65. Etappe

Von Lopar nach Rab

Ich sitze an einem kleinen Schreibtisch und schaue herab aufs Meer. So nah haben wir noch nie an der blauen Adria geschlafen. In der allerersten Reihe und das für 40 Euro die Nacht. Die verglaste Tür zum schmalen Balkon und die Fensterläden aus Holz habe ich weit geöffnet.

Ein paar Meter unter uns klappert Geschirr und Besteck, leises Gemurmel, Deutsch in südländischer Färbung, dringt an mein Ohr. Immer wieder flammt herzliches Lachen auf und erlischt wieder. Köstlicher, verführerischer Duft wabert herauf. Es riecht nach Gebratenem und Gesottenem. Kleine Mädchen spielen Hüpfkästchen auf dem unregelmäßig gepflasterten Weg zum Strand.

Volare, oh, oh, Cantare, oh, oh, Nel blu dipinto di blu, Felice di stare lassù, plärren inbrünstig die Gipsy Kings aus dem Lautsprecher. Nun schon zum dritten Mal in einer Stunde. Haben die nur eine CD? Oder ist es vielleicht eine Langspielplatte? Viele feiern da unten ihren Abschlussabend. Sitzen an weiß gedeckten Tischen unter alten Pinien bei „Elizabeta“ und lassen es sich so richtig gut gehen. Morgen sind die Ferien in Bayern zu Ende. Es ist Bettenwechsel. Der erste in dieser Saison. Die Blechlawine wird zurückrollen über die Tauernautobahn und die dazugehörigen Tunnel. Ich kann mich noch gut erinnern, wie wir auf dem Katschberg standen und zu unseren Füßen verschwanden die bunten Autos in den riesigen Röhren. Ameisengroß oder besser ameisenklein kamen sie uns vor.

Unser Weg hierher, quer über die Insel Rab, war einmalig schön. Wie erfüllend es doch ist, sich Europa zu erlaufen. Auf altem, steinigem Pfad steigen wir empor. Bis auf die Auskuppelhöhe eines Segelflugzeuges in Pinnow. Etwa 300 Meter also. Die verkarstete, baumlose Landschaft gibt dem Blick Freiheit. Über das Meer, die kleinen, kargen Inseln, die mächtigen und sagenumwobenen Berge des Velebit. Vorbei an untergegangenen Dörfern geht es hinab durch den dichten Wald Dundo, einen der letzten Eichenwäldern des Mittelmeerraumes.

Rab ist eine grüne Insel. Die Inseloberfläche ist zur Hälfte von Wäldern bedeckt. Somit gehört sie zu den waldreichsten Inseln Kroatiens. Die weißen Sandstrände locken vor allem Familien mit Kindern.

Wir könnten es dabei belassen. Sommer, Sonne, Samba. Können es aber nicht lassen. Wollen es genauer wissen. Bei Kampor, da sind wir heute vorbeigekommen, glückselig und von Sonne beschienen, wurde 1942 von den italienischen Faschisten ein Konzentrationslager errichtet. Die Sterberate dieser Hölle lag mit 19 % über der des deutschen KZ Dachau.

Mit dem Kriegseintritt des faschistischen Italiens 1940 war der erklärte Feind der slawische Partisan. Ab Ende 1941 begann die italienische Armee, die slawische Bevölkerung aus den ländlichen Partisanengebieten zu deportieren. Man holte die Bauern von den Feldern, nahm sie einfach mit. In den Städten wurden die Intellektuellen inhaftiert. Gleichzeitig führte die italienische Regierung unter Mussolini eine Bevölkerungspolitik durch, die man heute als ethnische Säuberung bezeichnen würde. Dadurch wurden allein aus der Provinz Ljubljana 30.000 Menschen (10 % der Bevölkerung) interniert. In verschiedenen Lagern. Eines der größten war das KZ von Kampor.

Die Italiener starteten Eroberungsfeldzüge und scheiterten grandios. In der Regel forderten sie dann deutsche Armeeverbände an. Nach dem Sturz Mussolinis kamen die Deutschen und irgendwann Tito mit seinen Partisanen, die das Land aus eigener Kraft befreiten.

„Hähni, meinst Du Tito war ein Guter?“ frage ich meinen geschichtsversessenen Ehemann.

„Gut und böse sind Kategorien, die in diesem Zusammenhang nicht gelten“, bemerkt er weise. Da hat er vielleicht recht. Sicher erkenne ich unser nächstes Projekt. Wir lenken den Fokus mal auf die Tito-Partisanen und auf „Titos Jugoslawien“. Wir haben ja noch ein paar hundert Kilometer vor uns.