67. Etappe

Von Lun nach Novalja

Gestern Abend habe ich meinen Liebsten über den Löffel balbiert. Es war wirklich höchste Eisenbahn. Seit zweieinhalb Monaten rasiert sich Robert nicht mehr. Lässt wachsen. In den ersten drei Wochen wirkte das noch lässig.

Der typische Drei-Tage-Bart eben. Der Bart der Abenteurer und Spielernaturen. Verwegen, mit einem verruchten Touch spazierte Robert durch Tschechien.

In Österreich entwickelte sich das Projekt zu einem echten Vollbart, dem König der Bärte. Der Weg vom glattrasierten Langweiler hin zum barttragenden Frauenschwarm ist kurz, aber dennoch beschwerlich. Im konkreten Fall bedeutete es etwa 800 Kilometer zu Fuß.

Großartige Männer haben sich einen Vollbart wachsen lassen. Karl Marx, Jesus Christus, Charles Darwin, Ernest Hemingway und sogar Brad Pitt hat es versucht. In den Glanzzeiten der k. u. k. Monarchie war diese Form des Gesichtsbewuchses hoch angesehen. Er stand für geistige Reife und Würde.

Aber Österreich ging vorüber und auch ein Vollbart will gepflegt sein. Und er wucherte wild weiter durch Slowenien, durch Istrien und wurde länger und länger. Der Mund nur noch ein haariges Loch, ein Sieb für Speisereste aller Art. Fischgräten und die berühmte Loriot-Nudel – Ihr wisst schon.

„Hähni, ich will Dir nicht zu nahe treten“, beginne ich zaghaft meine Rede, „aber Dein Bart. Wir müssen etwas unternehmen. Das sieht nicht mehr gut aus. Du kommst nicht mehr verwegen und auch nicht mehr seriös daher. Du läufst herum wie ein zauseliger, kauziger Holzfäller.“

Wir haben eine Packung Einwegrasierer in der Drogerie erworben und in der Ferienwohnung eine Schere gefunden. Im Verbandskasten. Wir sind dem Gestrüpp zu Leibe gerückt. Während Robert geduldig und etwas angespannt auf dem Klodeckel im kleinen Bad sitzt, arbeite ich mich eifrig mit einfacher Klinge, Seife und viel heißem Wasser durch das Berg und Tal seines Gesichtes, samt spitzer Erhebung des Kehlkopfes. Oh Mann, hoffentlich schneide ich ihn nicht. Ich habe das doch noch nie gemacht.

Während ich den kleinen Plastikrasierer im Waschbecken zum hundertsten Mal von Unmassen grauer Barthaare befreie, fragt der Mensch in meinem Rücken: „Huhni, weißt Du eigentlich woher der Ausdruck Über den Löffel balbieren kommt?“

„Nein Hähni, keine Ahnung“, murmele ich halbkonzentriert. Das Wasser rauscht und ich bin absorbiert von meiner Tätigkeit.

„Über den Löffel balbiert wurden früher die alten, zahnlosen Männer bei der Rasur“, fährt er unbeirrt fort, „die eingefallenen Gruben, die einst die Wangen waren, da kommt kein Barbier mit dem Rasiermesser mehr hin.“

Ich werde hellhörig, das ist ja interessant. „Deswegen hat man den Greisen einen Löffel in den Mund geschoben und so wieder rasierbare Flächen geschaffen.“

Das ist ja genial. Das muss ich probieren. Ich lasse alles stehen und liegen und eile in die Küche. Ich überlege kurz. Ein großer oder ein kleiner Löffel? Ich entscheide schnell. Ein Teelöffel muss genügen. Robert bekommt zwar nun seit einem Monat Rente, aber so alt ist er ja nun auch nicht. (Wenn soviel von einem Bart die Rede ist - bemerkt der Korrekturleser -, kann nur vom „Barte des Propheten“ die Rede sein. Also von meinem Bart, also von mir, also von mir als Prophet!! Aber was soll ich denn nun prophezeien, verdammte Axt??!!)

Unser Weg heute war unbeschreiblich einfach. Unbeschreiblich einfach nur geradeaus. 20 Kilometer auf einer alternativlosen Straße. Immer nach Süden. Kein einziges Mal müssen wir das Navi nach dem Weg befragen. Ich komme mir vor wie in Amerika. Auf der Route 66 über die Rückseite des Mondes. Auf Pag wächst nichts mehr. Steine, Steine und stacheliges hüfthohes Gestrüpp.

Der Weltuntergang hat hier schon vor langer Zeit stattgefunden, die Abholzung der gesamten Vegetation für die römischen Galeeren hat dafür gesorgt, dass der Großteil der Insel seit 2000 Jahren wie eine Marslandschaft aussieht.

Pag ist nie ein Thema in der Weltgeschichte gewesen. Und in der Geografie nur ein unscheinbarer Steinhaufen.

Aber! Es gibt eine Pager Delikatesse. Paški sir heißt der Schafskäse. Und er verdankt seinen Geschmack der Kargheit der Gegend. Außer im kurzen Frühjahr gibt es kaum grünes Gras, die Tiere ernähren sich hauptsächlich von Strohblumen und Disteln, von Salbei und Thymian, was den Käse so besonders würzig macht. Er wird hier überall am Wegesrand angeboten. Selbstgemacht. Eingeschweißt in Kiloblöcke. Ich würde ihn so gerne probieren, aber ich kann doch nicht noch ein Kilo mehr durch diese schattenlose, heiße Landschaft schleppen.