83. Etappe

Von Postira nach Gornji Humac

„Oh, holdes, wildes, einzigartiges Eiland Brač.

Getrotzt hast Du den Stürmen der Geschichte.

Eroberer und Gierige und Grausame kamen und gingen.

Charakter hast Du bewiesen, Du Wiege der Partisanen. Land der Oliven und des Weines.

Grüner ist hier das Meer und blauer der Himmel und öliger die Sardinen.

Und ewig weht ein kühles Lüftchen vom Festland herüber.“

Wer jetzt denkt, dieser poetische Erguss stamme von Vladimir Nazor, dem wohl wichtigsten jugoslawischen Schriftsteller, der hier auf der Insel geboren wurde, der hat sich geschnitten. Diese Zeilen stammen von mir. Mein Hohelied auf diesen wunderbaren Flecken Erde. Gedichtet auf 17 Kilmetern und 570 Höhenmetern. Nicht schlecht, oder?

Was mich so ungeheuer beruhigt, ist die Tatsache, dass man hier nicht alles auf eine Karte setzt. Nicht alles auf die Schimäre des Tourismus. Es ist nur ein Bein, auf dem man steht.

Ich erinnere mich gut an die bedrückenden Momente auf der Insel Pag. Stundenlang durchwanderten wir aufgegebene Gärten und Felder. Trostlos, steinige Melancholie. Hektarweise. Der berühmte Pager Schafskäse ist ja wohl ein Witz. Keine 20 dürren Wollträger haben wir da getroffen unterwegs - und wir haben die Insel in gesamter Länge durchwandert. Dafür die besoffenen „Schafe“ in der Partystadt Novalja, dem neuen Zentrum der Insel.

Hier auf Brač gibt es eine intakte Landwirtschaft. Oder auch Seewirtschaft. Vor Postira fischt man Sardinen aus dem Meer und pfercht sie in kleine Büchsen. In einem mittelständischen, modernen Unternehmen. Die Strände der Insel sind kleine Buchten, in denen wir jetzt, Ende Juni, immer noch verstörend wenige Menschen treffen und unsere gesamte Tagesetappe schlängelt sich durch einen gepflegten, von der EU finanzierten Oliven- und Weingarten. Schilder am Wegesrand weisen darauf hin. Der Zustand wirkt balanciert.

Am Ende des Tages treffen wir auf einen Beherbungsbetrieb, der die Idee der Insel in sich vereint. Ein paar Fremdenzimmer, eine Konoba (einfaches kroatisches Restaurant) und alles, was hier über dem offenen Feuer gegrillt wird, stammt aus eigenem Anbau oder aus eigener Zucht. Ohne den meist teuren Zusatz – Bio. Das gibt es hier in Kroatien eh kaum.

Die Insel war durch ihre Größe (sie ist die größte in Dalmatien) und ihre strategisch günstige Lage immer den Begehrlichkeiten der mittlerweile untergegangenen Weltreiche ausgesetzt.

Vom 11. bis 15. Jahrhundert war Brač permanent umkämpft: Ungarn, Venezianer und die Piraten aus Omis kamen, gingen oder wurden verdrängt. So entwickelte sich unter den dauerhaft hier wohnenden Bauern eine sehr auf Selbstständigkeit bedachte Kultur und es verwundert kaum, dass sich wenige 1000 Menschen Ende des 18. Jahrhunderts der überlegenen Österreichischen Armee entgegenstellten und in einem Bauernkrieg mehr Autonomie forderten. Zwar wurde der Aufstand niedergeschlagen, aber auch die k. u. k. Monarchie konnte das begehrte Eiland nicht lange halten: Russen, Franzosen und Engländer zog es an die Adria und sie alle machten auf halt auf Brač. Italien schaffte es immerhin, lange genug zu bleiben, um das Italienische als offizielle Sprache zu verankern - viele Bewohner sprechen es heute noch fließend. Immer wieder lehnte sich die Bevölkerung gegen die fremden Herren auf und gründeten die Arbeiter- und Nationalbewegung, die von hier aus auch das restliche Kroatien erfassen sollte. Hier war das Zentrum der Partisanenbewegung, die im zweiten Weltkrieg erbittert gegen den Feind kämpfte und als Vorreiter der kommunistischen Politik des Landes gilt.

Überall in den Orten, die wir durchlaufen, finden wir Tafeln, die auf Geschehnisse während des zweiten Weltkrieges hinweisen.

Im Frühjahr 1942 besetzten Truppen des faschistischen Italiens die Insel. Ein Jahr später bildeten sich überall antifaschistische Gruppen der Volksbefreiung, die heftigen Widerstand leisteten. Die gewaltsamen Auseinandersetzungen gegen Mussolinis Schergen kulminierten in zahlreichen Hinrichtungen und dem Abbrennen der wichtigsten Orte der Insel. Durch mindestens drei sind wir gelaufen und haben, mit einem Kloß im Hals, die Namen und die Geburtsdaten der jungen Männer gelesen, welche hier ums Leben kamen. Quasi das halbe Dorf.

Gornji Humac, unser heutiges Etappenziel liegt 500 Meter über dem Meeresspiegel und ist der höchste Ort auf der Insel Brač. Hier gibt es kein Meer. Aber einen Pool. Den haben wir mitbezahlt. 10 Meter lang und 2 Meter tief.

Nach 550 Höhenmetern und 31 Grad im Schatten bin ich sehr erfreut darüber. Das haben wir uns verdient! Ich springe hinein und schwimme und schwimme und schwimme. Hin und her und her und hin  in meinem kleinen Wasserkäfig. Alles nur für mich. Ich muss die Erfrischung nicht teilen mit nervigen Seeigeln, ekeligen Fischen, schwabbeligen Quallen, gefährlichen Haifischen oder verstörenden Touristenmengen. Ich entspanne mich im wohltemperierten, sterilen Wasser und der sanfte Atem des Chlors lullt mich ein.