Von Cetinje nach Rijeka
So ein Mist. Kein WLAN. Entzugserscheinungen übermannen mich. Innere Unruhe, Ängstlichkeit, Nervosität. Das war doch versprochen hier in dieser Drecksbude. Wir würden doch nichts mieten ohne Gratis-Wifi. Netzwerkschlüssel, Passwort, alles schon per Mail vorab angekommen. Allein mein Händie zeigt kein einziges verfügbares WLAN an. Ich halte es hoch in die Luft, tigere durch den Garten, krieche unter den Tisch und gehe sogar auf die Toilette. Kein WLAN verfügbar. Ich glaube es gerade nicht. Ich werde übergriffig, schaue in alle Ecken, alle Kammern, öffne Türen, dringe in Privatsphären ein. Wo ist der Scheißrouter. Vielleicht muss ich ihn einfach reseten. Da fällt mir die Lösung ein: Die 500-GB-Touristensimkarte. Gleich nach der Grenze habe ich sie gierig erworben. Für 10 Euro. Sicher ist sicher. Sie soll mich vor monströsen Roaminggebühren schützen und mich sicher durch die Unberechenbarkeiten der Reise führen. Nie wieder vor der gerade geschlossenen Tür eines Supermarkts stehen oder unvorbereitet in ein Dorf wandern, in dem es weder Kneipe noch Konsum gibt.
Vor ziemlich genau fünf Tagen habe ich sie gekauft und bis jetzt nicht aktiviert. Warum? Weil ich sie nicht brauche, weil es überall, in jeder Kneipe WLAN gibt und weil es mir ehrlich gesagt viel besser geht, wenn ich nicht hundertmal am Tag Mails checken muss, schauen, was es im Whatsapp-Universum Neues gibt oder mich genötigt fühle, Regenwahrscheinlichkeiten in der Wetter-App mit der Realität abzugleichen. Wie bescheuert bin ich eigentlich. Und wie viel ruhiger und beschaulicher und vielleicht auch ein bisschen komplizierter war unser Leben, bevor das große unsichtbare Paralleluniversum, das Internet, anfing uns zu beherrschen.
Aber Sucht ist nun mal Sucht. Jetzt habe ich es den ganzen Tag OHNE ausgehalten, jetzt hier nach der Ankunft in unserer Herberge brauche ich dringend meine Droge. Ich muss wissen, was es Neues gibt. Ich muss meine Tour planen (obwohl ich weiß, dass ich einfach zurück auf die Straße gehen muss um ihr die nächsten 18 Kilometer zu folgen), ich muss ein Quartier bei booking.com buchen (obwohl ich weiß, dass es in Virpazar mehr als genug preiswerte Unterkünfte gibt, ich könnte also einfach vor Ort etwas finden) und das Schlimmste – ich habe vier Stunden Zeit. Was soll ich denn bitteschön vier Stunden hier in dieser Einöde bei 40 Grad machen? Hier gibt es nichts. Ich kann nicht baden gehen, nicht shoppen, kein Museum weit und breit. Ich kann mich nicht mal in eine schattige Kneipe setzten, um meiner Lieblingsbeschäftigung nachzugehen – dem Beobachten von Menschen. Ich habe kein Buch, keine Illustrierte, keine Ablenkung. Es ist 14:00 Uhr und vor 19:00 Uhr brauchen wir nicht die anderthalb Kilometer ins Dorf zu laufen, um in der Konoba zu Abend zu essen. Und selbst das ist zu früh. Bei der Hitze kriegt man ja keinen Bissen runter.
„Robert“, so nenne ich mein Hähni immer wenn es ernst wird, wenn Gefahr im Verzug ist, „Robert, wo ist die Touristen-SIM-Karte? Ich habe sie Dir doch gegeben und Du hast sie in Deine Geldbörse. Sag jetzt nicht, Du weißt nicht, wo die Karte ist.“
„Huhni, mach mal ruhig. Ich hole sie.“ Nervös schäle ich die Karte aus dem Umschlag. Mit zittrigen Händen popele ich den winzigen Plastikchip aus der Ummantelung, suche aufgeregt den Schacht in meinem Telefon, in dem ich sie versenken möchte, um endlich, endlich wieder online zu sein.
Während Robert in einem tiefen Sessel unter einem großen schattigen Vordach leise vor sich hin schnarcht, scheitern alle meine Versuche mit Karacho.
Es geht nicht, es geht nicht, es geht nicht. Entnervt schmeiße ich das überhitzte Telefon auf den Tisch und knalle mich auf das Sofa aus Europaletten.
Dann eben nicht. Dann liege ich eben jetzt vier Stunden einfach hier rum, entscheide ich trotzig und stürze kopfüber in das informationslose Vakuum. Abgeschieden vom Rest der Welt, falle ich in tiefen, traumlosen Schlaf.
Die Zeit verging wie im Fluge. Um sieben sind wir Essen gegangen. Hier am Shkodrasee, dem größten See des Balkans, gibt es Karpfen in allen Variationen, selbstgemachten Wein und grandiose Ausblicke. Überwältigend.
Im Schutz der Kühle und Dunkelheit sind wir zurückgekommen. Haben Sophia kennengelernt, die Betreiberin dieses Anwesens. Vielleicht 60 Jahre, groß, hochgewachsen, schönes Kleid, ausdrucksstarkes Gesicht. Sie ist Malerin, konnte aber nie von der Kunst leben. Hatte immer alle möglichen Jobs und im Frühjahr dieses Jahres war das Geld restlos alle. Sie hat das Anwesen ihres Großvaters übernommen, versucht etwas Schönes daraus zu machen mit ganz wenigen Mitteln. Perfekt und teuer kann jeder, behauptet sie mit einem trotzigen Ton in der Stimme und verweist auf den Nachbarn schräg gegenüber. Das WLAN ging nicht, weil sie die Rechnung nicht bezahlen konnte, aber eben kommt sie aus Podgorica zurück, hat alles geklärt und gleich sollte es wieder funktionieren. Sie stöpselt den Router ein und siehe da. Ein Netzwerk ist verfügbar. Nun noch geschwind das Passwort eingegeben und die Welt ist wieder in Ordnung. Übrig bleibt eine etwas beschämte Schreiberin.