Kleine Robertsche Abschweifung 12
Wir pausieren. Wir sind an der Adria angekommen und wohnen in einem alten Dorf mit Kneipe, Konsum und Geldautomat. Also allem, was man so braucht. Bis zum kleinen Kiesstrand sind es 150 Meter. 150 Meter?? Höhenmeter, wohlgemerkt. Eine Asphaltpiste schlängelt sich hinab, steile Abkürzungen schneiden die Serpentinen. Wir sind mit Badesachen, etwas Wasser und einer Flasche lauwarmen Bieres ausgerüstet. Der Strand ist schön anzusehen, doch auf dem hühnereiförmigen Kies mag man nicht liegen. Es ist voll, die Menschen braten dicht an dicht und Schatten gibt es keinen. Martina hechtet ins Salzwasser – sie behauptet anschließend, es wäre ein Genuss gewesen. Nun kommt meine große Heldentat: Ich stolpere entschieden in Richtung Wasserkante, gehe bis zu den Knöcheln rein, benetze mein Gesicht und sogar die Arme – und drehe wieder ab, gehe zurück! Das Wasser ist viel zu kalt.
Ja, dazu braucht es wahrhaftigen Mut. Die spöttischen Blicke der Strandschönen musst du erst mal aushalten! Jeder Feigling wäre irgendwie ins Kalte reingegangen. Nicht so ich!
Im Dorf oben angelangt, trinken wir in der Taverne ein Bier und Weißwein, beziehen anschließend unsere FeWo mit Pool.
Solche faulen Tage verbringt man am besten dauerhaft mit 1,5 Promille im Kahn.
Was werde ich an diesem Pausentag noch machen? Ich könnte ein kroatisches Volkslied erlernen und griechische Vokabeln pauken oder meinen Körper durch eine Unzahl von Liegestützen stählen. Werde ich aber nicht tun! Statt dessen lasse ich mir in aller Ruhe den Bart wachsen. Und wenn ich bedenke, dass mein Herz ca. 60 Mal pro Minute geschlagen hat, dass meine Fingernägel 0,08 mm heute gewachsen sind, meine Haare ca. 0,1 mm und ich bis jetzt schon ca. 6000 Mal ein- und ausgeatmet habe, dann bin ich der Meinung, schon viel zu viel gemacht zu haben.
Ende der Abschweifung
Gestern sind wir zum zweiten Mal ans Meer gekommen. Dieses Mal habe ich die Gelegenheit genutzt und bin baden gegangen. Nein, baden ist nicht der richtige Ausdruck. Baden gehen ist etwas für Amstrandlieger. Wenn ihnen die Sonne zu heiß auf den Pelz brennt, gehen sie zur Abkühlung mal ein paar Schritte ins Wasser, tauchen kurz ab und kehren dann erfrischt zurück auf ihre Liege mit Sonnenschirm und Getränkehalter. Oder, wie ich es in Griechenland oft gesehen habe: Gruppen älterer Damen mit ausladenden Strohhüten und mit Körbchengröße Doppel D stehen stundenlang bis zum Bauchnabel im lauwarmen Mittelmeer und schwatzen.
Ich gehe nicht baden. Ich schwimme. Ausgiebig und ausdauernd und voll Freude. Immer wieder durchquere ich die kleine, steinige Bucht unterhalb von Brsečs. Darüber türmen sich die Felsen der Steilküste. Ein paar Kletterer versuchen sich daran. Ich schwimme hin und wieder zurück und wieder hin und wieder zurück. Ein paar Bahnen kraule ich auf dem Rücken. Die Ohren unter Wasser, das fröhliche Strandgelärm klingt gedämpft wie aus weiter, weiter Ferne, mein Blick geht in das Azurblau des wolkenlosen Himmels. Hin und wieder zurück. Das Wasser ist angenehm kühl. Was wir doch alles können. Schwimmen wie die Fische, fliegen wie die Vögel, Klettern wie die Affen. Klar, nicht annähernd so gut wie die Meister, die es uns gelehrt haben, denen wir es nachgeahmt haben. Aber es reicht mir so. Es macht mich glücklich.
So richtig am Strand rumliegen können wir nicht. Er ist steinig und heiß. Sonnenschirm und Strandmatte haben wir nicht. Eigentlich nur unser kleines Reisehandtuch. Wir bleiben noch eine Weile sitzen, warten bis der Badeanzug trocken ist, beobachten still die überschaubare kleine Szenerie. Die Bucht in ihrer Begrenztheit wirkt wie eine kleine Bühne. Wir sitzen etwas erhöht, haben einen guten Überblick.
Zu unserer Rechten räkeln sich blutjunge Mädchen mit superknappen Bikinis auf bunten Laken. Cremen sich gegenseitig mit getöntem Sonnenöl ein, bis sie appetitlich glänzen wie die Speckschwarten, spielen an ihren Händies, kichern. Direkt vor ihrer Nase springen halbstarke junge Männer mit viel Getöse von einer hohen Klippe ins Wasser. Imponiergehabe auf der einen, gespieltes Desinteresse auf der anderen Seite. Man muss nicht Ethnologe sein um zu erkennen: Das Balzverhalten der Menschen ähnelt sich. Gut, dass ich aus diesem Alter raus bin. Das war früher ganz schön anstrengend.
Direkt neben uns wird laut geredet in meiner Muttersprache. Ich verstehe jedes Wort. Eine spätgebärende, alleinerziehende Akademikerin versucht, ihren etwa 13 Jahre alten Sohn zu überreden, doch mal ins Wasser zu gehen. Der hat darauf überhaupt keine Lust. Ist schwer gelähmt von seiner Pubertät. Will nicht mal an den Strand. Es sind immerhin 150 Höhenmeter bis zum Parkplatz zu überwinden. Und das zweimal am Tag. Einmal vor dem Mittagessen und einmal danach. Sie versucht ihn zu locken mit Cola und Keksen. Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist. Er ist jetzt schon ganz schön moppelig.
Direkt vor uns in einer Strandmuschel versucht ein junges polnisches Ehepaar, ein etwa anderthalbjähriges Kind in den Schlaf zu zwingen. Es ist schließlich Mittagszeit und die Eltern wollen auch mal ihre Ruhe haben, vielleicht ein Bierchen zischen in der Strandbar. Der Kleine denkt gar nicht daran, ein Nickerchen zu halten. Immer wieder kommt der kleine Windelpopo heraus gekrabbelt und möchte dabei sein, hat Angst etwas zu verpassen. Verpasst hat er auf jeden Fall den Punkt zum Einschlafen. Er ist ganz schön quengelig.
Zeit aufzubrechen, es wird schon wieder heiß hier. Langsam, gemächlich, ohne Gepäck und ohne Navigation spazieren wir die steile, gewundene Straße empor. Heim nach Brseč. In diesem kleinen, unspektakulären Örtchen auf einem steilen Kliff über der Kvarner Bucht leben 125 Menschen dauerhaft. Ein kleiner Lebensmittelladen - Suzi´s Market - ist Dreh- und Angelpunkt des Dorfes. Davor sitzen zum Sonntag die Männer in Arbeitsschuhen und trinken Bier, Kinder spielen auf der Straße, Mountainbiker kommen mit hochroten Gesichtern den Učka runter geschossen und stärken sich mit kühlen Getränken, kroatische Hausfrauen eilen flink herbei in Schürze und Hausschuhen, um noch ein frisches Weißbrot für das Essen zu holen.
Es ist schön, stiller Beobachter zu sein. Beruhigend. Wir müssen heute nirgendwo hin. Kein Ziel erreichen, keine Hindernisse überwinden. Urlaub von der Reise.