74. Etappe

Von Biograd nach Betina

Gestern Abend in Biograd habe ich das Balkanrätsel noch gelöst.

Sarajevo ist tatsächlich die Hauptstadt von Bosnien. Wer hätte das gedacht.

Mazedonien – Skopje, Kosovo – Pristina, Montenegro - Podgorica, die Türkei - Istanbul (falsch, brüllt der Korrekturleser. Nicht Istanbul. Ankara).

Ja, ist ja gut besänftige ich den überkritischen Menschen an meiner Seite. Sei doch nicht so kleinlich. Istanbul, Ankara, wen juckt es. Naja jedenfalls gehört die Türkei nicht zur Gänze zum Balkan (Nicht zur Gänze? - höhnt der Korrekturleser. Nur der winzige Zipfel im Westen gehört dazu, kaum zwei Prozent des Riesenlandes!), ebenso wie Rumänien und Slowenien. Jetzt habe ich es jedenfalls begriffen und werde auf jedem langweiligen Kilometer über den Balkan alle Staaten aufzählen. Mit Hauptstadt. Merke! Türkei – Istanbul. Jetzt regt er sich schon wieder auf. Das war ein „Scherherz“.

Langweilige Kilometer hatten wir heute mehr als genug. Das Motto des Tages heißt: „staubige, heiße Schotterpiste“. Wie ein Lindwurm zieht sie sich schattenlos durch aufgegebene Olivengärten. Wir vertreiben uns die Zeit. Erst zähle ich alle 70 Stationen unserer bisherigen Reise auf. Heute mal rückwärts. Jeden Ort haben wir mit einem Schlagwort versehen. Das klingt ungefähr so. Burg – Brandloch in der Jacke. Feuer gelöscht. Großpötzschau – Rührei, Kartoffeln und Gurkensalat bei Almuth und Lörmi, Eberschwang – unvergessen, die Nummer mit dem Bierautomaten, Trenta – Zelt bekommen, herzlicher Empfang, wunderbares Frühstück, Tolmin – bunter Abend im Hostel Paradiso.

Auf die Art und Weise bekommen wir mittlerweile drei Kilometer rum. Nichts haben wir vergessen. Schwärmen im „weißt Du noch“ und „das war doch echt ne Nummer“. Hitze und Staub verlieren sich in den Erinnerungen.

Die nächsten Kilometer ist uns dann die Hitze zu Kopf gestiegen. Wortlos stapfen wir nebeneinander her. Die Luft flimmert, der Schweiß rinnt in kleinen Perlen unter unseren Nickis. Totale Stille, nur das Knirschen des Schotters unter unseren Füßen und das Knarzen von Roberts Rucksack: di daa daa krk, di daa daa krk, di daa daa krk.

„Hähni, was denkst Du denn gerade?“ frage ich teilnahmslos in die Ödniss. Ich erwarte das übliche „Nichts“, das nur männliche Lebewesen beherrschen. Die Antwort überrascht mich.

„Ich versuche gerade ein Lied zu komponieren aus den Geräuschen, die mein Rucksack von sich gibt.“

Blitzartig bin ich hellwach und erfrischt wie nach einem kühlen Bad.

„Hähni, das ist gut. Ich helfe Dir. Mach mal nichts anderes als: di daa daa krk, di daa daa krk, di daa daa krk. Fang leise an, als ob Du aus der Ferne kommst und werde immer lauter.“

Robert gibt sein Bestes. „Di daa daa krk, di daa daa krk, di daa daa krk.“ Dazu trommeln im Rhythmus unsere Füße auf den Schotter. Und dann fange ich an, darüber eine kleine Melodie zu summen. Etwas, was mir in den Sinn kommt. Etwas, was nach Fernweh klingt und Sehnsucht nach der Heimat. Gut! Der Anfang ist gemacht. Jetzt brauchen wir noch einen Text. Die nächsten Kilometer wächst der Poet an meiner Seite über sich hinaus. Er dichtet über seinen treuen Campingbeutel, der immer nur nach hinten schaut und ihn warnt, wenn Hunde ihn beißen wollen. Im Gegensatz dazu erzählt er seinem Gefährten, wenn vor ihm wichtige Dinge passieren. Und manchmal geht er einfach rückwärts. Perspektivwechsel eben. Der Campingbeutel mag die Ferne und die Sterne. Was sich reimt ist gut. Heute Abend beim Weißwein nehmen wir Stift und Zettel und schreiben alles auf. Das wird ein Welthit. (Das wird der Campingbeutel-Blues, yeah yeah, der kroatische Campingbeutel-Blues.)

Heute waren wir drei mal baden. Gestern im Konzum am Stadtrand von Biograd haben wir Badeschuhe erworben. In blau und orange. Jetzt, wo zehn Euro pro Paar investiert sind, müssen sie angebadet werden. Heute war das nicht schwer. Heiß war es und das Meer besonders blau. Und Robert konnte mit einem doppelten Rittberger kombiniert mit dem spektakulären Dreifachlutz spritzerlos eintauchen. Wie stolz ich auf ihn bin!