94. Etappe

Von Orašac nach Mlini

Wie die Touris haben wir uns heute benommen. Dubrovnik sehen und sterben. Oder wie ging der Spruch? Soviel Schwärmerisches ist uns zu Ohren gekommen. Schönste Stadt der dalmatinischen Küste, ach was sage ich, des Mittelmeerraumes, Perle der Adria, das Athen Kroatiens. Uralt, altehrwürdig und selbstverständlich UNESCO-Weltkulturerbe. Posaunen spielen einen Choral.

Gar nicht mal groß ist die Stadt (gerade 50.000 Menschen leben hier) wies aber schon immer eine bemerkenswerte Dichte an Künstlern, Poeten, Gelehrten, Naturwissenschaftlern und Philosophen auf. Seit einigen Jahren auch die High Society der Welt.

Der historische Teil der Stadt – Stari Grad - ist ein beeindruckendes Ensemble. Mittelalterliche Kirchen, barocke Paläste, Renaissancevillen drängeln sich dicht aneinander. Kleine Gassen führen schwindelerregend steil hinauf – oder bergab. Wie man es nimmt. Alles umringt von einer imposanten Stadtmauer, einer Verteidigungsanlage, die ihresgleichen sucht. Bereits im 8. Jahrhundert erbaut, ist es das besterhaltene, defensive mittelalterliche Befestigungssystem in Europa. Etwa zwei Kilometer lang, umrundet sie die Altstadt von Ragusa (wie Dubrovnik früher hieß) und ist zum Wahrzeichen, zum Monument geworden. Allen Stürmen trotzte sie. Die Sarazenen, die Venezianer, die Mongolen, der serbischen Großžupan Stefan Nemanja, die Ritterarmee des Vierten Kreuzzugs, der bosnischen Großvojvode Stjepan Vukčić Kosača, die russisch-montenegrinische Belagerung, die österreichisch-ungarischen Truppen, die Jugoslawische Volksarmee. Alle brandeten gegen diese Mauer und alle scheiterten. Dubrovnik wurde nie eingenommen.

Logisch, dass wir dahin müssen. Die Mauer kann man begehen. Robert war vor 15 Jahren schon mal da. Da hat das vier Euro gekostet. Dann müssen wir vielleicht jetzt acht oder zehn berappen, spekulieren wir. Aber das gönnen wir uns. Zunächst müssen wir aber wieder Bus fahren. Ich sage nur: Unumgängliche Jadranska Magistrala und die Ferienwelle rollt. Wir hadern nicht mehr damit. So ist es nun. Wir laufen ja genug durch die Gegend.

Dubrovnik ist atemberaubend schön, atemberaubend voll, atemberaubend heiß und sauteuer. Die alte Stadt ächzt förmlich unter den Menschenmassen. Ich höre es genau. Besucherströme werden geleitet. Eine Art Einbahnstraßensystem hat man geschaffen an den Nadelöhren und Stadtführer recken bunte Schirme und Wimpel in die Höhe, damit ihnen die wissenshungrigen Schäfchen, welche in Herden hinter ihnen hertrotten, nicht verloren gehen. Am meisten freuen wir uns auf die Stadtmauer. Einmal rundherum in schwindelerregenden 25m Höhe. Alles können wir uns von oben betrachten.

Aber erst mal müssen wir einen Kaffee trinken. Das wäre nicht zwingend notwendig, hätte Mensch nicht gewisse Bedürfnisse, die man schlecht am Straßenrand in Weltkulturerbestädten verrichtet. Das Heißgetränk kostet stattliche vier Euro. Schluck. Als ich dann allerdings feststelle, dass man für die Benutzung einer mäßig sauberen öffentlichen Toilette stolze zwei Euro verlangt, bin ich besänftigt. Das bedeutet ja, dass mein Cappuccino nur zwei Euro gekostet hat. Geradezu ein Schnäppchen.

Jetzt erst einmal hurtig zur Mauer, genug gebummelt, ehe sich hier der Wahnsinn vollends entfaltet. Es ist ja noch nicht mal 9:00 Uhr. Wie vom Donner gerührt stehen wir vor dem Kassenhäuschen. Eintritt Erwachsene 35 Euro steht da fett und unübersehbar. Fehlt da ein Komma zwischen der drei und der fünf? Fragen wir uns ratlos, hilflos und enttäuscht. Wir haben ja schon mit dem Schlimmsten gerechnet. 10 Euro pro Person hätten wir auf den Tisch gelegt. Aber 35? Nein, das wollen wir nicht. Betröppelt schleichen wir über das durch die Jahrhunderte von menschlichen Füßen polierte weiße Marmorpflaster der Stradun, der Hauptstraße. Lustlos durch die malerischen Gässchen, vorbei an den versprochenen Palästen, Kirchen und Palais. Hoch über uns, auf der Mauer reiht sich Köpfchen an Köpfchen. Zieht die Prozession im Gänsemarsch um die Stadt. Die spinnen doch alle, denke ich trotzig und der Fluchtinstinkt erwacht.

Einen Programmpunkt haben wir heute noch. Hoch über der Stadt in der alten Festung Fort Imperial soll es eine Ausstellung geben über den zweiten der Balkankriege. Den Kroatienkrieg, welcher zwischen 1991 und 1994 wütete. Die Belagerung Dubrovniks durch die serbisch geführten Überreste der jugoslawischen Armee ist wohl das dunkelste Kapitel. Endlich spricht mal jemand darüber, endlich bekommen wir Antworten, endlich können wir vielleicht damit abschließen, nach so vielen Kilometern bedrückendem Schweigen, kurz vor der montenegrinischen Grenze.

Hier oben in den finsteren Gewölben des Forts laufe ich heute zum zweiten Mal durch die Stadt. Brennende Häuser, leere Fensterhöhlen, Ruinen, Barrikaden auf der Stradun, das völlig zerstörte Hotel Imperial, angstverzerrte Gesichter, weinende Kinder, uniformierte Waffenträger. Ein Stadtplan informiert über die von Granaten getroffenen Häuser. Quasi alle. Kein Stein blieb auf dem anderen.

Ansonsten ist die Wissensausbeute gering. Vom bosnisch-serbischen Aggressor ist die Rede und vom ruhmreichen Sieg der eilig zusammengestellten kroatischen Truppen. Zu wenig. Zu einseitig. Im letzten der vier Ausstellungsräume beobachte ich einen jungen Mann. Vielleicht 30 Jahre alt. Eifrig redet er auf seine Freundin ein. Zeigt immer wieder auf Fotos. Ich erkenne Franjo Tuđman, den ersten Präsidenten Kroatiens, irgendeinen General und andere Würdenträger. Ganz aufgeregt ist er. Wedelt mit den Armen, geht von Tafel zu Tafel. Ich verstehe nicht, was er sagt, nicht mal was er meint. Ich muss wissen, was ihn so erregt. Ich spreche ihn an, frage ob er englisch kann und ob er bereit wäre mir zu erzählen, was ihn bewegt. Wie sehr wünsche ich mir, dass er sagt: Tuđman, dieser Nationalist, hat uns alle aufgewiegelt gegeneinander. Gemeinsam mit seinem Gegenspieler dem Serbenführer Milošević hat er solange gehetzt, bis aus Freunden Feinde wurden und wir übereinander hergefallen sind. Wie konnten wir das zulassen.

Das sagt er aber nicht. Er zeigt auf die oben genannten und spricht immer noch äußerst erregt die Worte: "Ich bin so unendlich stolz auf diese Männer. Wären sie nicht, gäbe es uns nicht. Sie haben uns stark gemacht. Die Serben sind gekommen, haben von ihrem Großreich geträumt und von oben die Stadt in Schutt und Asche gelegt. Diese Leute" er zeigt wieder auf das Bild "haben uns eine Armee gegeben und wir konnten den Feind schlagen. Heute kommen sie" er meint die Serben "an unsere Strände und an unsere Küste und finden alles chic". Und dann sagt er einen Satz, der mir das Blut in den Adern gefrieren lässt. „Ich hasse die Serben“ bricht es aus ihm heraus.

Jetzt weiß ich, warum ich auf diesen elenden Berg geklettert bin in Hitze und unter Anstrengung. Um die Wahrheit zu finden. Der Ultranationalist Tuđman hat sein Erbe weitergegeben an seine Kinder und Kindeskinder. Der Krieg auf dem Balkan ist nicht vorbei. Es ist nur ein Waffenstillstand. (Hoffentlich hält er lange, wünscht sich der Korrekturleser. Zeit heilt ja manchmal Wunden.)