96. Etappe

Von Čilipi nach Igalo

Heute morgen haben wir so richtig gebummelt. Das machen wir immer so, wenn es uns gefällt, da wo wir sind. Wo wir gerade erst ankamen, uns sofort heimisch gefühlt haben und so gar nicht weg wollen.

Gefällt es uns mittelmäßig, brauchen wir eine halbe Stunde, gefällt es uns gar nicht - 20 Minuten. Und fühlen wir uns sauwohl, geht gut eine Stunde und mehr drauf, bis wir wieder auf der Piste sind. Wirklich leisten können wir uns das heute nicht.

Der Hitzestachel, von dem man im relativ kühlen Nordeuropa mit einem gewissen Grauen munkelt, hat uns erreicht. Wir erwarten Höchsttemperaturen um die 35 Grad. Das bedeutet – je früher, desto besser. Um 6 ist besser als um 7. Und noch ne Stunde früher wäre ideal.

Es war aber auch zu schön. Wie zum Abschied breitet Kroatien die Sonntagsdecke seiner Gastfreundschaft auf unserem Tisch aus. Unser Quartier ist ein kleines, sehr liebevoll eingerichtetes altes und kühles Haus in einem stillen Dorf. Genau, wie wir es mögen. Man hat uns frische Milch in den Kühlschrank gestellt, Süßigkeiten stehen bereit und die Gastgeberin preist einen großen Teller frisch geerntetes Gemüse aus dem eigenen Garten an. Obendrauf selbst gemachtes Olivenöl und einen halben Liter vom eigenen Rotwein. Perfekt! Und dann noch diese unfassbare Geschichte mit dem Schuh. Aber die kann ich nicht erzählen. Die gehört Robert und er wird sie ganz sicher in eine Abschweifung verwandeln. Ganz aufgeregt war er deshalb gestern am Abend. Ist hin- und hergelaufen, hat Fotos gemacht mit dem Händie. Unglaublich.

Um sieben sind wir dann losgeschnauft. Auf einem alten Eisenweg. Dalmatinerbahn hieß das ambitionierte Projekt, das die Doppelmonarchie Österreich-Ungarn aus dem Boden stampfte und das im Kern nichts als militärischen Zwecken diente.

 Zu diesem Zeitpunkt wurde ein großer Teil des Personen- und Güterverkehrs mit Schiffsverbindungen an der nördlichen Adriaküste abgedeckt. Die k.u.k. Armeeführung befürchtete im Fall einer Eroberung der Hoheitsgewässer durch Italien, dass Dalmatien von Österreich abgeschnitten würde.

1897 begannen die Arbeiten. Die Linienführung wurde entfernt der Küste gewählt, um die Bahn vor Artilleriebeschuss von Kriegsschiffen zu schützen. Sie führte damals - und sie führt uns auch heute - entlang der Hänge des Konavletasl im Drei-Länder-Eck Bosnien, Kroatien und Montenegro. Der Bau war mit großen Schwierigkeiten verbunden. Die klimatischen Bedingungen mit Höchsttemperaturen im Sommer, die spüren wir deutlich, der eisigen Bora und sintflutartigen Regengüssen im Herbst und Winter gestalteten die Arbeiten äußerst schwierig. Auf manchen Abschnitten musste wasserloses und unbewohntes Karstgebiet überwunden werden. Das Wasser für die Arbeiter und für den Betrieb der Dampflokomotiven konnte nur mittels tiefer Brunnen und Regenwasser in Zisternen beschafft werden. Die Eisenbahn fuhr am Ende so langsam und schlug derartig große Haken bis nach Bosnien hinein, dass die Bewohner des Tales andere Wege nach Dubrovnik fanden, um ihren Wein, ihre Feigen und Oliven an den Mann zu bringen. Zu Fuß war man ja fast schneller. Ein totgeborenes Kind würde ich sagen.

Und genau so ein totgeborenes Kind ist der von der EU bezahlte Wander- und Radweg, der hier vor wenigen Jahren aus dem Boden gestampft oder besser aus dem Gestrüpp geschnitten wurde. Hier ist schließlich seit über 50 Jahren kein Zug mehr gefahren und die Natur tat ihr Werk. Entlang des alten Gleisbettes, angeblich grenzüberschreitend (das kommt immer gut), wurde gewerkelt und getan und gemacht und meiner Meinung nach jede Menge Kohle in der Adria versenkt. Eine aufwendige Beschilderung, Rastplätze in einer Dichte, die mich nachdenklich stimmt, Informationstafeln (die wiederum finde ich gut), E-Bike-Ladestationen, Multimediaboards zum drauf herum tatschen – allein: Niemand kommt. Allein – niemand fühlt sich verantwortlich für diesen gigantisch tollen Weg. Geld ausgegeben, Projekt abgeschlossen, abgerechnet, ad acta gelegt und nun wächst Gras darüber. Soviel Gras und Gestrüpp, dass wir drei Jahre nach der Fertigstellung gerade noch so daran Freude haben. Alle Nachkommenden ärgern sich schwarz und werfen genervt das Handtuch. Gestrüpp, Schlangen, Spinnen, da helfen auch die gigantischen Ausblicke nichts. Eins sei noch angemerkt: Die alte Eisenbahnstrecke scherte sich einen Dreck um den Schengenraum und die heutige EU-Außengrenze zwischen Kroatien und Montenegro. Kurz vor der Grenze, es ist kaum noch ein Durchkommen, informiert uns eine letzte, zugewucherte Tafel darüber, dass wir in wenigen hundert Metern durch einen Tunnel gehen dürfen. Wie super ist das denn? Doch dazu kommt es nicht. STOP HALT GRENZE IN 150 METERN und ein eindeutiger Pfeil zwingt uns über eine mit Klopapier übersäte Stichstrasse auf die Jadranska Magistrale, wenige hundert Meter vor der Grenze. Den Weg zurück auf diese alte Bahnstrecke weist uns nach der Grenze niemand.

Nun sind wir in Montenegro angekommen. Müssen uns erst einmal sammeln, wahrnehmen, verstehen. Die Kneipe heißt immer noch Konoba und vertraute Schlager dudeln. Wir bezahlen immer noch mit Euro. Apartmant Mitić oder Sobe (Zimmer) Batić steht auf den Schildern am Wegesrand. Das kennen wir. Und mit meiner üblichen Bestellung „bijelog vina dva deci“ (Weißwein, 200 ml) erziele ich trinkbare Erfolge.

Und trotzdem. Etwas ist anders. Die Berge am Horizont sind ein bisschen höher. Ob das wohl der „Schwarze Berg“, der Monte Negro ist? Kyrillische Buchstaben schleichen sich ein. Die Sprache findet, trotz der vertrauten Wörter, etwas weiter hinten im Rachen statt. So wie man es aus dem Russischen kennt oder dem Bulgarischen. Nicht jedes Haus ist saniert wie in Kroatien, sondern nur jedes vierte. Und das auch nicht topp. Es gibt keine einzige Münze mit einer montenegrinischen Prägung. Warum? Montenegro ist nicht offiziell Mitglied in der EU. Sie haben sich den Euro bei dessen Einführung einfach gekapert. Sie hatten nie eine eigene Währung. Warum also nicht den Euro nehmen. Die Europäische Zentralbank widersprach dieser Sache zunächst nicht. Heute ist man diffus unzufrieden darüber und diese Unzufriedenheit äußert sich darin, dass man hier keine Münzen mit länderspezifischem Design prägen darf.

Wir werden sehen, was uns begegnet. Ich habe noch keinen Überblick darüber, wie viele Tage oder Wochen wir hier bleiben. Ich bin gespannt, habe keine Angst vor dem Neuen. Bin mittendrin im mittlerweile vertraut Unbekannten. Ich habe noch kein einziges Ungeheuer am Wegesrand entdeckt. Auch Kinder werden hier nicht am Spieß gebraten. Im Gegenteil, man kümmert sich liebevoll um sie. Und die Roamingproblematik löst die Touristen-SIM-Card für 10 Euro. Erhältlich an jedem Zeitungskiosk.