102. Etappe

Von Rijeka nach Virpazar

Kleine Robertsche Abschweifung 15

 

Auf Schusters Rappen

 

In unserer Schweriner Nachbarschaft wohnt ein ehemaliger Stern-Redakteur. Bei einer Lesung in unserem Antiquariat trug er u.a. eine eigene Erzählung mit dem schönen Titel „Der Wichser“ vor. Um nichts Obszönes ging es dabei, sondern um einen Wiener Edelschuhmacher, bei dem jeder gut gewichste Schuh im Preissegment ab 1000 Euro liegt und bei dem der Vorlesende Kunde ist. Die Quintessenz der Geschichte: Spare nicht am Schuhwerk, vor allem nicht, wenn du Spreiz-, Senk-, Knickfüße – oder alle Leiden zusammen hast. Deine Füße, die Knie und die Wirbelsäule werden es dir danken.

Nun sind unsere Füße leidlich gesund, aber eine 3000 Kilometer lange Reise steht uns bevor – zu Fuß. Die Wahl fiel auf stabile Halbschuhe in einer für uns hohen Preislage: 250 Euro. Martina hatte sich ein Paar bestellt, mir gefielen sie und schon hatte ich auch welche am Fuß. Ein Kompromiss. Mit diesen Schuhen kann man auf kilometerlangen, verregneten tschechischen Landstraßen marschieren, aber auch zur Not über ein Geröllfeld laufen. Leicht sind sie und wirken stabil.

Die Zufriedenheit war nach Überwindung der Alpen und schlappen 1000 Kilometern dahin. Die hübschen, kleinen, aber wichtigen Noppen auf der Sohle waren abrasiert. Wie nach einem Mehrtagesmarsch auf Granitschotterpisten durch die Salpeterwüste im Osten des südlichen Chile.

Was tun? Mittlerweile in Istrien angelangt, spürten wir die Steine beim Laufen an der Fußsohle. In einer kleinen Stadt machte ich den einzigen Schuster ausfindig. Ich war gut vorbereitet: Martinas Google-Übersetzer krächzte auf Kroatisch aus dem Händie heraus: „Bitte die Sohlen reparieren.“ Er gestikulierte und lehnte ab. Ich habe nicht herausbekommen, ob er einfach keine Lust hatte, oder ob das Besohlen dieser Art Schuhe nicht möglich ist. Es gibt ja Sohlen, gegossenes Plastik, bei denen eine Reparatur ausgeschlossen ist.

In Sibenik rissen dann Martinas Schuhe vorne das Maul auf. Die Sohle löste sich. Auch hier suchten und fanden wir einen Schuster. Diese Art von Reparatur stellte kein Problem dar. Flink klebte er die Sohle. Und Geld wollte er für eine derartige Bagatellreperatur keins.

Na gut, dann eben weiter Richtung Griechenland. In der Nähe von Dubrovnik ist es dann passiert. Das erste, kleine Loch. Ferse knutscht Asphalt. In unserem Quartier angelangt, machte ich mich ans Werk. Den Deckel eines Olivenglases aus Blech schnitt ich mit dem Taschenmesser zurecht, wollte ihn mit etwas Kleber von innen auf das Loch pappen. Die Einlegesohle wieder drauf, das hätte nochmals 100 Kilometer gehalten.

Von hinten näherte sich der Herbergsvater, offensichtlich hat er mein stümperhaftes Treiben beobachtet. Mit ihm betrete ich seine Werkstatt und ich bin baff: Werkzeuge an der Wand vom Feinsten, Schraubstöcke, kleiner Maschinenpark. Er zeigt mir ein Gummistück, er schneidet es zu, raut es an. Pattex-Kraftkleber und rein in den Schraubstock. Nach 20 Minuten ist mein Schuh provisorisch repariert und ich bin bezuckert. Nicht nur vom wieder einsatzbereiten Schuh, sondern auch von der Hilfsbereitschaft und der Improvisationsfreude dieses alten Mannes.

Vorgestern haben wir einen Ruhetag in der ehemaligen Hauptstadt Montenegros eingelegt. Zeit, einen Schuh-Profi zu finden. Ich irre etwas hilflos durch die Straßen, frage Leute nach einem Reparaturmenschen und werde freundlich von Hinz nach Kunz geschickt. Am Ende steckt mich eine ältere Dame in ihr Auto und fährt mich hin. Ich stehe vor einer Art größerem Bushaltestellenhäuschen, darin ein Hühne. Ich zeige, beschreibe die Mängel, er zeigt mir Mustersohlen. Am Ende zückt er das Händie, sein Sohn kann Englisch. Es geht nur noch um den Abholtermin und den Preis von 12 Euro. Am nächsten Tag hole ich die frisch besohlten Schmuckstücke und hüpfe darin tänzelnd zum Quartier.

Martina hat es anders gemacht. In Budva ist sie in ein Intersport-Laden gegangen und hat sich verliebt.  In ein Paar superleichte, knöchelhohe Leichtwanderstiefel zum guten Preis. Ich habe ihr verboten, sie mit ins Bett zu nehmen. (Ehrlich gesagt, habe ich die Nerven verloren, merkt die Korrekturleserin an. Das Geeiere über Schotterpisten, quasi barfuß mit wenigen Millimetern Gummi unter den Füßen raubt mir den letzten Nerv. Außerdem, wer weiß wann die nächste Spowa am Wegesrand auftaucht.) Mittlerweile haben ihre neuen Stiefel und meine neu Besohlten ihre Bewährungsprobe bestanden. Nun stehen sie nebeneinander im Stall, fremdeln noch ein wenig.

Haltet durch, Schusters Rappen, haltet durch!

Ende der Abschweifung

 

Normal ist das nicht. Auch hier nicht, ich habe mehrfach die Leute befragt. Die ganz heißen Tage mit über 40 Grad gibt es. Gelegentlich. Aber nicht im Juli, nicht so früh im Jahr. Es ist schweißtreibend, lähmend und heiße Luft strömt in die Lungen. Raubt uns den Atem. Wir haben keinen Appetit, unbändigen Durst und das Wasser läuft in Strömen an uns herunter. Um 6:30 am Morgen, als wir aufbrechen, ist es einigermaßen erträglich, Tendenz fallend. Wir laufen das Panoramasträßchen Nr. 3 entlang des Skadersees auf etwa 200 Metern Höhe. Wir sind sprachlos. Etwas derartig Schönes, Besonderes, Einzigartiges haben wir noch nie gesehen. Der Legende nach wurde der See durch die Tränen einer montenegrinischen Fee geschaffen. Manche nennen es ein Märchen, ich glaube da jedes Wort. Nicht mal die Hitze kann uns unser Staunen verderben.

Der See hat viele Namen: Shkodrasee nennen ihn die Albaner, auf deren Territorium etwas weniger als die Hälfte des Sees liegt. Скадарско језеро (Skadarsko Jezero) heißt er auf Serbisch und Montenegrinisch. Und dann kennt man ihn noch unter dem italienischen Namen Lago di Scutari. Er ist der größte See der Balkaninsel. Und im übrigen sechs mal so groß wie unsere Schweriner Pfütze. Besonders tief allerdings nicht. Irgendetwas zwischen fünf und neun Metern. Скадарско језеро ist ein Paradies. Das Nordufer sumpfig und gar nicht besiedelt. Das Südufer spärlich. Nur wenige, sehr kleine Orte säumen unseren Wegesrand. Keine Industrie, die hässliche Abwässer in den See entlässt und dessen Bewohner vergiftet, kein Massentourismus. Der bis zu 1600 Meter hohe Riegel des Rumijamassivs trennt den See von der Adria und erst auf der anderen Seite beginnt der Wahnsinn des Badetourismus. Er ist die Heimat von rund 280 Vogelarten, historischen Städten, sakraler mittelalterlicher Architektur und jahrhundertealten Weinbergen.

Gegen Mittag taumeln wir in Virpazar ein. Dem größten und vielleicht touristischsten Ort am Ufer dieser Seeseite. Schlimm ist das alles nicht. Eher irgendwie urig. Ein Wort, das uns sicher auch in Hinsicht auf Albanien in der Zukunft öfter auf der Zunge liegt. Wir werden es erforschen.