Von Pazin nach Potpićan
Potpićan ist die Perle Istriens. Wortlos schmunzelnd sind wir uns einig. Wortlos deshalb, weil wir gar nicht sprechen können. Wir haben den Mund voll Cevapcici. Und wenn er gerade leer ist, schieben wir ein Pommes frites nach. Alles ditschen wir immer wieder in Ajvar. Eine Paste aus Paprika und Auberginen in den Geschmacksrichtungen mild bis scharf. Eine Spezialität der Balkanküche.
Wir sind die einzigen Gäste im Buffet Zagi. Eine Art Wellblechbude an einer stark befahrenen Straße. Spartanisch eingerichtet. Neonbeleuchtung. Im überdimensionierten Fernseher läuft eine Quizshow. Wir verstehen kein Wort, müssen wir auch nicht, es ist überall der gleiche Unsinn, der die Menschen betäubt. Fünf Sterne hat dieses Restaurant bei Google. Allerdings gibt es auch nur eine Bewertung und die ist vom Besitzer selbst.
Wir sind zufrieden. Es schmeckt uns. Es ist nicht nur das einzige Lokal hier, sondern auch das einzige Essen, welches hier serviert wird. Die beruhigende „Wahllosigkeit“ des Ostblocks. Wir müssen nicht andauernd Lebenszeit mit Entscheidungsfindungen vergeuden. Entweder wir nehmen es oder wir nehmen es nicht. Der ganze andere Wahnsinn, das ganze Potpourri der schier unendlichen Möglichkeiten, das macht einen ja nur kirre.
Werfen wir mal einen Blick auf die Bevölkerungsentwicklung dieses Ortes: Im Jahre
1869: 0 Einwohner, 1880: immer noch 0. 1890: die Situation hat sich nicht verbessert, 1910, 1921, 1931 - es bleibt dabei. Hier lebt kein Schwein. Da! 1948: 25 Einwohner. 1953: 42 Einwohner. Es tut sich etwas im Lande Titos. Und jetzt kommt´s. 1961: 441 Einwohner. Was ist geschehen? Man hat Kohle gefunden, hier im Osten von Istrien.
Der Ort wurde in den sechziger Jahren aus dem Boden gestampft. Auf einem waldigen Grundstück, jenseits des Gesetzes und den Einträgen im Grundbuch. Die istrischen Kohlebauern waren einst eines der mächtigsten Kollektive in Jugoslawien. Es entstanden Wohnblocks, eine Schule, ein Heim für alleinstehende Bergmänner und ein modernes Einkaufszentrum mit Motel.
Schon wenige Jahre später war es vorbei mit der Kohle, offensichtlich ein Schuss n den (Kohle-)Ofen - aber nicht mit dem Musterdörfchen. Andere Betriebe wurden angesiedelt. Heute prangt zwischen weit entfernten mittelalterlichen Kirchtürmen, Wein- und Olivenhainen und dem mächtigen Gebirgsrücken des Učka ein einsamer Schornstein samt Fabrik. Steinwolle wird hier hergestellt.
„Ich habe überhaupt keine Vorstellung, wie man Steinwolle produziert“, grunzt Robert mit vollen Backen.
„Ich schon“, sage ich, nachdem ich hinter gekaut habe, „irgendwie so wie Zuckerwatte – Stock an den rotierenden Stein, und fertig ist die Wolle.“
Auf unentdeckten Wegen sind wir heute hierher gekommen. Durch das stille Istrien. Waldwege, Wiesenwege, kleine Dörfer. Die meiste Zeit waren wir für uns. Die letzten zwei Kilometer habe ich im Schweinsgalopp genommen. Vorbei an einem verrosteten Förderturm der Kohlezeit, dem Schornstein des betagten Konzern „Stonewool“. Hinter uns rabenschwarzer Himmel und Donnergegrummel. Nix für mich. Derartige Naturspektakel beobachte ich lieber von der Terrasse meiner Ferienwohnung. Da muss ich nicht mitten hinein geraten. Irgendwie bin ich da ein Hasenfuß. Übrigens: Geregnet oder gewittert hat es hier am Ende nicht!