112. Etappe

Von Fushe Milot nach Mamurras

Kleine Robertsche Abschweifung 17

Es „bonkert“*, und zwar mächtig gewaltig!

Martina hat den ersten entdeckt: Wie ein großer Pilz lag er da im Gestrüpp, oder besser, wie eine dicke Schildkröte. An die zwei Meter hoch und drei Meter im Durchmesser sind sie. Die Schießscharte, die zugleich Ausguck und Lüftung war, ist fast zugewachsen. Ein solches Bönkerchen steht selten allein, es gib in Sicht- und Schussweite immer einen zweiten oder dritten. So konnten sie sich im Notfall gegenseitig vor Angriffen schützen.

Circa 175.000 Bunker hat Enver Hodscha in den 70er und 80er Jahren bauen und aufstellen lassen. Geplant waren um die 750.000. Die kleinen, sie waren für eine Besatzung von zwei bis drei Mann vorgesehen, hocken in der Ebene und an strategisch wichtigen Straßen und kleineren Pässen. Die mittleren an den Hängen, zum Schutz der kleinen. Und oben im Berg die dicken Dinger mit schwerer Artillerie. Alles für den Abwehrkampf in Partisanentaktik ausgerichtet. Diesbezüglich war Enver Spezialist aus Kriegszeiten. Bloß keine offenen Feldschlachten, bei denen die kleine albanische Truppe nur verlieren konnte. Eine nennenswerte Luftwaffe gab es nicht. Panzer oder Marine? Alles viel zu teuer und man würde sich aufgrund fehlender Ersatzteile vom Ausland abhängig machen. Also die Verbunkerung zum Schutz des Landes.

Enver wurde von allen Seiten zwanghafte Angstzustände attestiert. Paranoia? Wieso eigentlich? Die ewigen Kriege mit den Osmanen, Überfälle und Besatzung der Italiener, zuletzt 1939, später dann durch die deutsche Wehrmacht. Und mit den Griechen gibt es bis heute keinen Friedensvertrag. Selbst Titos Jugoslawien hätte sich Albanien nach dem zweiten Weltkrieg gern einverleibt. Also, Holzauge sei wachsam! Vorsicht ist die Mutter...

Legenden ranken sich um den Bunkerbau. Angeblich ließ Enver seinen Chef-Architekten in einen dieser Bunker sperren und durch einen Panzer beschießen. Er wollte mal sehen, was da passiert. - Das ist eine üble Räuberpistole, die durch nichts belegt ist. Irgendjemand hat's erfunden und ein Schreiberling vom anderen abgeschrieben. Keiner fragte genauer nach: Was für ein Panzer, geschossen mit Kanone oder Maschinengewehr? Hatte der Bunkerbauer anschließend Kopfschmerzen und Ohrensausen? Als alter Panzerkommandant weiß ich: Mit der 100-Millimeter-Kanone vom T-55 auf die Schießscharte des Bunkers geballert – da würde sich diese Hutschachtel in alle Bestandteile zerlegen. (Die Korrekturleserin ist erschüttert. Ist sie mit einem Panzerkommandanten verheiratet? Das wäre ja glatt ein Scheidungsgrund.) Ist aber trotzdem eine nette Geschichte und deshalb findet sie hier Erwähnung. Belegt ist allerdings die Aussage eines hohen Militärs, dass keine Zerstörungs-Tests mit menschlichen Probanden durchgeführt worden sind. Ich will das jetzt einfach mal glauben.

Eine andere Legende besagt, dass die Bunker dem Schutz der Bevölkerung gedient hätten. Enver könnte einen Großteil seiner Bevölkerung dort verstecken. Auch das ist Quatsch. Den einzigen Atom-Schutzbunker hatte Enver selbst. Tief im Berg in der Nähe Tiranas (inzwischen ist er zur Besichtigung frei gegeben).

Mir gefällt diese Art der Verteidigungsstrategie. Das ist Schildkrötenart! Das Land verpanzerte sich wie die Kröte und jeder der vielen ehemaligen und damals potenziellen Aggressoren hätte sich eine blutige Nase geholt. Die Schildkröte ist nicht wehrlos. Wenn sie etwas zwischen ihre zahnlosen Kiefer bekommt, knirscht und kracht es. Übrigens: Fauchen kann sie auch.

Und was mir am besten gefällt: Mit dieser Art Verteidigung kann man beim besten Willen keinen Angriffskrieg gegen die Nachbarn führen. Die Schildkröte ist kein Panzer, hat aber einen.

Ein verstorbener deutscher Schriftsteller hat kurz nach der Wende öffentlich vorgeschlagen, den „Pleitegeier“ aus der deutschen Flagge durch den „Dürer-Hasen“ zu ersetzen. Raubvogel raus, sanftes Karnickel als friedliches Wappentier rein. Ein Zeichen für die Welt - vor uns braucht niemand Angst zu haben. Leider ist nichts daraus geworden. Analog dazu schlage ich vor, aus der albanischen Flagge den schwarzen Adler durch zwei turtelnde Schildkröten zu ersetzen. Das würde zum friedlichen Wesen des Landes passen, zu den Bunkern und den Schildkröten, deren größere Exemplare schon zu Envers Zeiten alt gewesen sind.

Die Bonker sind heute in einem erbärmlichen Zustand. Zugewachsen, im Küstensand abgesunken, vermüllt und zugekackt. Freigegeben zum Abriss für jedermann. Der verbaute Stahl ist gut, die Verwertung für manche Menschen ein mühseliger Nebenerwerb. Künstler versuchen sich an einer Nutzung, Gastronomen bauen originelle Cafés. Alles Ausnahmen, selbst als Datsche sind sie untauglich. Gut ist, dass die kleinen Bonker oben einen Henkel aus Stahl haben. So können sie wenigstens abtransportiert werden. Mit Kran oder Hubschrauber. Aber alles nahezu unbezahlbar.

Inzwischen kann man die Dinger für ca. 500 Lek (5,00 Euro) kaufen. Als faustgroße, geschmacklose Souvenire aus Marmor oder Holz. Aufschrift: „Viele Grüße aus dem schönen Albanien.“ Ich verurteile nicht den Geschäftsgeist der albanischen Kitschindustrie. Als Schöngeist jedoch schwebt mir anderes vor. Es gibt etwas, wofür ich meinen letzten Lek auf den Tisch lek(g)en würde. Ich sage nur: SCHNEEKUGEL!

Eine Schneekugel hat ja schon fast die Form eines Bonkers. Also das halbrunde Glas, darin ein Bönkerchen. Und darauf thront aus Plastik Enver Hodscha mit geballter Siegesfaust. Und wenn man dreht und schüttelt, fallen silberne - oder besser – güldene Schneeflöckchen. Was für ein Traum! Falls ich so ein Schmuckstück finden sollte: Wem in Schwerin soll ich ein solches mitbringen?

* Kein Rechtschreibfehler, bezieht sich auf die witzige Hitler-Persiflage von T. Pigor / W. Moers: „Ich hock in meinem Bonker ...“

Ende der Abschweifung

 

Heute waren wir kurz zu Hause. Wie wunderbar. Wie fern, wie nah Heimat sein kann. Auf einem sandigen Feldweg bin ich unterwegs. Irgendwo zwischen Pinnow und Gneven. Felder zur rechten und linken. Brombeersträucher säumen den Wegesrand. Pappeln rauschen beruhigend ihr silbernes Lied. Kuschelige weiße Wolken strukturieren tiefblauen Himmel. Geduldete Zivilisation in Form von großen Überlandstromleitung schaffen Anschluss an das 21. Jahrhundert. Wir vergehen uns an einer Pflaumenallee. Stopfen uns den Bauch voll mit nicht ganz reifen Früchten. Muss das sein? Ja, es muss. Sauer macht lustig und das Bauchweh bekommen wir in den Griff mit einem großen Doppelkorn. Doppelkorn? Oder doch Raki?

„Halt!“ brüllt es an meiner Seite. Ich stoppe abrupt und gleichermaßen wütend. Was gibt es für einen Grund, mich an diesem autofreien, menschenleeren Ort dermaßen zu erschrecken?

„Huhni, die kleine Schildkröte, Du trittst doch gleich auf sie“, taucht eine Stimme in meine Versenkung ein.

Tatsächlich. Vor mir im Staub kriecht in Zeitlupe eines der wunderbaren, gepanzerten Überbleibsel aus prähistorischer Zeit, welche wir in den letzten Wochen mehrfach behutsam am Panzer hochhoben, um sie über vielbefahrene Straßen zu tragen.

Jetzt wäre ich Trampeltier um ein Haar drauf gelatscht. Ich ganz und gar verträumter „HansguckindieLuft“ hätte sie um ein Haar übersehen. Die Schildkröte, das eigentliche Wappentier Albaniens.