Ich liege wach und starre in die Nacht. Ich hadere. Die Krisen scheinen periodisch abzulaufen. Ist schon wieder ein Monat um? Das Glück irgendwie auch. Schon seit mindestens zehn Kartenspielen verliere ich. Und wie der sich so hämisch freut, wenn er gewinnt. Unerträglich, diese unrasierte Visage. Vor zwei Wochen, so rund um den Eisprung, stand es 7:0 für mich. Ich habe mich nur verstohlen gefreut. Ich habe Taktgefühl.
Es ist heiß hier drin. Unerträglich heiß. Ein lahmer Ventilator dreht sich müde an der Decke und schaufelt heiße Luft von A nach B. Wozu? Kein linderndes, kühles Lüftchen der Nacht darf sich durch das offene Fenster vom nahen Meer hereinschleichen. Alles verriegelt und verrammelt. Es lauert ja das gefährlichste Tier der Welt da draußen. Nicht auf mich. Auf den schnarchenden, nackigen Menschen links neben mir. Eine Zumutung.
Hart gehe ich mit uns ins Gericht.
Wie moralisch überlegen wir auf die rollkofferzerrenden Wochenendtouristen der Marke „Walküre“ herabschauen. Wie wir milde und friedfertig dem in die Jahre gekommenen Wohnmobilisten Absolution erteilen, mitleidig die abenteuerhungrigen Fernwanderwegbegeher betrachten. Wir - die Reisenden. Was treiben wir hier eigentlich? Ist es ökologisch vertretbar, wenn jeden Tag (die wenigen Zeltübernachtungen mal ausgenommen) ein komplettes Bettwäscheset und zwei große Handtücher gewaschen werden, weil wir genau einmal darin geschlafen haben. Der Plastesack im Badmülleimer ausgetauscht wird, weil ich ein winziges Interdentalzahnbürstchen und die Haare aus meinem Kamm darin entsorgt habe? Dass wir jeden Tag zwei Portionstütchen Kaffee (3 in 1) aufreißen, um in den Tag zu kommen?
Und was der ganze Unfug eigentlich kostet. Während wir mit wild entschlossener Miene schwitzend an hart arbeitenden Menschen vorüberziehen, die ihre Gärten bewässern, Häuser bauen, Betonmischer fahren oder uns bedienen, geht im Schnitt jeden Tag ein grüner Schein über den Tisch.
Das ist kein Abenteuer – das ist dekadent!
Heute ist Ruhetag. Kann man vor der Hitze Ruhe haben? Ich sehe uns schon übermüdet und ausgedorrt wie eine Backpflaume über den Balkan wanken. Es ist noch nicht einmal Juli.
Aber natürlich haben wir einen Plan für heute, so wie wir immer einen Plan haben und Pläne finde ich „mächtig gewaltig“ und ungeheuer erfrischend.
Es gibt ein paar Dinge für den Verein und für den Laden zu erledigen, die wir nicht im Vorübergehen aus dem Ärmel schütteln können. Und ich möchte mich neu ausrüsten. Schon seit Tagen. Ich habe der „lieben, lieben Sonne“ den Kampf angesagt. Eher nicht den Kampf, ich bin Pazifist(IN - kicher) und meine Gegner(IN) unüberwindbar. Ich möchte mich schützen.
Gegen 10:00 Uhr, nach ausgiebiger, freudvoller Tourenplanung und nach dem Genuss von zwei 3-in-1-Kaffeebeuteln ziehen wir los. Folgende Ausrüstungsgegenstände möchte ich erwerben: einen breitkrempigen Strohhut, der mein Gesicht umschattet, mein Gehirn vor Hitzschlag schützt und wunderbar luftdurchlässig ist. Eine große dunkle Sonnenbrille. Nicht cool soll sie sein und die Fenster zu meiner Seele verbergen. Es kostet unglaublich viel Energie, den ganzen Tag die Augen zusammenzukneifen im gleißendem Licht. Die weißen Falten um mein ansonsten dunkelbraunes Gesicht erzählen von dieser Anstrengung. Und ich möchte mir ein Hemd aus hellem Leinen kaufen. Luftig soll es mich umwehen und meinen Oberkörper besser als jede Sonnencreme vor Hautkrebs schützen. Ich bin in Mission.
Und ich werde fündig. Für die hellblaue, kurze Hose aus Leinen, die ich noch nebenbei mit erwerbe, muss ich noch eine Legitimation finden. „Die alte war schon zehn Jahre alt und die Hosentaschen viel zu eng für unser Navigationsgerät“ oder „wir können das Geld ja nicht mit ins Grab nehmen“ oder, noch besser: „Man gönnt sich ja sonst Nichts.“
Auch Robert hat sich heute noch etwas gegönnt. Schon seit Wochen fallen uns immer wieder Blechkisten am Straßenrand auf. Darin brennt ein Feuer und ein kleines Schwein wird am Spieß gedreht. Ich kann das kaum mit ansehen. Ein Eisenstab steckt in ihm. Vorne durch die kleine Schnauze hinein und hinten durch den zarten Popo wieder hinaus. Die Äuglein trüb und gebrochen, die kleinen Öhrchen recken sich knusprig empor. Das war doch noch ein Kind. Ein Schweinekind. Ein Ferkel. Der entscheidende Unterschied liegt zwischen Kind und Ferkel. Mal sehen wie lange ich noch schreiben muss, bis der Korrekturleser zum Vegetarier wird.
Was den Thüringern der Bratwurststand am Straßenrand, scheint den Kroaten der Spanferkelblechkasten zu sein. Er steht da nicht isoliert und mit Verkaufspersonal versehen, sondern in aller Regel gehört er zur Fleischerei auf der anderen Straßenseite.
Seit Tagen tropft Robert der Zahn, wenn wir daran vorübergehen, heute nimmt er allen seinen Mut zusammen.
Wir betreten die Mesnica (Fleischerei) und was nun folgt ist filmreif. Der erwachsene Mensch an meiner Seite gibt Grunzgeräusche von sich und wedelt wild mit den Armen. Macht Drehbewegungen. Zeigt auf den Blechkasten auf der anderen Straßenseite. Zeigt immer wieder auf seinen Mund. „Schwein, dreht sich, da drüben, möchte essen“, soll es heißen. Der Fleischer guckt sich das Theater amüsiert an. Ihm sitzt der Schalk im Nacken. Er lässt den Gierigen zappeln. Irgendwann sagt er einfach: „Spanferkel, möchten sie haben? Ist gerade fertig.“
Einmalig, wunderbar, ich feiere ein kleines Fest. Als Gastarbeiter hat er gearbeitet in Deutschland. In den 80ern. War Koch in Dortmund. Ich frage ihn, woher das Schwein kommt.
„Aus unserem Dorf.“
Natürlich glaube ich ihm kein Wort. Und dann noch: Früher gab es die kleinen Schweine nur zu Ostern oder zu Weihnachten. Heute wollen die Leute es jeden Tag essen. Robert sucht sich einen großen Brocken heraus. 890 Gramm will er heute verspeißen. Kurz bevor sich die Ladentür mit einem Klingeln hinter uns schließt, drehe ich mich um und sage in das von Lachfalten durchzogene Gesicht des sympathischen Menschen: Na dann ist heute eben Weihnachten.