100. Etappe

Von Budva nach Cetinje

„Was für ein Tag“, rufe ich. Euphorisch, überwältigt, erschöpft lasse ich mich, frisch geduscht, nach hinten fallen und knalle sanft auf mein hellgelbes Kopfkissen im bequemen Bett des Apartment Bokan in Centinje. Eigentlich sollte das quasi ein Ruhetag werden. Mit dem Bus wollten wir kommen aus Budva, das ethnologische Museum hier in der Stadt besuchen und dann gegen 12:00 Uhr unser Quartier beziehen. Pustekuchen. Jetzt ist es 18:00 Uhr. Wir haben bereits zwei Gläser Wein getrunken und einen Begrüßungsraki hinuntergewürgt und alles ging auf so wunderbar, inspirierende Weise schief. Wie schief man es sich nur vorstellen kann. So schief, dass man gezwungenermaßen ablassen muss von seinen perfekten Plänen, sich dem Lauf der Dinge ergeben und am Ende darüber glücklich werden.

Die Idee, den Bus zu nehmen, entstand aus der Erkenntnis, einen Planungsfehler gemacht zu haben. Plan A sah vor, die montenegrinische Küste hinabzulaufen. Über Bar die albanische Grenze zu erreichen. Pragmatisch sind wir herangegangen. Die kürzeste Strecke wollten wir gehen, die wenigstens Höhenmeter überwinden, den Weg des geringsten Widerstandes finden. Ein Trugbild. Es gibt einen Faktor, den wir übersehen haben, den Feind an dem wir immer wieder scheitern, wenn wir uns mit ihm anlegen: die viel befahrenen Küstenstraßen. Ich bin ganz mürbe davon.

Schon vorgestern habe ich die Reißleine gezogen.

„Hähni, lass uns noch bis Budva gehen und dann fahren wir mit dem Bus über das Rumiagebirge und laufen dann entlang des Skadarsees in Richtung Albanien und kommen dann vielleicht sogar über die Grüne Grenze. Der See gehört nämlich gleichermaßen zu Montenegro und zu Albanien. Dort gibt es Weinberge, man kann Karpfen essen, kleine Straßen mit wenig Verkehr warten auf uns. Die Quartiere sind im Preis günstig, der Strandwahnsinn hat ein Ende. Dann ist es eben ein bisschen weiter und ein bisschen höher, aber wir haben unsere Ruhe.“

Der Beschluss ist schnell gefasst. In Montenegro mit dem Bus zu fahren, ist eine Leichtigkeit. Es gibt sie wieder, die verlässlichen Fahrpläne in den Bushäuschen und einen gut ausgeschilderten, pieksauberen Busbahnhof in Budva mit drei Fahrkartenschaltern, sieben Bussteigen, einer elektronischen Anzeige für die Abfahrtszeiten und einem großen Café.

11:15 Uhr Abfahrt, Peron 1, Busgesellschaft „Alo-Express“ steht auf unserem Ticket und wie immer sind wir überpünktlich am bestimmten Ort. Allein - der Bus kommt nicht. Wir sind nicht die einzigen, die da rumhängen. Zehn Minuten, 15, eine halbe Stunde, dann ein ganze und dann anderthalb. Eine kleine Leidensgemeinschaft bildet sich heraus und jeder geht anders mit diesem nicht selbstgewähltem Elend um. Neidisch betrachten wir die Reisenden nach Bar, nach Igalo, nach Herzeg Novi, Belgrad oder Tirana. Da fährt der Bus pünktlich vor. Gepäck wird verstaut, Fahrkarten abgerissen und der vollklimatisierte Reisebus rauscht davon.

Da gibt es eine junge Frau im Minikleid, das gerade mal so ihren manipulierten Vorbau verdeckt. Ihre Augen hinter einer riesengroßen, leicht fleckigen Sonnenbrille verborgen, kaut sie nervös auf ihren tragisch zu groß geraten Botoxlippen herum. Tänzelt um ihr Rollköfferchen, fummelt an ihrem Händie, ist am Rande des Nervenzusammenbruchs. Ich beobachte eine allein reisende Frau mit Kind. Das Kind im Schlepptau, liefert sie sich immer wieder sinnlose Wortgefechte mit dem Aufsichtspersonal, das nichts für sie tun kann. Sie können den Bus ja auch nicht herbeizaubern. Dann eine polnische Kleinfamilie, die resigniert in der Ecke hockt und die Zweijährige mit Kartoffelchips und Händiekonsum sediert. Ein älterer Herr steht still und geduldig und beinahe reglos im Schatten eines Baumes (ist hier etwa der Korrekturleser gemeint?), ein junges Mädchen mit schmaler Gestalt und langem dunklen Haar sitzt im Schneidersitz auf dem heißen Bussteig mit Kopfhörern im Ohr in einer anderen Welt.

Irgendwann kommt der Bus dann angefahren, spuckt Reisende aus, nimmt uns Erleichterte an Bord, aber nicht nur uns. Ein ganzer Schwall Menschen drängt sich auf einmal um die Eingangstür. Das sind die, welche den nächsten Bus um 12:45 nach Podgorica, in die Hauptstadt, gebucht haben. Fassungslos betrachten wir Erschöpften diesen Vorgang. Jetzt kommen wir am Ende da gar nicht mit. Es gibt nur eine begrenzte Anzahl Plätze. In diesen Überlandbussen darf keiner stehen. Aber der Busfahrer ist gerecht. Schaut sich die Fahrkarten genau an. Die, die schon seit elf hier stehen, werden vorrangig behandelt.

Und dann geht es endlich los. Bis auf den letzten Platz besetzt, rauscht der Bus ab. 30 Kilometer liegen vor uns, steil geht es hinauf in atemberaubenden Serpentinen, das wunderschöne Budva wird kleiner und kleiner unter uns. Ich sitze neben der Alleinreisenden. Das kleine Mädchen hat sie auf dem Schoß. Wir schauen uns an, lächeln. Wir haben es geschafft. Denken wir wenigstens. Nach etwa 10 Kilometern und zwanzig Serpentinen fährt der Bus in eine Haltebucht, der Fahrer macht den Motor aus, verschwindet mit seinem Kollegen hinter dem Bus, da wo der Motor ist. Im Bus wird es aufgrund der nicht funktionierenden Klimaanlage sofort stickig und heiß, die Menschen werden unruhig und dann kommt die grausame Diagnose: der Bus ist kaputt.

„Huhni, es ist jetzt 20:00 Uhr und wir haben noch nichts gegessen.“ Mit diesen Worten reißt mich Robert aus meiner eifrigen Schreiberei. „Kannst Du die Geschichte nicht morgen zu Ende erzählen, wir machen doch einen Ruhetag“, schiebt er nach. Ich sträube mich. Jetzt wo es gerade so spannend ist, wie wir da stehen auf glühendem Asphalt und uns alle in den wenigen Schatten kuscheln, wie die Schafe unter dem einzigen dürren Baum in der glutheißen Wüste von Arizona.

„Okay, wenn Du meinst, willige ich ein.“ Etwas widerwillig. Aber er hat ja Recht. Morgen ist Ruhetag. Manchmal müssen wir diese Tage einlegen, weil wir uns körperlich übernommen haben, zu viele Kilometer und Höhenmeter an zu wenigen Tagen. Manchmal, weil wir Erlebtes verdauen und verarbeiten wollen, manchmal, weil zu viel Bürokram aufgelaufen ist und diesmal - und diesmal zum ersten Mal - bleiben wir, weil wir an diesem spannenden Ort nicht einfach so vorbei gehen wollen. Cetinje, 13.000 Einwohner, einst Hauptstadt, in diesem Nest gibt es ein Nationalmuseum, ein ethnologisches Museum und eine Galerie für moderne Kunst. Die Fakultäten Musik, Kunst und Theater der Universität Podgorica sind hier angesiedelt. Und das alles in einer Stadt, die kleiner ist als Parchim. Das müssen wir uns genauer anschauen.