Von Supetar nach Postira
Kleine Robertsche Abschweifung 12
Und nochmal die Mücke zum Elefanten gemacht.
Unsere Herberge besteht aus einem Schlafzimmer mit Doppelbett und einer Küche mit Schlafsofa und Klimaanlage. Die Hitze ist groß und wir lüften abends nochmal alles durch. Von Fliegengittern keine Spur, offensichtlich in Kroatien unbekannt. Oder die Kroaten haben ein so dickes Fell, dass sie solchen Firlefanz nicht benötigen.
Martina besteht auf über Nacht weit geöffneten Fensterflügeln. Ansonsten erstickt sie, behauptet sie zumindest. Mir ist mulmig, aber es gibt für mich bei Mückenalarm die Fluchtmöglichkeit aufs Sofa in die klimatisierte Küche. Beruhigt schlafe ich ein, um gegen Mitternacht schweißgebadet vom Mückenkonzert an meinen Ohren geweckt zu werden. Ich ziehe die Reißleine, schleiche mich samt Kissen in die Küche, stelle die Klimaanlage an, brause kalt ab und lege mich im eigenen Schlafsack aufs Ohr. Die Klimaanlage schnurrt, die Temperatur sinkt auf 25°C, alles gut. Denkste! Die ersten Vampire nähern sich wieder, ich bin pappsatt. Das sinnlose Herumschlagen oder in den Schlafsack verkriechen bringt doch auch nichts. Nach spätestens zwei Minuten krauche ich sowieso halb erstickt aus der Pelle. Und darauf warten die Biesterlinge nur.
Also anders: Ich drehe die Aircondition auf Kälte maximal. Wollen doch mal sehen, wer länger aushält. Die Mücke oder Robert. Im Winter verkriechen sich die Viecher doch auch irgendwo. Nun habe ich nicht erwartet, dass sie reihenweise erfroren von der Wand fallen, aber eine Art Schockstarre habe ich mir schon gewünscht. Ich versenke mich im Schlafsack und bekomme eine kalte Nase. Doch kurze Zeit später sind sie alle wieder da, tanzen einen Reigen und möchten bei mir ein Warmgetränk einnehmen.
Ich bin am Ende. Gegen drei Uhr kommt Martina in meine Eishöhle gekrabbelt. Aufgrund meiner Abwesenheit stürzten sich alle Blutsauger nun auf sie. Normalerweise gehen die Mücken stets auf mich und saugen sich nach Herzenslust voll. Wahrscheinlich mögen sie meine ausgefallene Blutgruppe 0-Rhesus-Negativ. Gilt in Insektenkreisen möglicherweise als „lecker“.
Irgendwann fallen wir erschöpft in den Schlaf. Morgens räumen wir die Bude auf. Beim Schließen der Fenster bemerke ich ein kleines Zugseil. Will ich es überhaupt wissen? Ich ziehe vorsichtig und butterweich rollt ein perfektes Fliegengitter herunter. Engmaschig, kein Durchkommen für ungebetene Gäste. Ich kontrolliere die anderen Fenster – auch hier baumelt das kleine unscheinbare Seil. Martina ist noch im Bad. Soll ich es ihr sagen? Es bleibt die Feststellung: Wie blöde kann man eigentlich sein?
PS: Wenn ich ehrlich bin, sind mir diese Vampire ganz sympathisch. Am Tag schlafen sie in irgend einem kleinen Sarg und nachts geh'n sie sich besaufen. Wer wünscht sich das nicht, ist doch toll, oder?
Ende der Abschweifung
Heute haben wir unsere Reise auf eine neue Stufe gehoben. Immer kühner werden wir und abenteuerlustiger. Als wir am Morgen gegen 8 Uhr in Supetar die Tür hinter uns schließen, ist noch nicht klar, wo wir heute Abend schlafen werden. Hört, hört. Wie unglaublich verwegen. Nun gibt es natürlich Abstufungen von Verwegenheit. Da wären folgende Optionen:
Variante 1: eine 25-Kilometer- Tour über 700 Höhenmeter (die höchste Erhebung der Insel ist 776 Meter hoch) bei 32 Grad im Schatten. Unser Ziel, ein winziges Bergdorf, von dem wir nicht genau wissen, ob vielleicht der vorletzte Einwohner im Zuge der großen Auswanderungswellen im Laufe des 20. Jahrhunderts den Ort verlassen hat. Und der letzte starb 100jährig vor ein paar Monaten. Wir schleppen Wasser, Nahrung, alkoholische Getränke und uns selbst über steile Pfade.
Variante 2: Wir spazieren zehn Kilometer immer entlang der Küste. Durch Olivenhaine und Weinberge. Kommen früh am Tag an, in einem lebendigen Hafenörtchen. Der Fokus liegt hier auf dem Tourismus, dem Wein, den Oliven, den Sardinen. Schauen, wo wir unterkommen in einem der vielen angebotenen Appartements, und wenn wir gar nichts finden, nehmen wir das preiswerteste Angebot von booking.com für 88 Euro. Tut zwar weh, würde aber gehen. Oder wir schlafen im Zelt am Strand.
Ist doch klar, wofür wir uns entscheiden. Wir tasten uns behutsam an die Sache heran und nehmen Variante zwei. Zu viel Abenteuer tut nicht gut. Mir nicht und Robert auch nicht mehr. Früher war das anders. Behauptet er zumindest. In Uganda ist er auf einen 5000er gestiegen. Da haben bestimmt arme Einheimische sein gesamtes Gerassel getragen und noch für ihn gekocht.
Wir spazieren nach Postira. Ich bin etwas aufgeregt. Wie wollen wir das denn anstellen? Einfach an den Türen klopfen und fragen, ob noch ein Zimmer frei ist? Einfach so? Einfach so wie früher? Als das Smartphone noch in Science-Fiction-Geschichten vorkam und die Vorstellung von Krakenplattformen wie Airbnb und booking.com jedem echten Reisenden einen Gruselschauer über den Rücken gejagt hätte.
Am Ende ist es einfach. Irgendwie ein bisschen zu einfach. Es gibt eine Touristeninformation, wie es sich für einen Urlauberort gehört. Das habe ich über Google herausbekommen und auch, dass sie bis 14:00 Uhr geöffnet, top bewertet und angeblich nur 30 Meter von uns entfernt ist. Ich lege das Händie beiseite, setzte die Lesebrille ab und schaue mich um. Tatsächlich. Direkt hinter uns steht ein kleines Häuschen mit einem großen i an der Tür. In seiner Beschaulichkeit erinnert es mich an die Touristeninfo in Sternberg. Heimelige Gefühle kommen auf. Ob ich das wohl ohne Google gefunden hätte?
Es findet sich schnell ein bezahlbares Quartier für uns, nur einen Steinwurf entfernt. Und gegen halb eins liegen wir im kühlen Zimmer, mit Fliegengitter, Klimaanlage, Deckenventilator und holen Nachtschlaf nach. Dringend notwendig ist das.
Am späten Nachmittag machen wir eine Ortsbegehung und landen, wie gewöhnlich, in einer Hafenbar. Bei einem Glas Weißwein lese ich Robert alles vor, was ich über den Ort und die Insel recherchieren kann. Geschichte, berühmte Persönlichkeiten, Wirtschaft, Geographie, Flora und Fauna. Da, ich traue meinen Augen nicht. Das kann doch nicht sein. Was mit einem Kichern beginnt, endet in einem Lachanfall. Immer wieder versuche ich vorzulesen, immer wieder ersticken meine Worte in einem Lachen.
„Also, Hähni, hör zu, es gibt einen Graben zwischen der Insel Brač und der Insel Hvar. Einen Tiefseegraben, der ist fast 100 Meter tief. Dort werden mitunter sehr, sehr besondere Tiere entdeckt, das letzte mal 2019. Die Löcherkrake, lateinisch tremoctopus violaceus. Hähni, ich weiß nicht, wie ich es erklären soll, es gibt da gewisse Größenunterschiede zwischen Weibchen und Männchen.“
Lachtränen laufen mir die Wangen herab.)
„Also, das Weibchen ist 2,5 Meter lang und wiegt um die 10 Kilogramm, stattlich oder? Das Männchen…“ Ich versuche die Pointe prustend hinauszuzögern. „Das Männchen ist…“ Mir tut schon der Bauch weh vor Lachen. „Das Männchen ist 2,5 Zentimenter lang, wiegt ein Viertel Gramm und ist gerade mal so groß wie die Pupille des Weibchens. Logischerweise stirbt das Männchen nach der Befruchtung. Eine andere Idee hätte ich da auch nicht.“ (Wieso, meint der Korrekturleser, er könnte doch auch nach vollzogenem Akt die dicke Trulla mit Tentakeln samt Saugnäpfen verschlingen.)
Was sagt man denn dazu? Das muss ich erst einmal verdauen. Ich nippe an meinem kühlen Weißwein und blicke über den Rand meiner Sonnebrille auf die Strandpromenade von Postira. All die hübschen, sonnengebräunten Damen in bunten Kleidern. Wie sie flanieren, wie prächtig sie sind. In allen Altersklassen. Irgendwo am Boden krabbeln die nur fingernagelgroßen männlichen Wesen in bunten Shorts und mit Sonnenbrille. Da muss man ja aufpassen, dass man nicht darauf tritt. Das Kopfkino schlägt Kabolz.