84. Etappe

Von Gornji Humac nach Sumartin

„Na das fängt ja gut an“, denke ich, als wir total verschwitzt und mit vom Gestrüpp aufgerissenen blutigen Waden aus dem Gebüsch springen. Nur knapp 100 Meter von der Konoba Tomić entfernt, die wir vor gut einer Stunde verlassen haben. Der Weg, zunächst gut definiert, es ging leicht bergab, die Stimmung war hervorragend, verschmälerte sich im Handumdrehen. Ein paar hundert Meter haben wir uns dann noch durch stacheliges Pflanzenzeugs gekämpft, um am Ende vor einem Zaun zu stehen. Einen, über den auch wir nicht mehr klettern wollen. Sich an diesem Stacheldrahtzaun die Hose zu zerreißen, wäre das kleinste Übel. Wahrscheinlicher wäre, dass man sich die Beinschlagader aufrisse oder Roberts Eier zwischen zwei Latten hängen blieben. Also haben wir kehrtgemacht. Zurück durch den Busch und den Berg wieder hinauf.

Wandern kroatisch. Jetzt nehmen wir die Straße.

Dabei fing es wirklich gut an heute morgen. In unserer Übernachtung war das Frühstück inklusive. Von Vorteil ist, grundsätzlich nichts zu erwarten oder noch besser, immer mit dem Schlimmsten zu rechnen. So wird man permanent positiv überrascht, das Schlimmste trifft nämlich nur in den seltensten Fällen ein. Und enttäuscht ist man nie.

Frühstück südlich der Alpen ist gewöhnlich ein in Folie eingeschweißtes Hörnchen, ein Plastikdöschen Marmelade, ein winziges Stückchen Butter, ein Saftpäckchen mit Trinkhalm. Meistens ein guter Kaffee. Genauso haben wir es in der Ekelpension in Triest erlebt (siehe 56. Etappe), damals waren wir sogar froh, dass alles steril verpackt war.

 Warum sollte es hier also anders sein. Kurz nach acht gehen wir rüber und stehen, bestätigt in unserer Annahme, vor dem kläglichen Buffet. Päckchen mit Marmelade, Päckchen mit Butter, schrumpelige Cornflakes. Nicht mal Milch gibt es mehr. Soll ich die trocken runter würgen? Und Brot? Wir holen uns erst einmal einen Kaffee aus dem Automaten. Mit dem kennen wir uns aus. Diese Dinger stehen in jedem Studenac Market. Und dann sitzen wir vor einem prächtigen, großen, weißen Teller mit nichts darauf als einem kleinen, in Goldpapier eingewickelten Butterstückchen und einem Plastiknäpfchen Marmelade. Was nun? In unsere Ratlosigkeit platzt der quirlige Gospodin (Herr) Tomić. Mit Schwung schmeißt er uns einen großen Korb mit frischem Brot auf den Tisch und bietet uns Eierspeisen in allen Variationen an. Rühreier mit und ohne Speck, Spiegeleier, gekochte Eier, Eierkuchen mit Schokoladensoße. Schnell müssen wir uns entscheiden. Gospodin Tomić ist chronisch in Eile. Das ist uns gestern schon aufgefallen beim Abendessen. Ständig läuft er umher. Mal steht er am Grill, dann kassiert er ab, dann kommen späte Übernachtungsgäste, um die muss er sich auch kümmern. Ein echter Tausendsassa.

Wenige Minuten später steht das Gewünschte auf dem Tisch. Und noch einen dritten Teller balanciert er in Windeseile heran. Er ist voll mit Schafskäse, Schinken und Wurst aus eigener Produktion. Na klar, eine Landwirtschaft hat er ja auch noch. Jetzt sind wir aber baff.

Die Straßenlatscherei war halb so schlimm. Wenig Autos, immer wehte ein frisches Lüftchen. Wellenartig, etwa aller zwei Stunden, erhöhte sich das Verkehrsaufkommen merklich. Da kam sicher gerade eine Fähre in unserem Zielort Sumartin an, um die am Festland aufgenommenen Sommerfrischler auf der Insel auszuspucken.

Sumartin, Gornji Humac, Postira, Supetar und auch alle anderen Ortschaften der Insel erstrahlen in prächtigem Weiß. Sie sind gebaut aus dem ortsüblichen Gestein, dem Bračer Marmor. Fast ist man geblendet und der Kontrast zum azurfarbenen Meer und zum tiefblauen Himmel wirkt unanständig schön. Überall in den Gärten wachsen große Büsche mit rosa und lilafarbenen Blüten. Sie vollenden dieses Bild.

Bračer Marmor ist ein Stein, der hier seit vielen Jahrhunderten abgebaut wird. In Europa lesen sich die Bauten mit diesem weißen Stein wie eine Who-is-Who-Liste der Architektur: Paläste in Venedig, das Reichstagsgebäude in Berlin, das Parlament in Budapest, der Statthalterpalast in Triest und einige Prachtstücke entlang der Ringstraßenbauten in Wien zeigen den kroatischen Stein.

Die Schönheit dieses Baustoffes erkannte auch der Kaiser Diokletian. Er benutzte die Blöcke zur Erbauung seines Palastes in Split. Da waren wir ja vor wenigen Tagen. Abgehauen sind wir, wegen warm und wegen voll. Schön ist der Palast allemal.

„Hähni, wusstest Du, dass sogar das Weiße Haus in Washington aus dem sogenannten Adriagold besteht?“

Im Norden der Insel kuschelt sich ein kleines Dorf in eine tief eingeschnittene Bucht. Pučišća gilt als eine der schönsten, kleinen Orte Europas. Und es gibt eine Steinmetzschule. Die einzige ihrer Art in Kroatien und eine der wenigen in Europa. Sie verfügt über ein sehr hohes Ansehen unter Fachleuten. Die Schüler selbst benutzen noch heute geerbtes, altes Werkzeug aus den Zeiten der Römer. 2000 Jahre alt.

„Ach ja ...“ seufze ich wehmütig. Wie gerne wäre ich Schülerin an dieser Schule. Und Winzerin und Olivenbauerin und Schäferin und und und. Schade, dass das Leben so kurz ist