81. Etappe

Von Trogir nach Supetar

Ich glaube es nicht. Also… ich glaube es gerade nicht. Als ich heute morgen meinen Kopf aus dem Zelt stecke, sehe ich Robert von hinten. Dünnwadig stakst er, in Badehose, etwas wackelig über feine Kieselsteine. Steuert zielstrebig den Bootsteg an, der über das steinige Ufer weit ins Meer führt. Kreist die Arme zur Erwärmung. Steht eine Weile still, sammelt Kraft. Jetzt schaut er zu mir. Wild entschlossenes Gesicht in hoffnungsvoller Erwartung bewundernder Blicke. Was ist los? Will er mir imponieren? Das hat er doch gar nicht nötig, ich bin doch schon restlos begeistert von ihm – täglich.

Dann trippelt er los. Erst auf der Stelle, dann gibt er Gas. Rennt immer schneller. Der ganze 20 Meter lange, schwimmende Steg wabert und gluckst unter seinen flinken Füßen. Ein letzter Blick über die Schulter, ob ich auch wirklich gucke. Mutmachend grüße ich in seine Richtung. Und dann springt er. Kopfüber in das im Morgenlicht noch gräuliche, völlig stille Meer. Spritzerlos taucht er ein. Mir steht der Mund offen.

Es ist 6:30 Uhr am Morgen. Dieser Mensch ist nicht mein Mann.

Robert, die größte Mimose was Wassertemperatur anbetrifft. Der sich damit rühmt, selbst im größten Mecklenburger Sommer nicht ein einziges Mal auch nur einen einzigen Fuß in einen der vielen Schweriner Seen gesteckt zu haben. Wegen – zu kalt. Was sonst. Der auch hier an der wunderschönen Dalmatinischen Küste immer wieder Gründe an den Haaren herbeizerrt, heute nicht ins Wasser zu gehen, springt in aller Herrgottsfrühe ins Meer. Einfach mal so. Ob das was damit zu tun hat, dass ich gestern alleine schwänzeln war? Aber so spät war ich doch gar nicht zurück.

Nach einem Automatenkaffee aus dem Studenac Market schräg gegenüber brechen wir auf. Weit haben wir es heute nicht. Nur etwas steil ist es und schon wieder drückend heiß. Wir wandern nach Slatine. Dort wartet ein Schiff auf uns. Oder wir auf das Schiff. Ich bin allerdings hoffnungsvoll. Während man die Busfahrpläne in der Pfeife rauchen kann, wenn man denn überhaupt mal einen findet, sind die einfach zugänglichen Fahrpläne der zahlreichen Schiffsverbindungen sehr zuverlässig.

Pünktlich um 11:30 Uhr startet der Kutter, der uns nach Split bringen soll, seinen Dieselmotor. Seinen sehr alten Dieselmotor. Das ganze kleine Schiffchen ist heruntergekommen, verrostet, unaufgeräumt und alles etwas schmuddelig. Aufs Klo möchte ich hier nicht gehen. Die Besatzung besteht aus dem stämmigen Kapitän im fleckigen grünen Burda Line Shirt. Einem etwa 13jährigen, dunkelhaarigen Schiffsjungen und einem zotteligen schwarzen Hund. Wir tuckern los. Wie es ächzt und stöhnt dieses Schiff, man versteht ja sein eigenes Wort nicht. Der Kapitän steuert es aus dem Hafen und bringt uns auf Kurs. Dann geht er durch die Reihen der Fahrgäste, mit einer Klopapierrolle unterm Arm und verschwindet hinter einer Tür. Offensichtlich die Männertoilette. Und da bleibt er erst einmal.

„Robert“, frage ich etwas ängstlich meinen Mitreisenden, „wer steuert denn jetzt dieses Schiff?“

„Na, der Hund, wer sonst?“ Die Antwort kommt schnell und trocken.

Er bleibt da wirklich unverschämt lange. Der Hafen kommt schon in Sicht. Wenn nun ein anderer Reisender auch mal muss? Aber es wird schon seine Richtigkeit haben. Als endlich die Klospülung rauscht und er sichtlich erleichtert wieder sein Führerhaus ansteuert, die Klopapierrolle hat er nun nicht mehr dabei, bin auch ich erleichtert.

Das Meer ist blau, die Sonne scheint und die Stimmung unter den sonnenhuttragenden Fahrgästen ist gelöst. Vor allen liegt ein schöner Tag in der Hauptstadt Dalmatiens. Sie werden durch die Gässchen bummeln, Souvenire kaufen und ein Eis lecken. Ich betrachte mir das Geschehen voll Freude und wieder muss ich an das verheerende Bootsunglück vor der griechischen Küste denken. Vor wenigen Tagen ist hier ein Schiff voll mit Geflüchteten gekentert. Die meisten der 500 bis 700 Menschen, die auf dem Schiff gewesen sein sollen, sind wohl zusammen mit ihm untergegangen. Viele Frauen und Kinder waren unter Deck. So fern und doch so nah liegen die Dinge beieinander. Jedenfalls in meiner Seele.

Split streifen wir nur flüchtig. Diese Stadt ist uns einfach zu groß. Mit 160.000 Einwohnern ist sie die zweitgrößte Kroatiens und der wichtigste Fährhafen des Landes. Ein riesiges Kreuzfahrtschiff liegt vor Anker. Wie viele Menschen da wohl drauf passen? Und die sind jetzt alle in der Stadt? Schleichen durch die alten Gässchen, machen Selfies vor dem Diokletianpalast, der Top-Attraktion der Stadt.

Erbaut wurde die gigantische Anlage im 4. Jahrhundert als Altersruhesitz für den römischen Kaiser Diokletian. Angelegt ist sie im typischen Stil römischer Kastelle: rechteckig, von vier Mauern umgeben, mit je einem Tor.

Eine Stunde haben wir Zeit und gehen ein bisschen spazieren. Die Zeit vergeht quälend langsam. Wir dürfen nicht ungerecht sein. Es ist eine schöne Stadt mit einer bezaubernd intakten Renaissancefassade. Ein gepflegter, eleganter, lebendiger Ort mit einer bewegten Geschichte. Schon seit 1979 steht sie auf der Liste des UNESCO-Weltkulturerbes. Es ist bloß nichts für uns. Ich bin froh, dass wir uns da einig sind. Wenn mich Robert hier durch jede Kirche oder jeden Palast schliff, mich nötigte einen oben offenen Sightseeingbus zu besteigen und ich die ganze Zeit Begeisterung heucheln müsste, ich ginge ein.

Dem Getümmel entkommen, fasse ich meine Erfahrungen zusammen.

„Hähni, eigentlich ist hier alles wie in Trogir gestern. Bloß viel größer, viel lauter, viel heißer, viel voller und das entscheidende Zünglein an der Waage: Winnetou war niemals in Split. Nichts wie weg hier.“

Auf der Fähre nach Supetar, einem Ort an der Nordseite der Insel Brač , stossen wir an. Heute ist der 27. Juni. Vor drei Monaten sind wir in Schwerin aufgebrochen. Halbzeit der Wanderung sozusagen. Irgendwie hatte ich mir diesen Moment spektakulärer vorgestellt.