113. Etappe

Von Mamurras nach Fushe Kruje

„Und jedes Jahr wird es ein bisschen besser in Albanien“, sagt Velo, während er seinen weißen VW behutsam um die engen Kurven steuert. Velo ist 24 Jahre. Groß, sehr schlank. Schwarze dunkle Locken umranken sein schmales Gesicht. Sanfte braune Augen werden von dichtem Wimpernkranz umsäumt. Ein absoluter Schwiegermuttertraum. Wie verkuppele ich denn am besten meine Tochter Hanna mit diesem patenten, jungen Mann? Sie sind doch im gleichen Alter.

Er fährt uns durch seine Heimatstadt Lac. Hier ist er in die Grundschule gegangen bis zur 9. Klasse und hier, gleich im Gebäude daneben, hat er Abitur gemacht. Seine Schwester betreibt ganz in der Nähe eine Apotheke und außerdem ein Café in der Etage darüber.

Er spricht gut Deutsch. Nach seinem Studium für Elektrotechnik in Tirana hat er das gemacht, was alle jungen Menschen in seinem Alter tun. Er ist zum Arbeiten ins Ausland gegangen. Ihn hat es nach Deutschland verschlagen und er hat zwei Jahre als Gärtner gearbeitet. Deutschland findet er gut, weil es so grün ist.

Velo mag die Eisenbahn, hasst Autos und hat jede Menge Träume. Einen Campingplatz möchte er eröffnen, mit Reiterhof. Nein, eigentlich zwei. Einen in der Ebene und einen auf seinem Grundstück in den Bergen. Dort wachsen uralte Olivenbäume. Er mag die Touristen, verbringt gerne Zeit mit ihnen, hört ihre Geschichten. „Projekte, Projekte“, sagt er und ein Kopfschütteln begleitet sein helles Lachen. Er ist kein Phantast.

Er fährt uns zu seinem Lieblingsplatz in den Bergen. Eine große, wichtige katholische Kirche wurde hier vor einigen Jahren an historischer Stelle gebaut. Sie ist ein Wallfahrtsort, erklärt er uns. An einem bestimmten Tag im Jahr, wann und warum genau habe ich vergessen, treffen sich hier bis zu eine Millionen Menschen, um zusammen zu beten. Velo interessiert die Kirche nicht. Er ist Moslem, so wie die meisten Menschen hier in der Gegend. Aber auch das nur aus guter alter Tradition. Unter den Osmanen vor vielen Jahrhunderten wurden diejenigen Menschen von Steuern und Abgaben befreit, die ihre Seele Allah überschrieben haben, erklärt er uns, und dass dies die wohl effektivste Art der Bekehrung sei. In die Moschee geht er nie und er hasst das Gekrähe der Muezzine. Während er das sagt, schüttelt er theatralisch seinen schlanken Körper. Nein, nein, das ist alles nichts für ihn.

Hierher kommt er täglich nur wegen der Aussicht. Die Berge, die große Ebene und dahinter das Meer. Während wir den Ausblick bestaunen, nuckeln wir an unserer Coca-Cola-Dose, die er uns vorne am Kiosk auf dem Parkplatz spendiert hat.

Auf dem Rückweg quetsche ich ihn aus. Will alles über seine Familie wissen. Seine Eltern sind in meinem Alter. Ja, im Kommunismus haben die Leute Hunger gehabt. Allerdings absurderweise nur auf dem Land. In der Stadt gab es genug zu essen. Die Dinge waren ungerecht verteilt. Nach der politischen Wende hat sich sein Vater aufgemacht. Zu Fuß ist er nach Griechenland gegangen und hat dort zehn Jahre gearbeitet. Dann ist er zurückgekommen in sein Heimatdorf. Hat Land gekauft und angefangen, Wein anzubauen. Das ist nun 20 Jahre her. Velo führt uns durch Weinkeller und eine Art Destille. Schöpft dunkelgelben Raki aus einem Holzfass zum Probieren. Das ist der Alte. Der Wertvolle. Er ist gelb, weil er jahrelang in einem Holzfass lagert, und er schmeckt auch irgendwie nach Holz.

Wir fragen, wo und wie sie denn die Spirituosen an den Konsumenten bringen? Sie haben ein Café in der Stadt. Dort kann man die Dinge kaufen und sie verschicken auch Pakete in die Hauptstadt. Aber das muss gar nicht sein. Sie wirtschaften lieber im Kleinen. Zu viel Expansion verdirbt den Charakter. Letztes Jahr haben sie sich zu einem großen Schritt entschlossen. Die ganze Familie ist im Boot. Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen. Sie haben einen kleinen Landgasthof auf dem Weingut gebaut. Im Erdgeschoss ein Restaurant, in der ersten Etage acht Fremdenzimmer. Vor zwei Wochen haben sie eröffnet und wir sind fast die ersten Gäste. Es ist ein wunderschön geschmackvoll gestaltetes Anwesen und dass in unserem Bad noch das Waschbecken fehlt und das warme Wasser nicht läuft, fällt nicht im geringsten ins Gewicht.

Velo schimpft herzhaft über die Unzuverlässigkeit der albanischen Handwerkerfirmen. Kennen wir nicht dieselbe Litanei aus Deutschland? Robert will alles über Bunker wissen. Ja, ja, es gibt Bunker. Wir haben einen im Garten und mein Vater will ihn hier ins Hotel herüberbringen und bunt anmalen, erklärt uns der junge Mann und in seiner Stimme klingt Hochachtung als er sagt: Mein Vater ist ein bisschen verrückt und wenn Du ihn fragst wie alt er ist, dann sagt er immer, er fühle sich wie zwanzig.

Der Abschied fällt uns schwer. Velos Mutter, eine stille, freundliche Erscheinung, hat uns eine Extra-Portion Petla gebacken. Als Wegzehrung. Petla ist ein traditionell albanisches Gericht, das hier zum Frühstück auf den Tisch kommt. Jedenfalls für Touristen. Wenn wir Velo glauben, dann ist Frühstück auf Albanisch ein Kaffee und ein Raki, heruntergeschluckt mit den Strahlen des ersten Morgenlichtes. Für Petla wird ein Teig aus Mehl, Ei und Joghurt zu kleinen Kugeln geformt und in Öl gebacken. Dazu gibt es dann selbstgemachte Marmelade. Ich habe eine absolute Schwäche dafür. Wir schütteln Hände. Bedanken uns auf das herzlichste und aufrichtiger Dank brandet zurück. Velo, wir wünschen Dir und Deinen Leuten alles, alles Gute, dass Eure Hoffnungen sich erfüllen und Deine Träume wahr werden.