106. Etappe

Von Crkla nach Shiroka

 

Kleine Robertsche Abschweifung 16

 

Im Land der Skipetaren

 

Nur Karl-May-Leser und eifrige Briefmarkensammler wissen, was die Skipetaren sind. Da die eine wie die andere Gattung Mensch quasi ausgestorben ist, sei der Hinweis erlaubt: Es sind die Albaner.

„Huhni, warum müssen wir denn unbedingt den einzigen, offiziellen Grenzübergang von Montenegro nach Albanien nehmen. Da wälzt sich der tobende Verkehr drüber. Da können wir nicht gehen. Ab Bar müssten wir den Bus nehmen oder trampen und das wollen wir doch eigentlich nicht“, nerve ich die Navigatorin unserer Reise. „Was sagt denn die Wander-App Kommot dazu?“ Martinas Finger flitzen über die Tastatur. Verbinden den letzten Punk Montenegros am Skadarsee mit dem ersten in Albanien. Und Wunder: Eine durchgängige, dünne, schwarze Linie entlang des Ufers erscheint auf dem Display. Keine Straße, eher ein winziger Weg. Das darf doch nicht wahr sein. Wenn das klappen würde! Wir sind sprachlos. Rödel rödel, wir suchen nach Infos im Internet. Ist jemand diesen Weg bereits gegangen? Ist er zugewachsen? Gibt es einen Zaun? Ist es erlaubt? Wir können nichts Erhellendes finden, allein der Entschluss ist gereift: Wir müssen es versuchen.

Crkla, das letzte montenegrinische Dorf und unser Zuhause für heute Nacht, liegt 1,5 Kilometer entfernt von der offiziellen, als dicke grüne Linie in der Karte eingezeichneten Grenze. Zogaj, das erste albanische Dorf ca. vier Kilometer. Da sitzen wir nun in Crkla im Dorfrestaurant. Beim Wein schmieden wir den gruseligen Plan. Zunächst wollen wir den Wirt fragen, ob eine Grenzquerung zu Fuß möglich ist. Kühn höre ich mich sagen: „Huhni, egal wie er sich äußert, ich gehe auf jeden Fall hin und schaue mir die Grenze an. Ich muss das sehen.

Martina geht fragen und kommt irritiert zurück. Der Wirt schüttelte wohl diffus den Kopf hin und her. Aber nicht wie unser „Nein“, sondern so, als ob er die Rübe pendelnd auf den Schultern ablegen will. Sie macht mir das vor. Das sieht sehr putzig aus und ich muss über sie schmunzeln, wie so häufig. Ich weiß natürlich was das bedeutet. Das heißt auf Balkanesisch Ja. Das kenne ich noch von Bulgarien-Fahrten in den 70er Jahren. Dabei reckte er wohl beide Daumen hoch, was ja wohl eindeutig Zustimmung bedeutet. Auch das macht sie nach.

„Huhni, kannst Du das noch mal machen, das ist sehr lustig“, bitte ich meine Liebste. Nun aber genug gealbert, ich muss los. Bin in Mission, stecke mir den Ausweis ein, 20 Euro für alle Fälle und Martinas Telefonnummer.

„Wenn ich in 90 Minuten nicht wieder da bin“, sage ich bedeutungsvoll, „dann ist etwas passiert, dann musst Du mich raushauen!“

Das erkläre ich dramatisch und tigere neugierig los.

Von der schmalen, holprigen Dorfstraße zweigt in Richtung Grenze eine neu gebaute Schnellstraße ab. Das kann nur eine Fata Morgana sein. Oder die Sonne ist mir zu Kopf gestiegen. Fassungslos beschreite ich eine ca. 15 Meter breite Magistrale. Mit feuerverzinkten Leitplanken, Begrenzungspfosten, Überholverbotschildern. Stahlnetze sichern die Straße vor Steinschlag und – weit und breit kein Auto. Alles vor der malerischen Seekulisse. 20 Minuten schreite ich durch den skurrilen Traum, balanciere irritiert auf dem Mittelstreifen entlang.

Ich bin ja nicht unvorbereitet. Auf Google-Earth hatte ich gesehen, dass diese Piste bis zur Grenze geht, dann weiter als Pfad. Wie habe ich mir die Grenze vorgestellt? Vielleicht ein löchriger Zaun, auf jeden Fall zwei Fahnen, irgendwas mit Border, böse Warnschilder. Ich komme um die letzte, weiträumige Kurve und starre blöd: Die Monsterstraße endet frontal an einer Felswand, verdichtet sich zu steinigem Pfad ins Albanische. Das einzig verbindende Element sind die Kuhfladen, die das unfassbar Gegensätzliche vereinen. Kuhscheiße kennt keine Grenzen. Ansonsten kein Hinweis, keine Flaggen – einfach nichts! Ich wechsele von Flüsterasphalt auf Trampelpfad, gehe solange bis ich die ersten roten Dächer des Albanerdorfs sehe.

Auf dem Rückweg denke ich mir: Bestimmt hat die EU in irgendeiner Form die Finger bei diesem Unsinn mit im Spiel. Wir werden das in Erfahrung bringen. Wenn wir erst wieder gutes WLAN haben.

Nach etwa einer Stunde bin ich zurück. Treffe auf eine sichtlich erleichterte, unheimlich neugierige Martina. Natürlich sprudele ich nicht los, berichte nicht brühwarm. Obwohl es mir schwer fällt, zu bewegt bin ich vom Erlebten. Ich bestelle erst einmal ein Bier. Muss doch meinen Erfolg auskosten, schließlich bin ich der Held des Tages. Zwei stämmige, bewaffnete und in Montenegro selten zu sehende Polizisten betreten den Raum. Wieso das denn? Etwa unsertwegen? Beide tuscheln mit dem Wirt. Den, welchen wir nach einer Grenzüberquerung befragten. Alle drei linsen zu uns herüber. Das kann alles noch heiter werden. Aber: Morgen früh geht’s los, das steht fest.

Ende der Abschweifung