56. Etappe

Von Triest nach Isola

Ich erwache versöhnt. Und auch etwas verschämt. Ich habe Triest verurteilt, ohne die Stadt zu kennen. Habe sie mit allen anderen über einen Kamm geschert. Vorurteile nennt man das und die sind starr und lähmen.

Bis spät in die Nacht sind wir durch die Innenstadt gezogen. Elegant, freundlich und lebendig kommt sie daher.

Ein großartiger Rausch Gründerzeitarchitektur. Die Fassaden strahlen durchgängig in hellen und weißen Farben. Der Hauptplatz öffnet sich großzügig zum Meer. Menschen flanieren an einem Canale Grande, der Venedig fast Ehre machen könnte. Alte Wiener Kaffeehäuser, Restaurants, Bars, und überall sitzen die Menschen auf den Straßen und genießen das Leben. Einfach so.

Den Triestinern geht es gut. Die Stadt steht auf Platz 10 der sichersten Städte der Welt!

Der ganze Habitus als weltoffene Stadt geht zurück, wie könnte es anders sein, auf die Zeit der k. und k. Monarchie. Triest war die wichtigste Hafenstadt des Imperiums und das Ende der Seidenstraße. Die Stadt liegt an einem Schnittpunkt der lateinischen, slawischen, griechischen und jüdischen Kultur. Mitteleuropa trifft auf den mediterranen Raum. Viele Sprachen wurden hier gesprochen und verstanden, viele Kulturen lebten hier miteinander, ein kosmopolitisches Bevölkerungsgemenge. Nach dem ersten Weltkrieg gehörte die Stadt zu Italien. Nach dem zweiten beanspruchte sie Tito für sein Jugoslawien. Allerdings ohne Erfolg. Ab 1947 war Triest ein neutraler Staat unter Obhut der Vereinten Nationen, bevor es 1954 administrativ italienisch wurde. Die Einwohner sind bis heute nicht so ganz in Italien angekommen. Verstehen sich nicht als Italiener und es gibt politische Bestrebungen, Triest von einem Gouverneur der UNO verwalten zu lassen.

Wir sind gerne hier. Wann haben wir je so eine schöne Stadt gesehen? Freude für das Auge und Freude für den Gaumen und überhaupt, wir sind begeistert.

Gegen 22:30 Uhr verabschieden wir uns von Lars und steigen in den Vorstadtbus. Ich setze mich mit meinem hübschen Kleidchen auf einen bereits angewärmten Sitz. Im Bus eine lärmende Schar junger Menschen. Für uns geht der Abend zu Ende, für sie beginnt er erst. Der Sitz war nicht nur warm, sondern auch feucht. Vollgepinkelt, wahrscheinlich von einem armen Clochard, der eingeschlafen ein paar Extrarunden im Bus drehte.

Macht nichts, es war so ein schöner Abend in so einer wunderbaren Stadt.

Auch mit unserer Ekelpension mache ich am Frühstückstisch meinen Frieden. Irgendwie haben wir ja die Nacht überlebt. Die Eindrücke der Stadt, mein eigener Schlafsack und ein bisschen mehr Rotwein als gewöhnlich zeigten Wirkung.

Wir sitzen im Wohnzimmer unseres Vermieters vor Plastikpackungen mit Nahrung. Ein Hörnchen in Folie, ein Döschen Butter im Plastiknäpfchen und ein ähnliches mit Marmelade. Das Sterile ist uns diesmal ganz recht so. Ein offener Marmeladennapf, angebrochene Butter – bitte nicht! Einzig der Kaffee ist wunderbar. Der alte Mann mit grauem Bart tappt umher, bringt warme Milch, beantwortet Fragen, ist freundlich und bemüht. Ich denke mir eine tröstliche Geschichte aus. Bestimmt war das früher eine hübsche Pension. Einfache, aber saubere Zimmer, Frühstück mit Croissants vom Bäcker gegenüber und selbstgemachter Marmelade, ein kleiner, liebevoll gestalteter Innenhof. Dann ist Mario (der Name ist frei erfunden) die Frau gestorben und seitdem muss er sich um alles alleine kümmern. So recht geht ihm das nicht von der Hand, Maria (Name ist frei erfunden) fehlt an allen Ecken und Enden. Die Tatsache, dass ich nicht eine einzige Fotografie von Maria im Wohnzimmerregal steht, ignoriere ich geflissentlich. Wird schon seine Gründe haben. Ich will mich schließlich versöhnlich stimmen.

Heute gehen wir auf dem Parenzana-Radweg nach Isola. Der Weg - so lala. Schöne Abschnitte durch schattigen Wald. Grässliche entlang der Autobahn und am Ende noch sieben Kilometer autofrei direkt am blauen Meer entlang mit leichtem Rückenwind. Ich bin aufgeregt. Heute haben wir kein Quartier gebucht, wir wollen zum ersten Mal zelten. Wir steuern den ersten Zeltplatz an. Machen eine Ortsbegehung und beraten uns bei einem Glas Bier in der Kneipe des Campingplatzes.

„Robert, so geht das nicht. So kann ich das nicht“, spreche ich in die Stille zwischen uns.

„Es ist unsere erste Nacht im Zelt. Da muss alles stimmen. Da mache ich keine Abstriche. Ein schattiges, intimes Plätzchen mit Meerblick, ein gepflegter Sanitärtrakt mit warmer Dusche in der Nähe, falls man sich mal frisch machen möchte zwischendurch.“

Ich schaue ernst und theatralisch und kann mir dabei kaum das Lachen verkneifen.

„Ich kann mich nicht mit Dir auf steinigen Boden legen, auf einer Parzelle so groß wie ein Handtuch, zwischen abgestandene, bemooste Dauercamper. Wohnwagen ohne Räder mit fossilen Vorzelten an einer stark befahrenen Straße.“

Mein Begleiter bekommt einen starren Blick. Plan-Änderungen aller Art sind ihm ein Gräuel. Er ist jetzt 20 Kilometer gelaufen und nun angekommen. Das Navi hat ihm gesagt, wir sind am Ziel! Wir einigen uns schnell. Machen uns wieder auf den Weg zum nächsten Campingplatz. Noch fünf Kilometer zum Camp Belvedere. Das muss besser werden, das klingt schon besser. Ich bin optimistisch.