Von der Insel Pašman nach Biograd
Wir haben das Zelt richtig herum aufgebaut! Als wir gestern Abend hineinkrochen und den Wecker auf 6:30 Uhr stellten, informierte uns die zuständige App auf unserem Smartphone, dass wir jetzt noch 8 Stunden und 14 Minuten Schlafenszeit vor uns hätten.
Wie kann das sein? Wir stehen kurz vor der Sommersonnenwende, es ist gerade mal zehn. Alles gesagt, alles erledigt. Im Norden Europas, nein im Norden der Welt, finden die Menschen keine Ruhe, niemals wird es wirklich dunkel. Man lädt Batterien auf für die monatelange Dunkelheit.
In Oslo geht die Sonne heute um 22:43 unter. Was nicht bedeutet, dass es dann sofort dunkel ist. In Schwerin versinkt die Sonne heute um 21:47 Uhr im Pfaffenteich. Und bei uns ditscht sie, vor unseren Augen um 20:38 Uhr ins Meer. Wir nähern uns dem Äquator.
Um zehn ist es komplett dunkel. Wir können einfach mal schlafen gehen.
Unser kleines grünes Haus steht wieder unter einem alten Olivenbaum, wieder direkt am Meer. Noch besser… quasi alleine.
Auf Pašman macht kein Schwein Urlaub. Außer uns sind hier zwei dauercampende Familien. Die einen aus Tschechien. Sie bestechen durch zahnlose Münder und Beinprothesen. Die anderen aus der Slowakei. Die haben wir nie gesehen.
Keine Kneipe, kein WLAN, keine gut situierten Wohnmobilabenteurer.
6:30 Uhr - der Wecker klingelt. 6:45 - das Zelt, das Bettzeug, die gesamte kleine Heimstatt ist verstaut. 7:00 Uhr - die Zähne sind geputzt, die Wanderschuhe an den Füßen, der Rucksack auf dem Rücken, es kann los gehen. Nicht schlecht. Oder?
Einen Kilometer gehen wir direkt am stillen Meer entlang, Fischerboote tuckern dem Hafen entgegen, das Meer glatt wie ein Spiegel, die Hitze des Tages sitzt in den Startlöchern. Und dann trinken wir erst einmal einen Kaffee. In der einzigen Bar des Ortes, die bereits seit zwanzig Minuten geöffnet hat. Wir kaufen uns ein Hörnchen. Im einzigen Lädchen, welches bereits um 6:40 Uhr das schmiedeeiserne Türchen beiseite schob. Was ist hier los? Leute, heute ist Sonntag. Und wir sind nicht die Einzigen hier. Vorwiegend ältere, Kroatisch sprechende Menschen spazieren herein. Die Dame bestellt sich einen Kaffee, der Herr ebenso und dazu ein alkoholisches Getränk. Fingerbreit und hellbraun dümpelt es im Glas. Irgendetwas hochprozentiges. Wie der Zaubertrank wohl heißt? Ein paar Schwimmer tummeln sich im hüfthohen Wasser. Sommerfrische auf Pašman. Warum bleiben wir nicht einfach hier?
Weil wir auf Reisen sind. Schwer wiegt die Erkenntnis, aber wir müssen weiter. Ich könnte hier ewig sitzen.
Irgendwann zwischen Barotul und Tkron stellt Robert „Mister Allwissend“ die entscheidende Frage des Tages. Ich habe es bereits geahnt. Gestern, als ich meinen Tagesbericht in den Laptop tippte, hat er schon fieberhaft mit seinen Pranken auf dem Händie herum getatscht. Trotzdem erwischt er mich nun kalt.
„Huhni!“ so beginnt er seine Rede und seine Stimme trieft vor Selbstgefälligkeit: „Huhni, zähle mir mal bitte alle Balkanstaaten auf.“
Ich schlucke. Das Bitte hätte er sich auch sparen können. Und dann trumpft er auf: „Und ordne die Hauptstädte zu.“
Ich kann nur verlieren. Das weiß er. Und wie er so neben mir herläuft. Herrschaftswissen und nicht teilen wollen. Das sind mir ja die Liebsten.
„Zwölf Staaten musst Du finden“, fährt er fort, „und nicht alle liegen in Gänze auf dieser geographisch nicht eindeutig definierten Halbinsel im Südosten Europas.“
Na danke auch. Sind wir hier bei Wer wird Millionär?
Die Meteorologin, die Navigatorin, die ewig über alles Bescheidwissende darf sich nun keine Blöße geben.
Forsch starte ich in das Quiz.
Rumänien – Bukarest. Bulgarien – Sofia. Jugoslawien – Belgrad. Mist, schon der erste Patzer. Geographie 7. Klasse. Die sozialistischen Bruderländer. „Hähni, können wir Jugoslawien nicht gelten lassen? Das würde das Rätsel vereinfachen?“ Robert bleibt hart. Wir leben 2023 und nicht 1986. OK. Weiter. Albanien – Tirana. Griechenland – Athen. Kroatien – Zagreb (das kann ich mir schon schlecht merken). Slowenien – Ljubljana (das kann ich mir gut merken, da war ich schon und es hat mir ausnehmend gut gefallen).
Serbien – Belgrad. Bosnien????? - vielleicht Sarajevo? Das kann aber nicht sein. Da waren 1984 die olympischen Winterspiele. Das ist bestimmt ein Bergdörfchen. Nicht größer als Oberwiesenthal. Kosovo?? Montenegro??? irgendetwas mit … zedonien hinten… ich werde immer kleinlauter.
„Soll ich das Rätsel lösen?“ fällt mir mein Gegner voreilig ins Wort.
„Neee lass mal“, antworte ich kühl. Das bekomme ich schon selber heraus. Entweder ich lese das heute Abend nach oder einer der lieben Mitleser ist mein „Joker“ und gibt mir einen Tipp.
Bereits Mittags sitzen wir auf der Fähre nach Biograd. Ich mag die Schiffe, wie sie mit unermüdlich schwerfällig tuckernden Dieselmotoren Touristen und manchmal auch Einheimische über die Adria transportieren. Der Himmel blau, die Stimmung gut. Jadrolinija steht auf unserem Kutter. Klingt nach öffentlichem Verkehrsmittel. Zwei Autos, sechs Menschen und ein gutmütiger Hund an Bord.
Heute Abend lese ich folgende Meldung in den Nachrichten:
„Bei einem schweren Bootsunglück im Mittelmeer sind vermutlich Hunderte Menschen ums Leben gekommen, als ein heillos überfülltes Fischerboot am Mittwochmorgen vor der südwestlichen Küste Griechenlands kenterte und unterging. Mehr als 700 Menschen aus Syrien, Pakistan, Afghanistan und Ägypten befanden sich an Bord des Kutters. Darunter viele Kinder.“