66. Etappe

Von Rab nach Lun

Vier Kilometer sind wir heute gelaufen, 4,5 nautische Meilen haben wir über die Adria zurückgelegt und alles in allem etwa 4 Stunden gewartet. Auf die Abfahrt unseres Schiffes, auf die Kellnerin im Restaurant, an der Kasse bei dm, auf unser Quartier.

Endlich ist der Moment gekommen Die Ode an die Wartezeit zu verfassen.

Gemeinhin gilt das Warten als lästig und gekonnt vermeiden wir, diese uns sinnlos erscheinenden Minuten oder Stunden.

Wir gehen möglichst Nicht einkaufen zu den Stoßzeiten. Was gibt es deprimierenderes als hinter zehn überfüllten Einkaufswagen und den dazugehörigen Konsumenten in einer Schlange zu stehen. Mit Nichts als einer Tiefkühlpizza und einer Flasche Rotwein unterm Arm. Ertönt das Signal „In Kürze öffnet Kasse 2 für Sie“ stürzen wir los, wild entschlossen, diesem nicht hinnehmbaren Zustand ein Ende zu bereiten. Wir wollen die ersten sein und vergessen dabei gerne mal unsere gute Kinderstube. Ellenbogengesellschaft sage ich da.

Warten auf den Bus oder den Zug müssen wir auch nicht. Wir wissen in aller Regel, wann es losgeht und gehen ein gutes Viertelstündchen früher zum Bahnhof. Da können wir uns noch ein Käffchen „To Go“ holen. Die Umsteigezeiten sind, auch auf Fernreisen mit mehreren Umstiegen, im 7 Minutenbereich. Das muss reichen. Klappt es nicht, was ja ziemlich häufig passiert, ist dann immer die unzuverlässige Deutsche Bahn Schuld. Es geht uns ja grundsätzlich besser, haben wir erst den Übeltäter identifiziert.

Und zu guter Letzt … wir würden doch nie in ein Café gehen, in welchem wir mehr als fünf Minuten warten müssten, bis uns die Bedienung überhaupt wahrnimmt und weitere fünf Minuten auf unseren „Latte Chai Macchiato dingsbums“ oder wie diese Lifestylegetränk heißt. Also hingehen würden wir schon, sicher aber nicht ein zweites Mal. Wir leben doch nicht mehr in der Ostzone, oder?

Zeit ist Geld. Wer sich den Scheiß wohl ausgedacht hat. Kann nur ein Kapitalist gewesen sein. Von der übelsten Sorte.

Müssen wir dann notgedrungener Weise doch einmal warten, weil der Supermarkt zu voll, der Anschlusszug verpasst oder die Bedienung eine Trockenbauerin im Nebenjob ist (siehe Bericht aus Thum vom Vorfrühling diesen Jahres), setzt sich das Räderwerk des Verdrängungsmechanismus in Gang. Wir grapschen sinnlos zum Smartphone, kaufen uns schrille Illustrierte alias „Du und Dein Garten“, „Brigitte“ oder die neueste Ausgabe von „Schöner Wohnen“. Gehen irgendwo etwas essen, ohne Hunger zu haben oder aus lauter Langeweile aufs Klo.

Alles mit dem miesen Gefühl im Bauch, gerade sinnlos Zeit zu verlieren.

Wie anders ist das auf Reisen. Hier in diesem Zustand außerhalb aller gesellschaftlichen Zwänge kann das Warten seine gesamte philosophisch, moralische Kraft entfalten. (Hört! Hört!, bemerkt der Korrekturleser). Als einen Zustand der tiefen inneren Ruhe, gepaart mit der Glückseligkeit welche Vorfreude in uns auslöst. Was juckt es uns, wenn wir eine halbe Stunde auf unseren Kaffee warten, wenn wir in einer Riesenschlange in der Drogerie stehen, wenn doch unser kleines Schiff erst in drei Stunden ausläuft. Die uralte Stadt Rab haben wir in einer halben Stunde besichtigt. Und dann sitzen wir am Hafen und warten. Wir warten. Warten einfach so. Wir spielen keine Karten, wir konsumieren keine Getränke, das Telefon ist stumm in der Hosentasche. Wir sitzen eine Stunde da (was ist schon eine Stunde?), beobachten das Geschehen und freuen uns auf die 4,5 nautischen Meilen mit dieser schwimmenden Nussschale, die da vor unserer Nase glucksend an der Mole dümpelt.

Mit der kleinen „Maslina“ sind wir nach Lun auf der Insel Pag geschippert. Maslina ist ein öffentliches Verkehrsmittel. Es kann zwölf Personen befördern und angeblich sieben Fahrräder. Kurz vor 12 Uhr erscheint der Kapitän. Die Passagiere gehen an Bord über eine wankende Reling. Und los geht es. Eine gute halbe Stunde sitzen wir uns im Beförderungsraum des Schiffes, also im Freien, gegenüber. In wortloser Zwangsgemeinschaft auf Oberkörperhöhe von der Wasserkante entfernt. Eine ältere Dame mit Rollkoffer, eine junge Frau mit Einkaufstüten, eine polnische Urlauberfamilie mit kleinen Kindern, ein drahtiger Fahrradreisender in Funktionskleidung. Der Himmel ist wolkenverhangen, das Festland, die Inseln, das Wasser, bleigrau. Eine wunderbare Stille herrscht. Alle hängen ihren Gedanken nach. Sogar die Kinder schauen versonnen, in die Armbeugen ihrer Eltern gekuschelt, auf das Wasser. Der kleine Schiffsmotor brummelt besänftigend. Das Meer scheint eine beruhigende Wirkung zu haben