Buon Giorno, Albanien!

Ich liege in dunkler, überhitzter Nacht. Die altersschwache Klimaanlage summt ein holpriges Lied. Aus der Ferne tönt hausgemachte Balkanmusik. Eine Hochzeit wird gefeiert, auf der Straße schräg gegenüber. Mit Feuerwerk und allem drum und dran. Vor einer halben Stunde, beim letzten Glas Wein fanden wir das noch lustig, haben getanzt auf unserer großen Terrasse unter einem grünen Dach aus Wein.

Nun liege ich stocksteif im Bett, starre mit weit aufgerissenen Augen auf die fahlweiße, schon etwas bröckelige, gekalkte Decke. Sie ist die Leinwand, auf dem mein heutiger Film gezeigt wird. Die Geräusche, die Musik sind der Soundtrack dazu. Dieses mal läuft hier kein Katastrophenstreifen, sondern ein knallharter Gangsterthriller. Mit Drogenbossen, Schmugglerbanden und korrupter Polizei.

Als Vorgeschichte sei erzählt, dass der Skadarsee nicht nur ein Vogel-, Fisch- und unberührtes Naturparadies ist, sondern auf ihm eine der wichtigsten Schmugglerrouten des Balkans verläuft.

Film ab: Mit bis zu 120 Kilometern pro Stunde jagt die Patrouille der montenegrinischen Grenzpolizei über den Skadarsee. Ein 38 Kilometer langes Stück Grenze haben sie zu sichern, schnurgerade verläuft es durch den See.Das insgesamt 500 Kilometer lange, verwinkelte und bergige Ufer ist aber nur schwer zu kontrollieren. Dort legen nachts, vor allem in vollmondklaren Nächten, die Schmugglerboote an, die von der albanischen Seite kommen. Zigaretten transportieren sie, Treibstoff, sogar Gemüse, aber auch Drogen. Die Grenzpatrouillen sind schwer bewaffnet – ein Schmuggler, der im doppelten Boden seines selbst gebauten 100-PS-Bootes Zigaretten im Wert von 30000 Euro transportiert, ist schließlich bereit, diese Werte zu verteidigen. Aber die Polizei ist natürlich korrupt. Was sonst. Drückt hier ein Auge zu und reißt an falscher Stelle eins auf. Nun kommen wir ins Spiel. Wollen über die grüne Grenze, einfach so, weil es der kürzeste Weg ist und werden Opfer einer üblen Intrige. Kaum haben wir die Grenze überschritten, stehen die zwei finsteren Polizisten vor uns. Die, welche uns vorhin in der Kneipe schon beobachtet haben. Sie fuchteln uns mit ihren Revolvern vor der Nase herum und wir müssen unsere Rucksäcke ausleeren. Dort findet man natürlich ein halbes Kilo Kokain in meinem Schlafsack.

„Was haben wir denn hier?“ fragt der erste fette Bulle süffisant und glotzt triefäugig, während er mir mit dem Koks vor den Augen herumwedelt.

„Na, wie kommen wir denn aus der Nummer wieder raus?“ stimmt der andere ein in den sarkastischen Gesang.

Zwei Möglichkeiten haben wir. Wir bezahlen 30.000 Euro in kleinen Scheinen bar und sofort und Schwamm drüber oder wir gehen für fünf Jahre in den Knast. Logisch, dass der Kellner aus der Kneipe, der uns verpfiffen hat, seinen Anteil bekommt.

Film Stopp

„Schluss mit dem Unfug!“, ermahne ich mich. Und „Schlaf jetzt!“ befehle ich mir. Morgen gehen wir über die Grenze und ganz sicher wird alles ganz unkompliziert. Hoffe ich jedenfalls.

Um acht starten wir. Der Morgenkaffee schmeckt schal. Etwas bang ist mir schon. Und immer wieder schleichen sich Szenen des nächtlichen Films in meine Gedanken. Mit hochgezogenen Schultern schleiche ich über die von Robert beschriebene Magistrale. Aus den Augenwinkeln beobachte ich genau meine Umgebung. Nichts soll mir entgehen. Noch sind wir auf montenegrinischer Seite, noch haben wir nichts Unrechtes getan. Die Straße endet, ein Schritt noch und wir sind in Albanien. Nehmen den kleinen Pfad. Rechts und links klingeln die Glocken magerer Kühe im Gebüsch. Das erste rote Dach erscheint, der Weg verbreitert sich.

„Hähni, haben wir es jetzt geschafft?“ frage ich zaghaft meinen heldenhaften Begleiter, der tapfer vor mir geht, jederzeit bereit, uns zu beschützen. Wenige Sekunden später liegt die Antwort auf der Hand. Wir stehen auf einem beschaulichen kleinen Dorfplatz. Aus einem Laden tragen alte Männer Tüten mit geschnittenem Brot. Lassen sich vor der etwas heruntergekommene Kaffeebar nieder. Trinken Kaffee und Wasser. Plaudern. Vollbeladene, klapprige Fahrräder werden geschoben. Rostige Mofas knattern durch die Gegend. Ein Busfahrer liegt unter seinem schrottreifen Vehikel und schraubt. Frauen mit Kopftüchern, in bunten Kleidern und noch bunteren Schürzen eilen heran, um zu sehen, wo der Alte denn bleibt mit dem Brot. Warum muss das auch immer so lange dauern.

Wir sind angekommen in Albanien. Landschaftlich hat sich nichts verändert. Der See ist immer noch der selbe und die Berge genauso hoch und schön. Trotzdem kommt es mir vor, als hätte sich mit dem Grenzgang ein neuer Vorhang geöffnet, der den Blick freigibt auf eine völlig veränderte Szenerie. Die Menschen haben eine andere Statur, sind kleiner und weicher. Die Sprache klingt unverständlich und geheimnisvoll. Man kleidet sich anders. Das Leben ist noch viel einfacher und spartanischer geworden. Am Ortsausgang grüßt uns ein Mütterchen mit Kopftuch. Bei unserem Anblick verwandelt sich ihr faltiges Gesicht expressiv in ein einnehmendes, zahnloses Grinsen.

„Buon Giorno“, ruft sie uns zu und hebt die Hand zum Gruß.

„Buon Giorno“, rufen wir fröhlich zurück.

„Hähni“, kichere ich,  „jetzt wissen wir ja immerhin schon, was Guten Tag auf albanisch heißt.“ Anspannung weicht dem Erleichtertsein, schlägt um ins Alberne.

Wir gehen nur noch wenige Kilometer heute. Ich verordne uns eine Ruhepause. Die letzten fünf Tagestouren entlang des Skadarsee waren aufregend, anregend, beeindruckend, aber auch äußerst strapaziös durch unzählige Höhenmeter, sengende Hitze und unser Unwohlsein.

Jetzt ruhen wir aus. Peilen die Lage, setzen neue Ziele und werden wieder richtig gesund.