75. Etappe

Von Betina nach Vodice

Heute ist unser Thema der Asphalt. Bis auf wenige Ausnahmen laufen wir Straße. Nicht stark befahren, aber glühend heiß. Hier zeigt das Thermometer bestimmt noch mal ein paar Grad mehr als am Wasser oder im Wald. Dieses Phänomen müssen wir demnächst bei der Planung berücksichtigen. Ein Stück spazieren wir über eine stillgelegte Küstenstraße. Rostige, verbeulte Leitplanken erzählen Geschichten aus alter Zeit. Robert orakelt, ob dies wohl der alte Autoput sei?

Autoput – davon habe ich noch nie etwas gehört und staunend lausche ich seiner Geschichte.

Wenn in der BRD in den 70er oder 80er Jahren von Jugoslawien gesprochen wurde, fielen Stichwörter wie: „Tito“, „Adria“, „Cevapcici“ und mit einem gewissen Grauen in der Stimme auch „Autoput“. Diese, mit einem denkbar finsteren Ruf behaftete Straße ermöglichte es hunderttausenden von Gastarbeitern aus Deutschland, Österreich und anderen angrenzenden Staaten in den Sommermonaten mit Sack und Pack und der ganzen Familie zum Sommerbesuch in ihre Herkunftsländer zu fahren. Und im Gegenzug ebnete er vielen westeuropäischen Urlaubern den Weg per Auto an die jugoslawische Adria, nach Griechenland und in die Türkei.

Kurz nach dem zweiten Weltkrieg begann man mit dem Bau. Das Betonband sollte zum Symbol des Vielvölkerstaates und des jugoslawischen Fortschrittsglaubens werden.

Am 27.7.1950 wurde das erste Teilstück zwischen Belgrad und Zagreb eröffnet. Tito taufte die Straße auf den Namen Autoput Bratstvo i jedinstvo – Autobahn der Brüderlichkeit und Einheit. Mit den immer mehr werdenden Gastarbeitern in den 60er und frühen 70er Jahren war schnell die Kapazitätsgrenze erreicht.

So begann man mit dem Ausbau zu einer zweispurigen Autobahn. Am Ende war eine 1180km lange Straße mit verschiedenen Ausbau-Qualitäten (Landstraße, Schnellstraße, Autobahn mit zwei Spuren je Richtung etc.) entstanden, die das Land von Jesenice im Norden bis Gevgelija im Südosten durchquerte.

Ein paar besondere Merkmale des Autoputs waren das vom Überfahren der Betonplatten herrührende Papamm-Papamm-Geräusch, die schnurgerade Streckenführung und leider die sehr vielen Unfälle. Der Autoput galt jahrelang als die gefährlichste Straße der Welt. Hier starben in manchen Jahren mehr Menschen als auf allen deutschen Autobahnkilometern zusammen. Gründe hierfür waren neben den sehr langen zu überwindenden Entfernungen auch die teilweise monotone Streckenführung, das extreme Verkehrsaufkommen, die übermüdeten Fahrer mit ihrem teilweise äußerst riskanten Fahrstil und nicht zuletzt die Vielzahl an hoffnungslos überladenen Fahrzeugen. Es kam immer wieder zu Frontal-Zusammenstößen mit sechs, acht und mehr Toten. Auf dem österreichischen Teil dieser Gastarbeiter- und Touristenstrecke wurden Mitte der 70er Jahre neunsprachige (sogar Persisch war dabei) Flugblätter verteilt, die auf die Gefahren hinwiesen und einige elementare Verhaltensregeln mit auf den Weg gaben. Nicht unbedingt gefährlich, aber trotzdem lästig waren die oft sehr langen Staus an der österreichisch-jugoslawischen Grenze. Sommers erreichten sie nicht selten eine Länge von 40 und mehr Kilometern. Dies bedeutete bis zu 18 Stunden Wartezeit.

Die Zeit verging uns wie im Fluge über dieser Geschichte. Ich kann mich richtig hineindenken. Alte Opels oder der legendäre Ford-Transit mit Handschaltung. Dieser Packesel, der in Köln gebaut wurde und mit dem die türkischen Gastarbeiter den Kölner Sperrmüll reduzierten. Defekte Röhrenfernseher, Technikschrott im weitesten Sinne. Die Autos vollgestopft mit Kind und Kegel, Radios und Möbel-Unger Sonderangeboten. Alles Mitbringsel für die Lieben daheim. Und wie viele Griffe zur Fensterkurbel, die Klimaanlage noch Jahre entfernt. Hitze im Stau, die Nerven müssen blank gelegen haben.

Vodice, unser heutiges Etappenziel, ist einer der bekannteren und beliebteren Orte an der Adria. Die Stadt lebt vom Tourismus und keiner der 8000 Einwohner, der nicht wenigstens ein Zimmerchen vermietet. Staunend laufen wir die Strandpromenade entlang. Aber auch wir werden beäugt. Aus Liegestühlen und von Kneipentischen betrachtet man uns mehr oder weniger direkt.

„Hähni, wir laufen Spalier. Merkst Du das auch?“

Na wie wir auch rumlaufen. Staubige Schuhe, verschwitztes Nicki, der Badeanzug baumelt zum Trocknen draußen am Rucksack. Wie von einem anderen Planeten müssen wir wirken. Hier im Sonnenschirmbikinicocktailland. Eine Strandbar reiht sich an die andere. Dazwischen Imbissbuden, Liegestuhlverleihstellen. Verhungern oder verdursten wird hier sicher keiner. Hunderte Sommerhits, jede Bar hat hier ihre eigene Musik, verbinden sich mit dem Geschrei der plantschenden Kinder, dem Gebrüll der Wassermotorräder (Jetski) und dem Klappern von Gläsern zu einer einzigen Musik. Vodicer Sinfonie taufe ich dieses Meisterwerk.

Um noch eins klarzustellen. Den alten Autoput sind wir natürlich nicht gelaufen. Dafür die Jadranska Magistrale. In den 60er Jahren erbaut, führt sie kurvig und aussichtsreich von Rijeka bis nach Montenegro. Immer an der Küste entlang. Für Touris gemacht. Angeblich eine der schönsten Straßen Europas. So schön, wie Straßen eben sein können. Uns sind sie zu heiß und die kroatischen Autofahrer nicht gerade rücksichtsvoll. Was mögen sie denken? Warum rennen zwei bekloppte Rucksackträger auf der Bundesstraße lang? Sie können ja nicht wissen, dass wir das nicht aus Jux und Tollerei machen. Nein, es geht nicht anders, wir müssen ja nach Pyrgos.