70. Etappe

Von Rtina nach Ljubač

 

„Verdammte Axt, jetzt haben wir ein echtes Problem“, stelle ich fest, nachdem ich mich in meinem Schlafsack verkrochen habe. Dabei fing alles so vielversprechend an. Den formvollendet, romantischen Abend am Meer haben wir genossen. Wir sind Essen gegangen, ich im Kleidchen, Robert im frischen T-Shirt, seinen Pullover lässig über die Schulter gelegt, sogar die Tür hat er mir aufgehalten. Dann Sonnenuntergang am Meer. Auf einer Bank haben wir gesessen, wohltemperierten Weißwein aus stilvollen Gläsern getrunken und Robert ist vor mir auf die Knie gegangen und hat mir einen Heiratsantrag gemacht. Stopp! Jetzt habe ich es übertrieben. Wir sind ja schon verheiratet. Der Weißwein war lauwarm und wir schlürften ihn aus unseren Plastikbechern. Und natürlich hatte Robert im Restaurant kein frisches T-Shirt an, sondern das, was er nun schon seit Tagen auf dem Leib trägt. Darauf die Landesgrenzen von Kroatien, gezeichnet mit den feinen weißen Linien der Salzablagerungen die sich bilden, wenn man ordentlich schwitzt.

Aber sei es drum. Das Essen war hervorragend, der Sonnenuntergang auch und die kleine wackelige Bank am Strand unser Thron.

Nun sind wir umständlich in unser Zelt gekrochen und stellen fest: Wir haben gepatzt! Blind vor Euphorie über den schattigen Platz unter alten Olivenbäumen, benebelt vom Sarkasmus beim Spotten über einen Wohnmobilbesitzer, der sein Auto per Fernbedienung akkurat auf Waage stellte, haben wir unser Zelt so aufgebaut, dass wir nun mit dem Kopf nach unten liegen. Nicht nur ein bisschen, sondern unangenehm spürbar. „Robert, und ich sach noch, nimm ne Wasserwaage mit – aber nein“, kommentiere ich kontraproduktiv unsere Misere. Jetzt um 23 Uhr noch mal umbauen? Nee, das kommt nicht in die Tüte.

„Lass uns versuchen andersherum zu schlafen“, schlage ich vor. Das große Wendemanöver beginnt. Gewühle, Geraschel. Wir stoßen uns gegenseitig Ellenbogen ins Gesicht und Knie in Weichteile, die Zeltwände beulen aus, wir fluchen leise. Am Ende ist die Situation nicht besser, nur anders blöd. Das Zelt läuft nach hinten spitz zu und wird deutlich flacher. Da liegen wir nun und starren uns mit großen Augen in der Dunkelheit an. Nasenspitze an Nasenspitze. Atmen uns gegenseitig verbrauchten Atem ins Gesicht, das Zeltdach wenige Zentimeter über uns. Uuuhhh eng. Nehmen wir den ersten Scheiß oder den zweiten Mist? Wir belassen es dabei. Genug Weißwein getrunken haben wir ja.

Irgendwie ging die Nacht dann vorüber. Es gibt wirklich Schlimmeres. Mir kommt das Ekelzimmer in den Sinn. Damals in Triest beim selbsterfundenen Witwer.

Heute morgen bin ich dann gleich Schwimmen gegangen, das Meer liegt ja vor unserer Zelttür.

Die heutige Tagesaufgabe ist ein Witz. Sieben Kilometer, ein Hupf über den Berg und schwupps in die nächste Bucht. 7000 Meter, knapp zwei Stunden Fußmarsch und wieder ist die Welt eine andere. Ljubač hat einen Strand. Einen der garantiert nicht im Ranking der „20 Traumstrände Kroatiens“ von führenden Anbietern der Reisebranche empfohlen wird. Auch bei 50 wäre er nicht dabei und auch nicht bei 100. Schlammig ist das Meer hier, lauwarm und flach wie der Balaton. Ich versuche zu schwimmen, wate angeekelt über unsichtbar Glitschiges, das Wasser wird einfach nicht tiefer. Noch weiter draußen, noch viel weiter plantscht ein alter Mann mit seiner Enkelin. Das Mädchen schwimmt, dem Opa geht das Wasser bis zum Knie. Die Hoffnung schwindet. Ich lasse mich hineinplumpsen, versuche einen Schwimmstoß, stoße mir das Knie auf dem Grund. Aussichtslos. Versuch gescheitert. Wir sind trotzdem gerne hier. Erklären diesen Ort zum Insidertipp, etwas für Individualisten. Man muss das bloß richtig vermarkten. Nichtschwimmerfreundlicher, einsamer Badestrand, Ertrinken unmöglich oder so. Das Wort exklusiv muss darin vorkommen. Für uns ist es heute genau das Richtige. Wir sind wieder mal im richtigen Moment am richtigen Ort.

Es gibt hier alles, was wir brauchen. Eine schöne, bezahlbare Ferienwohnung mit allem Schnickschnack und einen kleinen Market, vollgestopft bis an die Decke mit Produkten. So winzig, dass die Rucksäcke nicht mit reinpassen. Man würde die Regale leerfegen beim Umdrehen. Und wir haben unsere Ruhe. Zwei Tage. Wir verschnaufen.