64. Etappe

Von Malinska nach Lopar

Da habe ich gestern wohl ein bisschen zu früh geunkt. Von wegen 300 Kilometer Strandpromenade und nie sind wir allein. Den ganzen lieben, langen Tag ist uns heute kaum ein Mensch begegnet. Das ganze schöne Hinterland der Insel Krk, alles nur für uns.

Krk ist äußerst dicht besiedelt. 68 Ortschaften drängen sich auf 400 Quadratkilometern. Damit ist die Insel kroatische Rekordhalterin.

Wir laufen durch aufgegebene Kulturlandschaft. Mit Steinmäuerchen eingefasste, ehemalige Gärten reihen sich aneinander, werden ganz regelmäßig durchzogen von kleinen Wegen. Die Natur bricht sich Bahn, es wuchert, es wächst, es entsteht neuer Wald. Wildnis verschlingt Zivilisation. Eine untergegangene Welt. Zauberhaft dunkelgrün, steinern und märchenhaft.

Zum Ende des 19. Jahrhunderts lebten auf Krk 20.000 Menschen. Nie vorher und nie nachher waren es mehr. Man lebte gut vom Weinanbau und von den Oliven. Eine Zeit der glückseligen Weinkultur, nicht nur hier. In ganz Europa war es so.

In dieser Zeit wurde die amerikanische Rebe Vinis aestivalis besonders oft aus Übersee eingeführt. Die Dampfschifffahrt machte es möglich. Sie brachte auch die unscheinbare Reblaus als blinden Passagier in die europäischen Weinberge. Die Winzer standen ratlos vor sterbenden Rebstöcken. Hierzulande haben sie sich von diesem Schlag nie erholt und außerdem war die italienische Konkurrenz einfach zu groß. Die machten einfach die besseren Weine.

Heute ist der Haupterwerb der Tourismus, das Pferd auf das hier fast alle setzen. Landwirtschaft gibt es quasi nicht. Zehn Ziegen haben wir unterwegs getroffen, fünf Hühner, drei Kühe und ein paar Gemüsegärten. Auf 20 Kilometern.

Ich denke nach über den Artenschutz. In größeren Abständen, das letzte mal 2021, tappste ein Braunbär auf Brautschau die Berge von Gorski Kotar herunter, schwamm über den Kanal von Velebit (ich sehe ihn vor mir, wie er paddelt) und trieb sich auf unserer Insel herum. Eine Dorfbewohnerin hat ihn entdeckt, ihren Schwiegersohn angerufen und der kam gleich mit dem Gewehr. Peng! Tot!

Seit 2013 steht auch in Kroatien Meister Petz unter Naturschutz, offiziell geschützt bis an die Halskrause. Aber hier in Krk, da wird nicht lange gefackelt. Einen vom Bär belästigten Touristen will man sich hier nicht leisten. Vielleicht ist das sogar ein bisschen ehrlicher, als die wunderlichen Diskussionen zwischen am Schreibtisch sitzenden Naturschützern, Landwirten in merkwürdigen Zwangslagen und der Jägerlobby, welche im Moment in Deutschland geführt werden. Sei es Wolf, Bär oder Biber.

Als wir 14 Uhr den Hafen von Valbiska erreichen, grummelt es schon wieder bedrohlich in unserem Rücken. Gewitter Nummer 7000 ist hinter mir her.

„Hähni, Du tust mir leid“, eröffne ich die Gesprächsrunde in der Hafenbar. Es gilt, Zeit totzuschlagen. Bis zur Abfahrt der Fähre sind es fast zwei Stunden.

„Ich bin heute 20 Kilometer gelaufen und zweimal nur knapp dem Tod von der Schippe gesprungen. Das erste mal im finsteren Wald von Skrpčići. Bestimmt ist vor wenigen Tagen ein Bär vom Festland rüber geschwommen. Nicht irgendein Bär. Ein Problembär und zwar ein sehr hungriger. Hast Du gehört, wie es im Gebüsch geraschelt hat? Hast Du? Und jetzt eben, wie wir nur knapp dem Gewitter entronnen sind. Blitze haben um uns gezuckt, Sturm hat gewütet. Das war keine Wanderung, das war ein echtes Abenteuer. Und Du, Du armes, armes Hähni, bist einfach durch den Wald gelatscht und für Dich hat es in weiter, weiter Ferne nur ein bisschen gegrummelt. Wie langweilig.“ (Nur gut – schreibt der Korrektor – dass ich Martina NICHT auf das Hornvipern-Nest aufmerksam gemacht habe, in welches sie während ihrer Händy-Navigation beinah reingetrampelt wäre. Und vor allem der 25 Tonner, der sie mit seinem ausladenden Sattelaufleger um ein Haar erwischt hätte, als sie dem 30 Kilometer entfernten Donner mit leichtem Grusel lauschte.)