Von Monfalcone nach Triest
Größere Ansammlungen von Säugetieren finde ich unappetitlich. Das war schon immer so, wird aber mit den Jahren nicht besser und Corona hat mir da den Rest gegeben. Während ich fünf wollige Schafe, friedlich grasend auf einer Blumenwiese, als wohltuend behaglich empfinde, erzeugt in mir die Vorstellung von einer Riesenmastanlage mit 1000 und mehr Schweinen einen inneren Würgereiz.
Fünf Schafe auf der Wiese steht für mich für dörfliche Idylle. Schweinemastanlagen für Großstadt.
Auf engstem Raum leben die Menschen hier zusammen. In Etagen übereinander wie in Legebatterien. Natur wird eingezwängt in regelmäßige Vierecke. Man vergibt den Namen „Stadtpark“. Darin ein paar Bänke im Schatten, ein Kinderspielplatz, eine versiffte, öffentliche Toilette. Nicht selten auch Drogenumschlagplatz. Lärm, Gestank, Kriminalität, glänzende Einkaufsstraßen, erbärmliche Vororte, Kulturkonsum, Überlebenskampf, schillernder Reichtum, verzweifelte Armut. Warum tut sich Mensch das an?
Heute nähern wir uns Triest und die Tourenplanung wird zur Herausforderung. Können wir im Dunstkreis einer großen Hafenstadt noch Schönes finden? Können wir!
Wir beginnen in Duino mit dem Rilke-Weg, einem pittoresken Panoramaweg entlang der Steilküste. Der Dichter ist hier oft gewandelt auf der Suche nach Inspiration. Die Antiquare wissen nichts von Rilke, außer „Inselbuch Nr.1“. Eine peinliche Wahrheit.
Darauf folgt: Anderthalbkilometer Autobahnzubringer. Ohne Worte! Alsbald führt uns unser Navi in ein Gewerbegebiet (ich habe gewusst, das wird alles Mist), dann durch eine kleine Pforte im Zaun eines Logistikzentrums und dann ist auf einmal alles anders. Steil hinauf geht es durch krüppeligen Wald und wir sind mittendrin in einer Gratwanderung auf steilen Klippen. Tolle Ausblicke, anspruchsvoller Weg, immer mal wieder ausgesetzt (das kribbelt so schön im Bauch). Dieser geht nahtlos über in einen nadelbedeckten einfachen Weg durch schattige Pinienwälder und nach drei Stunden erreichen wir den Stadtstrand von Triest. Dieser ist im Wesentlichen eine gepflasterte Strandpromenade, auf der die Menschen ihre Handtücher ausbreiten. Sand gibt es keinen. Um ins Meer zu gelangen, muss man noch zwei Meter Geröll überwinden.
„Robert, hier liegen die Menschen auf dem Bürgersteig und sonnen sich. Das ist abgefahren.“
Kichernd steigen wir über ein eng umschlungenes, beinahe kopulierendes Teenagerpärchen.
Die letzten drei Kilometer sind Tortur. Wir nähern uns dem Bahnhof Triest über eine stark befahrene, glühend heiße Straße. Der Verkehr tobt wie ein wild gewordenes Tier. Stadtbusse, LKW, Autos, dazwischen zischen Mofas hin und her. Warum fahren die alle so schnell? Schon mal was von verkehrsberuhigter Zone gehört? Der Lärm geht mir auf die Nerven, man versteht sein eigenes Wort nicht mehr. Der Gestank geht mir auf die Nerven, alles geht mir auf die Nerven. Scheißstadt, was wollen wir hier?
Ab Bahnhof Triest nehmen wir den Stadtbus zu unserem Quartier. Natürlich haben wir das billigste genommen und das liegt in einem Vorort. Der Bus ist voll. Voll mit Menschen, was denn sonst, Schweine? Wir sitzen und stehen eng aneinander gedrängt. Es ist heiß. Sie atmen mir in den Nacken. Ich rieche Parfüm und Schweiß und einen latent süßlichen Uringeruch, das Deodorant der Vorstadtbusse. Ich sehe Geschichten in den Gesichtern. Mir ist das alles zu viel.
Das Quartier gibt mir den Rest. Schon beim Betreten stellen sich mir die Nackenhaare auf. Es riecht nach Schimmel. Ein winziges Zimmer. Im Bett noch die Haare der Vorgänger, auf dem Fußboden Staub und Flecken, von denen ich nicht wissen will, woher sie stammen. Das Bad ein muffiges Loch mit schimmeliger Dusche und speckigen Vorlegern aus dem letzten Jahrhundert. Nie wurden die gewaschen, nie.
Warum sind wir hierher gekommen? Warum nur? Die Antwort ist einfach und hat vier Buchstaben. LARS. Gestern Abend hat er uns angerufen.
Er bricht die Reise nun ab. Hat sich einen Flixbus gebucht von Triest nach Leipzig. Der ganze Alpe-Adria Trail – alles viel zu schwer für ihn und die ganze Orga. Quartiersuche und so. Außerdem alleine – das ist doch nichts, man möchte doch seine Erlebnisse teilen. Als Tiger gestartet, als Bettvorleger gelandet. Vier Wochen Auszeit hat er sich genommen. Hatte eine Doku gesehen mit Harald Krassnitzer vom Tatort und wollte diesen Weg gehen. Hat sich Antworten erhofft auf das „Wie weiter?“ Wollte mal „abschalten“. Nun, nach zehn Tagen fährt er heim. Am kommenden Mittwoch schließt er wieder sein Café Lang in Naumburg auf. Er kann ja nicht einfach zu Hause sitzen, das ist ja langweilig.
Sein Bus geht erst um 01:40 Uhr in der Nacht. Wenn wir sowieso gerade in der Nähe wären, dann könnten wir ja den Abend zusammen verbringen.
Klar können wir und deshalb sind wir hier - und dafür lohnt es sich.