78. Etappe

Von Grebaštica nach Rogoznica

Wir haben aus unseren Fehlern gelernt und heute alles viel, viel besser gelöst. Wir haben das Höhenprofil genauer studiert. Der große Anstieg ist die morgendliche Anstrengung, der Frühsport sozusagen, und danach geht es im Wesentlichen bergab. Nicht mental, sondern höhenmäßig. Wir haben eine wenig befahrene, weiße Straße gewählt (hellgelb geht manchmal, orange ist lebensgefährlich), die auf den ersten Kilometern mit zehn Prozent Steigung in zwei großen Serpentinen den Berg hinaufführt. Durch einen schattigen Pinienwald. Die habe ich mir schon gestern Nachmittag beim Sonnenbaden durch halb geschlossene Lider betrachtet. Direkt auf der anderen Seite unserer kleinen Bucht zeichnet sie sich, wie eine feine Narbe im Wald, ab.

Das sollten wir wohl schaffen. Und kurz vor dem Schlafengehen fällt die Entscheidung, dass wir morgen so früh wie möglich aufbrechen. Am Besten gegen sechs.

Leicht fällt uns der Aufbruch. Wir haben uns den Aufbau des Überzeltes gespart. Mückenschutz brauchen wir, aber regnen wird es nicht und Sichtschutz ist unnötig. Wir haben ein stilles Plätzchen auf einem winzigen Zeltplatz gefunden. Früh wird es hell, die Vögel singen und tatsächlich schleichen wir uns kurz nach sechs vom noch tief schlafenden Camperparadies. In den großen und teuren, bestens ausgestatteten Häusern auf Rädern, röchelt und schnarcht es noch. Die hilfsbereiten, freundlichen und gutsituierten Herrschaften drehen sich gerade noch einmal auf die andere Seite.

Der Tag ist jung, ist frisch, die Sonne von einem zarten Wolkenschleier verhangen. Zügig erreichen wir unsere übliche Reisegeschwindigkeit von 4,5 Kilometern pro Stunde und genießen die Ausblicke auf unsere kleine Bucht. Wie schön es doch wieder da war. Wie gemütlich und heimelig. Und auf die faszinierende Inselwelt der Kornaten. Etwa 150 Inseln, Inselchen und Felsklippen liegen wie zufällig verstreut im azurblauen Meer. Sie bestehen aus wasserdurchlässigem und wasserlöslichem Kalkstein, der den Niederschlag gleich versickern lässt, so dass es keine Quellen oder Wasserläufe gibt. In der verkarsteten Ödlandschaft gibt es so gut wie keine Flora, nur karge, teilweise mit Gräsern bewachsene Geröllfelder. In einigen Senken auf den landwärtigen Seiten, geschützt durch steile seewärts gerichtete Felswände und Riffe, kann sich Erde ablagern. Dort wachsen kleinere Bäume und Sträucher und hier befinden sich in geschützten Buchten einige Ansiedlungen mit kultivierten Olivenbäumen, Feigenbäumen und Wein. Das benötigte Wasser wird mühsam in Zisternen gesammelt.

Der Archipel ist ein Paradies für Segler und Hobbybootfahrer. Vor einigen Tagen haben wir uns auf dem Zeltplatz von Betina mit einem älteren Herren von der Südlichen Weinstraße angefreundet. Seit zehn Jahren kommt er hierher. Immer für fünf Wochen im Frühjahr. Sein kleines Motorboot zerrt er auf einem Anhänger hier runter. Neben ihm auf dem Beifahrersitz seines Wohnmobils, seine kleine, pummelige Alte. Im Auto hat er einen doppelten Boden, verrät er uns verschwörerisch. Alles voll mit Bier und Wein. Zu Hause ist es billiger und besser. Klar, Weinstraße. Und wie er schwärmt. Jeden Tag besuchen sie ein anderes Inselchen. Auf dem einen gibt es eine Kneipe, auf der anderen gar nichts (da nehmen sie Picknick mit) und wenn sie baden wollen, dann hüpfen sie einfach vom Boot ins Wasser. „So viele Jahre komme ich nun hierher und noch immer habe ich nicht alle Inseln gesehen“, pfälzelt er breit und gemütlich. Ob er denn auch zu Hause mal mit dem Boot fahre, fragen wir ihn. Der Rhein ist ja sicher nicht weit.

Nein, eigentlich nicht. „Da fährste am ersten Tach in die eine Richtung und am zweiten in die annere und am dritten Tach fängste wieder von vorne an. Einfach langweilig.“

Naja, spannender ist das schon hier, denke ich, und betrachte andächtig das Inselreich zu meinen Füßen. Still liegt es da im frühen Morgendunst.

Gegen halb acht erreichen wir die erste Menschensammlung auf dem Hochplateau. Es gibt Kaffee, jubiliere ich und ein Hörnchen schiebe ich erfreut nach und keine Touristen. Es wird immer besser. Wenn überhaupt, dann kommen mal ein paar Radfahrer vorbeigezischt, die sich hier sportlich betätigen. Ob sie wohl manchmal anhalten? Die Bar ist bereits um diese Zeit gut gefüllt. Vor allem mit Kaffee trinkenden Männern um die 50 bis 60 Jahre. Was reden die wohl die ganze Zeit? Vielleicht von ihren „Heldentaten“ in den Kriegswirren vor 30 Jahren in dieser Region? Man erfährt nichts, absolut nichts über dieses grausame Kapitel des Balkans. Als hätte es nie statt gefunden. Gedenktafeln und Mahnmale enden mit dem Ende des 2. Weltkrieges.

Bereits halb elf (!) erreichen wir nach knapp 18 Kilometern unser heutiges Etappenziel und stehen prompt vor einem Konflikt. Wir lieben Rituale und auch auf Reisen strukturieren sie unseren Alltag. Da ist das tägliche Kartenspiel. Hierbei betreiben wir Studien zum Thema Glück. Da ist die geliebte „Zeit zur freien Verfügung“ am Nachmittag. Man könnte auch Mittagsschläfchen sagen. Die gemeinsame Tourenplanung im Anschluss und eben auch das Begrüßungsgetränk. Immer sofort nach unserer Ankunft lassen wir uns in der erstbesten Bar des Ortes nieder. Verschnaufen, kommen an. Hier lassen wir die Tour Revue passieren, klopfen uns auf die Schultern ob unserer Heldentaten, lecken unsere Wunden und sind der festen Überzeugung: „Das haben wir uns verdient!“ Wir informieren uns über den Ort, suchen die Adresse unserer Unterkunft heraus und checken die Lage. Die alles entscheidende Frage: Was kosten hier 0,5 Karlovačko (das örtliche Bier) und bijelo vino dva deci (0,2 l Weißwein). Wir variieren nie, nehmen immer das selbe. Was enormen Schwankungen unterliegt, ist der Preis. Die Gesamtsumme bewegt sich irgendwo zwischen 4,50 Euro, gestern in der Minibucht von Grebaštica, oder 8 Euro im trendigen Šibenik. Ist ja klar, was uns besser gefällt. Überall gleich sind die jungen Leute, die sich als Kellner in den Bars und Restaurants verdingen. Flink, blickig, fleißig und ehrlich freundlich. Sie haben meinen höchsten Respekt.

„Hähni, es ist halb elf. Die Leute trinken hier gerade den zweiten Kaffee, wir können doch jetzt keine alkoholischen Erfrischungsgetränke zu uns nehmen. Um diese Zeit!“ stammele ich hilflos.

„Ach was, schnickschnack“, unterbricht mich Robert forsch. „Unser Tagwerk ist vollbracht und Ritual ist Ritual. Weihnachten fällt ja auch nicht aus, wenn der Heilige Abend auf einen Montag fällt oder wenn mal kein Schnee liegt.“ In Sekundenschnelle hat er mich überzeugt. „Prost, auf uns, auf unsere Reise. Das haben wir uns nach so einer Tour redlich verdient.“