinken Kaffee oder lesen Zeitung. Der hochgewachsene Unbekannte mit den lebendigen Augen und den schlechten Zähnen nimmt unsere Bestellung auf und gibt sie weiter an den ebenfalls in die Jahre gekommenen Wirt.

„Einen Kaffee und eine Cola bitte“, ruft er durch den Raum. Wir lassen uns nieder und sind gespannt, neugierig, etwas misstrauisch. Was soll das denn bitte? Normalerweise suchen wir uns die Lokale selber aus in die wir einkehren möchten. Will er uns etwa abzocken?

Der schlecht gekleidete Namenlose sprudelt los. In gutem Deutsch erzählt er uns, dass er 1993 nach Deutschland gekommen ist. Hat Asylantrag gestellt, wollte arbeiten. Irgendwo durch den Großraum Hannover ist er getingelt, hat auf dem Bau geschuftet. Manchmal schwarz. Er kennt Worte wie „Behörde“ und „Antrag“ und letztendlich „abgelehnt“. Nach vier Jahren wurde er ausgewiesen. Seitdem hat er nicht mehr unsere Sprache gesprochen. Er freut sich darüber, dass er es noch kann, und wir sind verwundert, in welcher Qualität er sich auszudrücken vermag. Wie es so läuft in Old-Germany, fragt er und wir berichten knapp. Nun fragen wir und er holt aus.

„Wir haben die Sonne, den guten Boden und viel Wasser. Das alles gibt es für umsonst.“

Wir erfahren, dass Albanien nach Norwegen das wasserreichste Land in Europa ist. Wein, Oliven, Gemüse, Obst, alles von höchster Qualität. Nur Bananen könne man nicht anbauen oder nur sehr kleine. Das war es aber auch schon mit gut. Die Regierung ist in hohem Maße korrupt. Wir haken nach. Schließlich haben wir gelesen, dass die direkte Nachfolgepartei der kommunistischen Partei Envar Hodschas seit Jahren mit 70 Prozent der Stimmen gewählt wird.

„Ja ja“, sagt er mit einem schelmischen Grinsen, das Intelligenz verrät, „wir wissen doch schon seit Stalin, dass es nicht entscheidend ist, wer seine Stimme abgibt, sondern wer sie auszählt.“ 50 Euro bezahlt man armen Bäuerlein für das Kreuz an der richtigen Stelle. „Für 50 Euro werden sie drei Tage satt und müssen dann wieder vier Jahre den Schnabel halten“, weiht er uns ein in dieses Schmierentheater. Und wie sie klauen, die Bonzen. Nicht mit der Brechstange oder der Pistole. Sie klauen mit dem Kugelschreiber im großen Stil. Und für alles musst Du bezahlen. Möchtest Du Arbeit haben? Dann komm mit einem Sack voller Scheine. Möchtest Du eine Baugenehmigung? Auch die ist nicht umsonst. Sozialhilfe bekommt hier keiner. Wer füllt schon diese Flut von Anträgen aus, für am Ende 20 Euro? Wäre ein EU-Beitritt gut für das Land, fragen wir. „Für die Leute wäre das gut. Aber nicht doch für die Regierung. Das würde politische Transparenz erfordern. Die Regierung könnte dann nicht mehr so hemmungslos klauen. Wer kann das von denen schon wollen?“

Vor Jahren ist viel Geld aus der EU geflossen. Die streunenden Hunde sollten von der Straße. Auch er hat die Tiere eingefangen, ins Tierheim gebracht. Sie wurden entwurmt, sterilisiert, geimpft, sollten ein besseres Leben bekommen. „Und was seht ihr?“ fragt er wieder mit diesem speziellen Lachen. Ja, was sehen wir? Die Straße ist voll mit diesen armen, räudigen Kreaturen, die im Müll nach Futter suchen. „Alle sind wieder da und das Geld ist in den Taschen der Beamten“, zieht er Bilanz.

Wir schauen uns an. Wir haben ausgetrunken. Vorerst ist alles gesagt. Wir müssen weiter. Robert zückt die Geldbörse, wir wollen bezahlen. Brüsk werden wir zurückgewiesen. Natürlich sind wir eingeladen, schließlich war er es, der uns hierher gebracht hat. „Einen Euro für einen Kaffee und ein gutes Gespräch hat hier in Albanien jeder“, erklärt er und es tröstet uns ungemein. Albanien trägt sein Herz auf der Zunge und das ist bezaubernd.

Endlich sind wir mal wieder gewandert. Endlich kein tosender Verkehr. Kruje ist eine sehr alte Stadt in den Bergen mit jeder Menge historischer Bausubstanz und ordentlich Tourismus. Fushe Kruje liegt in der Ebene. Fushe heißt soviel wie Feld. Das Kruje im Feld sozusagen oder in der Ebene. Ebendies ist ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt. Schon immer gewesen. Hier treffen sich die Hauptschlagadern des albanischen Verkehrs. Wir ertragen es nicht mehr, fünf Kilometer oder mehr an diesen tosenden, staubigen Ungetümen entlangzugehen. Ungeschützt auf vier dünnen Beinchen mit dicken Rucksäcken auf dem Rücken. Für wenige Lek haben wir uns ein Taxi zum Stadtrand von Fushe Kruje gegönnt. Öffis gibt es hier kaum. Und dann sind wir vier Stunden durch sandige, stille Berglandschaft gelaufen. Zwei Hirten haben wir getroffen, die mit ihren Tieren in alten Bunkern leben. Ansonsten war absolute Ruhe. Es hat uns gut getan.