80. Etappe

Von Gustirna nach Trogir

Na damit habe ich ja nun nicht gerechnet. Wo es uns heute wieder hin verschlagen hat. Eigentlich rechnen wir nie mit etwas, jedenfalls nicht in Bezug auf das Ziel unserer Etappe. In unserer Gleichung des Tages hantieren wir mit Entfernungen, mit Gehzeiten, mit Höhenmetern, mit dem Wetter. Auf das, was uns am Ende unseres Weges erwartet, sind wir in aller Regel unvorbereitet. Und somit täglich aufs Neue überrascht.

Schwer sind wir heute morgen in die Gänge gekommen. Das mittlerweile gewohnte Hitze-Mücken-Desaster. „Schlaflos in Kroatien“ taufe ich das nun nächtlich wiederkehrende Debakel. Vielleicht gewöhnen wir uns ja dran. Menschen, die hier dauerhaft leben, verbringen doch auch nicht den Sommer ohne Nachtschlaf. Obwohl! Die erste Motorsense zerjaulte bereits um 5:00 Uhr das zarte Morgengrauen.

Parameter 1 – das Wetter – Höchsttemperatur 32 Grad, 0 Prozent Regenwahrscheinlichkeit und kein Wind.

Parameter 2 – die Entfernung – 17 km liegen vor uns. Straßenbeschaffenheit – meistens weiße Straßen.

Parameter 3 – Höhenmeter – 150 hoch und etwas mehr runter – das ist gut.

Alles andere offen.

Und dann sind wir wieder unterwegs. Und es ist wieder leicht. Vergessen die unruhige Nacht, die mitunter quälenden Gedanken.

„Hähni“, spreche ich meinen wie immer schweigsamen Gefährten an. „Hähni, ich hadere wirklich oft. Warum tun wir das alles? Es ist dekadent und teuer. Wir lassen Leute im Stich. Ich bin zu ängstlich und und und.“ Aber die Lust und die Freude, die Touren zu planen und sie dann zu gehen, zu Fuß die Landschaft und die Leute zu erleben, die Umstände zu verstehen, das ist mir noch nie, noch nie über geworden.

Das Bergdörfchen löst sich auf in Gemüsegärten, geht über in Olivenhaine. Das Sträßchen wird schmal und kurvig und schlängelt sich am Ende in Serpentinen einen felsigen Hang hinunter, endet am Meer. Ein Stück folgen wir der Küstenlinie durch schattigen Pinienwald. Das Meer ist hier und heute nicht blau. Tiefgrünes Wasser schlägt in kleinen Wellen auf weißen Kieselstrand. Paradiesisch. Glücklich und beseelt steuern wir eine kleine Strandbar an. Ich bestelle mir einen Cappuccino und Robert verlangt nach einem doppelten Espresso. Als die Rechnung kommt, fallen wir fast von unseren Stühlen. Elf Euro für die schwarze Brühe. Paradiesische Preise würde ich sagen. Am schlammigen Strand von Ljubač hat dieses völlig überschätzte Getränk nicht mal ein Drittel gekostet.

Robert ist außer sich, will sich beschweren. Bei wem denn? Bei der jungen, noch etwas schüchternen Kellnerin, beim Besitzer der Bude, welcher bestimmt gerade im örtlichen Plodine einen Großeinkauf macht, um dem in den Startlöchern sitzenden Touristenansturm gewappnet zu sein, oder gleich beim Stadtrat von Trogir? Alles Quatsch, vorher die Getränkekarte verlangen oder konkret nach den Preisen fragen! Nur so kann man sich diesen Ärger ersparen. Ich sehe das gelassen. Da fällt eben heute das Begrüßungsgetränk aus und die Kasse stimmt wieder.

Trogir, die Überraschung des Tages. Es ist nicht unser eigentliches Ziel, es liegt nur auf dem Weg. Flüchtig streifen wir durch eine mittelalterliche Stadt. „Hähni, wie schön es hier ist. Was für eine schöne Stadt“, sage ich staunend. „Sieh nur!“

Er antwortet ungewohnt schnoddrig: „Kennste eine, kennste alle!“ (Lüge!!!) und zieht mich weiter. Ich glaube, er hat Angst, ich möchte ihm ein neues T-Shirt verpassen. Was im übrigen längst überfällig ist. Das ist der Fluchtreflex.

Wenig später erreichen wir unseren Campingplatz am Meer. Installieren unser Zelt, peilen die Lage. Wo sind die Toiletten, die Dusche. Wo kann man baden? Gibt es WLAN und eine Sitzgelegenheit für Menschen, die ohne Klappstühle unterwegs sind. Menschen wie wir. Bald ist alles erledigt.

„Hähni, ich muss noch mal dahin zurück. Ich muss mir diese Stadt nochmal genauer ansehen.“

„Ich weiß, Huhni, aber ich komme nicht mit“, antwortet der Angesprochene und seine Stimme klingt traurig.

Ich kann doch nicht alleine gehen. Nie, nie bin ich alleine. Nicht erst seit drei Monaten auf Reisen. Auch in unserem Leben in Schwerin sind wir Tag und Nacht zusammen und selten mehr als drei Meter voneinander entfernt. Meistens weniger.

„Und jetzt soll ich ohne Dich nach Trogir gehen?“ frage ich seufzend.

„Ja, Huhni geh, wenn Du Freude daran hast. Ich komme auch irgendwie alleine zurecht“, antwortet Robert aufopferungsvoll mit einem leichten Schwanken in der Stimme.

Mit einem fröhlichen „Nun aber genug“ beende ich die Schmierenkomödie. „Ich schaue jetzt, wie weit das ist, und wenn es weniger als zwei Kilometer sind, dann gehe ich dahin.“

1,6 km informiert mich Komoot. Na dann los. Beutelchen gepackt und ab.

„Wirst Du auch wirklich ohne mich zurecht kommen?“ hauche ich zärtlich zum Abschied.

„Jaja, viel Spass wünsche ich Dir. Und komm nicht so spät heim. Wenn Du in zwei Stunden nicht zu Hause bist, dann mache ich mir Sorgen.“

Zwei Stunden, wenn der wüsste. Gegen Mitternacht komme ich heim. Untergehakt von mindestens drei gut aussehenden kroatischen Männern, die meine Söhne sein könnten. Und zwar angeschickert.

Wie eine Katze schleiche ich durch die kleinen Gassen der Stadt. Lasse mich treiben, schaue in die winzigen Geschäfte und den Leuten, die in den unzähligen Restaurants sitzen und speisen, auf den Teller.

Die gesamte Altstadt von Trogir zählt seit 1997 zum UNESCO-Welterbe. Der Ort gilt als herausragendes Beispiel für städtebauliche Kontinuität. Die romanische Stadt stellt den am besten erhaltenen romanisch-gotischen Komplex dar und zwar nicht nur an der Adria.

Ich laufe durch den historischen Stadtkern. Es gibt ein gut erhaltenes Schloss, einen Turm, etwa zehn Kirchen und eine Reihe von Wohnhäusern und Palästen aus den Perioden der Romanik, Gotik, Renaissance und des Barock.

Alles gut und schön, aber das Beste kommt noch. Winnetou war hier. Echt! Pierre Brice, meine Jugendliebe.

Trogir diente im Kinofilm Winnetou 3 als Drehort für die Stadt Santa Fe. Winnetou und Old Shatterhand ritten hier durch die alten Gassen. Das Rathaus bildete die Filmkulisse des Gouverneurspalastes. Andächtig und etwas ergriffen stehe ich vor dem Rathaus. Wenn ich das Adelheid aus Gmünd (siehe 43. Etappe) erzähle. Da wird sie bestimmt neidisch.

Am Ende habe ich mir einen sündhaft teuren Aperol-Spritz gegönnt. Die Legitimation für diese Verschwendung dauerte genau eine Minute. Den trinke ich auf Elke. Meine Schwägerin aus Leipzig. Sie hat heute Geburtstag.