95. Etappe

Von Mlini nach Čilipi

Gestern in Mlini haben wir Abschied gefeiert. Abschied von Kroatien.

Spät, es ist schon nach neun, sind wir zum Essen gegangen in eine kleine Pizzeria im bergigen, stillen Hinterland, gerade mal so dem trubeligen Dubrovnik entkommen. Was für eine kluge Entscheidung. Warum sind wir da nicht früher drauf gekommen. Es ist kühl, es ist dunkel, und es ist skurril viel Leben um uns. Auf einem kleinen Sportplatz spielt die Dorfjugend Fußball im Licht einer Flutlichtanlage. In der dazugehörigen Sportsbar trinken Männer Weißwein. Überall in den Gärten und auf den Balkonen klappern Teller, Fenster sind weit geöffnet. Die tröstende Nachtluft kühlt glühend heißen Beton, strömt herein in die überhitzten Räume.

Ich bin froh, dass mir beim Essen nicht die Schweißperlen auf meine Pizza Funghi tropfen und dass ich den Weißwein vor lauter Durst nicht stürze.

Auf knapp 800 Kilometern durften wir dieses Land durchlaufen, durchleben, erfahren.

Hier haben wir unsere erste Nacht verbracht: im Zelt auf dem Eco-Gecko-Mini-Kamp in Triban im Norwesten von Istrien. Sind auf dem Parenzano durch die Trüffelwälder bei Motovun gegangen, standen nach schwerer Nacht in Titos Hostel in Potpićan vor einer Wand und sind weiter gegangen. In Omišalj, auf der Insel Krk, da wo das WLAN sich ganz von allein verbindet, nahm unser Traum von „Insel zu Insel“ Gestalt an. Den Kamm der Insel Rab haben wir auf altem Weg überquert, die karge Insel Pag durchschritten und staunend die Partystadt Novalja betrachtet. Im schlammigen Wasser vor Ljubač haben wir gebadet. Über Zäune sind wir geklettert und vor Kuhherden gescheitert in Richtung Zadar. Wir haben Rast auf der urigen Insel Pašman gemacht und die staubtrockenen Mühen der Ebene zwischen Biograd na Moru und Šibenik durchlitten. Wir haben die kroatische Eisenbahn im Selbstversuch erlebt und auf den gerölligen Bergen vor Grebaštica sind wir um ein Haar an uns selbst gescheitert. Von oben haben wir die Inselwelt der Dinariden bestaunt. Die weiße Marmorstadt Split haben wir gestreift und unser Herz an die Insel Brač mit ihren streitbaren Einwohnern verloren. Wir sind auf behäbigen Fähren geschippert und dabei dem Tod um ein Haar von der Schippe gesprungen. Wir haben den letzten Macho der Adria kennengelernt, verstört den Friedhof der Jadranska-Magistrale betrachtet und am Ende mit ihr unseren Frieden gemacht. Dem totgeschwiegenen Krieg waren wir auf der Spur. Wir haben Muscheln gegessen aus dem klaren Wasser der Bucht von Mali Stone und Engel sind uns erschienen in den Bergen über Doli. Wir hatten Heimweh in Slano und sind weiter und weiter gezogen. In Dubrovnik hat uns der Fluchtreflex überkommen und heute sind wir und morgen sind wir…

„Hähni, das kann doch jetzt nicht zu Ende sein? Ich dachte, wir hätten mindestens noch ne Woche hier in diesem wunderbaren Land“, klage ich ängstlich.

„Huhni“, tönt es salbungsvoll an mein Ohr, „Huhni, morgen beginnt etwas Neues, das wird aufregend und interessant und bestimmt auch schön.“

Papperlapapp - etwas Neues! Wer will denn schon etwas Neues. Es ist doch alles bestens hier. Ich weiß doch, wie der Hase läuft. Ich weiß, dass eine schwarze Linie auf der Wanderkarte ganz sicher im Gebüsch endet und eine doppelt gestrichelte Linie meistens. Ein weißer Weg geht immer, ein hellgelber unter bestimmten Bedingungen, die ich nun auch kenne und ein oranger – nie. Ich weiß, dass ein Appartement, mit drei Sternen versehen, grundsätzlich eine pieksaubere Herberge ist, und dass ich mir keinen Code eines Schlüsselkastens merken muss, sondern dass ich herzlich empfangen werde vom Vermieter, der auch hier wohnt. Ich weiß, dass ich Obst und Gemüse lieber nicht im Supermarkt kaufe, sondern an den zahlreichen kleinen Ständen am Wegesrand, wo selbst Angebautes verkauft wird. Es ist viel billiger und man bekommt lachend einen Pfirsich geschenkt, obwohl man nur drei Tomaten und eine Gurke für etwas mehr als einen Euro erstanden hat. Ich weiß, dass wenn man mit viel Glück die Abfahrtszeiten eines Busses erfahren hat, in aller Regel in ein gut klimatisiertes, gut gewartetes Fahrzeug steigt, das von einem souveränen, nicht angetrunkenen Busfahrer über asphaltierte Landstrassen gesteuert wird. Ich weiß, wie man die Ortsnamen ausspricht. Dass ein C ein S ist. Die Insel Cres also Sres gesprochen wird. Dass das ein č ein tsch ist. Die Insel Brač also wie Insel Bratsch klingt. Dass ein š ein sch ist. Wir weilten also auf der Insel Paschman. Und dass die verstörende Ansammlung von Konsonanten im Namen Trpanj durch ein einfaches i aussprechbar werden. Tirpanj. Man versteht mich. Endlich. Und hängt nicht hilfsbereit und ahnungslos an meinen Lippen, wenn ich nach dem Weg frage.

Ich weiß, dass ich auch Sonntagabend um 20:00 Uhr noch eine Flasche bezahlbaren Weißwein bekomme im Studenac Market am Straßenrand. Und im Konzum - und nur da - die kleinen Tütchen mit Salatdressing, die ich so mag. Ich weiß, ich weiß, ich weiß. Ich fühle mich eingebettet in meine Erfahrungen, in die überwältigende Gastfreundschaft der Menschen, wo das Geben schwerer wiegt als das Nehmen. Und in die Schönheit der Landschaft. Warum soll ich hier weg? Es gibt nicht den geringsten Grund.

„Hähni, ich komme nicht mit nach Montenegro“, verkünde ich trotzig. Montenegro. Wie das schon klingt. Schwarzer Berg heißt das. Da lauern bestimmt Ungeheuer im Gebüsch der wilden Berge, Kinder werden am Spieß gebraten und wenn ich an die Roaming-Gebühren denke... Das ist mir alles viel zu gefährlich, viel zu unbekannt und viel zu neu. Hieße es „Land der Grünen Wiesen auf denen Blumen blühen und gut situierte Europäer Picknick machen“, dann käme ich mit. Vielleicht.

„Hähni, wir machen das so“, insistiere ich. „Ich bleibe hier, in diesem kleinen Haus, in den stillen Bergen. Ich bleibe zu Hause. Und Du gehst vor. Eine Woche vielleicht. Peilst die Lage, findest Wege und gute Quartiere. Und dann kommst Du zurück und holst mich. Einverstanden?“

 

Kleine Robertsche Abschweifung 14

Studenac-Market

Morgen verlassen wir Kroatien und gleichzeitig einen guten Freund: Studenac Market (StuMa). StuMa ist eine überall in Kroatien vertretene Lebensmittelkette. Man findet sie in jeder größeren Stadt, aber was das Besondere ist: auch in fast jedem Dorf. Es soll ca. 4000 von diesen mit grün-orangenem Logo ausgestatteten Verkaufsstellen geben. Das ist ganz wichtig für uns Reisende! Denn ohne Einkaufsmöglichkeit nützt uns das preiswerteste Quartier nichts. Ein Zeltplatz ohne StuMa in der Nähe – kannst du vergessen.

Die Geschäfte haben einheitliche Standards. Selbst jeder Dorf-StuMa ist klimatisiert. Das hält die Produkte, aber auch das Personal frisch. Es gibt eine Wurst/Käse-Theke, kalte Getränke aller Art und einen vernünftigen Kaffeeautomaten. Öffnungszeiten? In der Regel täglich von 7:00 – 21:00 Uhr. In den Dörfern mit Abweichung. Überall kann man mit Geldkarte bezahlen (die Kroaten mögen das), über Google lassen sich die Läden samt Öffnungszeiten leicht ausfindig machen, Werbetafeln und Wegweiser lotsen den schweißtriefenden Reisenden in die richtige Richtung. Wir kennen dort alles, wissen, wie man den Kaffeeautomaten mit Münzen füttert, wie das Gemüse gewogen wird und dass die preiswerte 2-Liter-Plastikeule genießbaren Weißweins rechts unten im Weinregal steht. Da kommen Heimatgefühle auf, StuMa ist wie unser Netto in der Schelfstadt.

In Dörfern ohne Kneipe sind die StuMas der soziale Mittelpunkt. Gelegentlich haben wir vor diesen Läden mit den Herren des Dorfes gesessen und Bier getrunken. Jugendliche knattern heran, verweilen etwas, die Damen ergänzen ihre Vorräte und bleiben auf einen Schwatz. Niemand muss ins Auto springen, um kilometerweit zwecks Einkauf in die nächste Stadt zu fahren. Die Preise? Insgesamt nur gering teurer als in der Stadt. StuMa verfügt über Großlager, kauft zentral ein, betreibt einheitliche Werbung, ist gegenüber den „Großen“ konkurrenzfähig.

Natürlich ist es auch nur ein gewinnorientierter Konzern, aber der Ansatz gefällt mir: StuMa geht dorthin, wo die Leute sind. Kleine Läden in den Dörfern, Verkaufscontainer an den Zeltplätzen, Schulen und in den Gewerbegebieten. Die Mitarbeiter – fast nur grün-orange gekleidete Frauen - kommen aus der Nähe und kennen ihre Kundschaft. Keine Kameras, Diebstahl scheint ein Fremdwort zu sein.

Wie wünsche ich mir ein ähnliches Modell für Mecklenburg? Die Dörfer sind ohne soziales Zentrum, keine Kneipe und Tante Emma ist längst pleite. Kein Wunder, bei den Preisen, die sie zum Überleben benötigte. Die Dorfbewohner fahren zum Einkauf in die nächste Kleinstadt, zum nächsten Monopolisten, die Schnäppchenwerbung auf dem Beifahrersitz. Wer möchte in so einem halbtoten Dorf wohnen?

Vielleicht kommt mal einer der „Großen“ auf die Idee und ahmt das StuMa-Modell nach: Lidl-Land. Lütt-Aldi oder Mini-Netto könnte der Name heißen. Den Dörfern und der Umwelt würde das guttun, regionale Produkte könnten besser vermarktet werden und und und …

Was wünsche ich mir für Montenegro? Wir latschen über die Grenze und an der nächsten Ecke sehen wir ein grün-oranges Schild: Studenac-Market-Montenegro – 100 Meter rechts.

Ende der Abschweifung