54. Etappe

Von Nova Gorica nach Monfalcone

„Wer zuerst das Meer sieht, hat gewonnen“, postuliere ich die Tagesaufgabe beim Frühstück. Dieses ist heute im Preis inbegriffen. Für mich völlig ausreichend. Robert nölt. „Nicht besonders üppig“, konstatiert er. „Nur eine Sorte Wurst und gelber Käseaufschnitt. Außerdem hast Du uns ja einen tollen Platz ausgesucht. Ich gucke direkt auf die Klotür.“

Ich schlage zurück: „Was erwartest Du denn bei diesem Preis? Ein Buffet wie auf dem Kreuzfahrtschiff, eine Terrasse mit Bergblick? Und außerdem musst du ja nicht das Klo angucken, Du kannst auch mich anschauen. Du bist ein mauliger, alter Mann.“ Dabei schaue ich ihn so zärtlich an, dass sich seine schlechte Laune auflöst wie Morgennebel beim ersten Sonnenstrahl. „Ja, lass mich doch auch mal nölen“, sagt er verstohlen. Es spielt aber bereits keine Rolle mehr. Wir wollen los.

Innerstädtischer Verkehr ist bei unserer halbjährlichen Fußreise erlaubt. Darüber waren wir uns von Anfang an einig. Erst fahren wir zwei Stationen aus dem Gewerbegebiet zum zentralen Busbahnhof in Nova Gorica. Dann laufen wir zwei Kilometer über die italienische Grenze zum ehemals geteilten Platz vor dem Bahnhof der Wocheinerbahn. Heute heißt er Europaplatz und hat trotzdem zwei Namen: Zum „Trg Evrope“ weisen die Hinweisschilder auf slowenischer Seite. „Piazza Transalpina“ heißt er in Italien. Dort steigen wir in den Stadtbus in Richtung Süden und fahren, soweit er uns bringt. Die Richtung stimmt. Wir wollen ans Meer. Wir durchqueren mit dem Bus die Stadt, welche wir gestern durchlaufen haben. Da ist die Post, wo wir gestern ein Paket aufgegeben haben, da ist der Laden, in dem wir das Nicki gekauft haben, dort habe ich ein Eis geleckt und da drüben waren wir im Museum. Unterwegs zweimal an denselben Ort zu kommen, ist eine Seltenheit und verschafft heimelige Gefühle.

Gegen 9:00 spuckt uns der Bus aus. Wieder in einem Gewerbegebiet. Diesmal auf der italienischen Seite südlich der Stadt. Wir laufen los. Wir wollen nach Monfalcone ans Mittelmeer. Wir überqueren eine tosende Autobahn, das Gewerbegebiet geht nahtlos über in ein langgezogenes Straßendorf. Die Hauptstraße zweigt ab, wir gehen weiter geradeaus und zwei Brücken später verschluckt uns der Wald. Es ist kühl hier und der winzige Pfad aus roter Erde noch feucht. Hoch müssen wir wieder, aber das ist ja alles nur noch ein Klacks nach den Steigungen der letzten Wochen. Die Kuppe ist rasch erklommen, wir lassen den Wald hinter uns. Blicke öffnen sich. Die heutige Etappe ist wieder eine echte Wanderung. Unser Weg ist sicher ein alter Eselspfad. Weißgeröllig schlängelt er sich zwischen kleinen Steinmäuerchen dahin. Die Vegetation ist niedrig und dickblättrig. Der dominante Baum scheint die krüppelige, kleine Eiche zu sein. Keine höher als fünf Meter. Schade, dass wir auf dem botanischen Auge so blind sind. Eidechsen verlassen erschreckt ihren Sonnenbadeplatz und verschwinden raschelnd im Gestrüpp. Kleine fliederfarbene Schmetterlinge tanzen am Wegesrand. Der Himmel ist strahlend blau ohne ein einziges Wölkchen. Und es ist heiß. Die Periode „Schwitz“ hat begonnen.

„Irgendwie ist alles hier schon mittelmeerig“, sage ich zu Robert.

„Mittelmeerig gibt es nicht, das heißt mediterran“, verbessert er mich klugscheißerisch.

„Aber mittelmeerig klingt viel besser“, beharre ich. „diese weichen Mmmms und das lang gezogene Eeeeee unterbrochen vom scharfen Tt. Mmittelmmeeeeeerig.“

Mit gefällt es. Er bleibt bei seiner Meinung. Das heißt mediterran und Schluss. Ob ich je ein Mittelmeeriges Kochbuch gesehen hätte?? (Ich als Korrekturleser lasse alles so stehen. Der geneigte Leser wird selbst feststellen und erkennen, dass es manchmal nicht so einfach mit meiner Reisegefährtin ist und gelegentlich ein dickes Fell gut tut.)

Ein paar Kehren laufen wir noch auf dem legendären Alpe-Adria-Trail. Rein zufällig. Es ist die letzte Etappe vor dem Meer. Oder die erste in Richtung Großglockner. Hier gehen nun Träume in Erfüllung, beginnen gerade erst oder scheitern krachend. Für uns nur eine Etappe.

Wer hat nun zuerst das Meer gesehen? Ich war mir des Sieges gewiss, sonst hätte ich die Aufgabe ja gar nicht gestellt. (Genau so ist Martina, nölt wieder der Korrekturleser.) Zumal ich auf schmalen Pfaden grundsätzlich vorne laufe, wegen der besseren Sicht. Die Schmach war kaum auszudenken, als es hinter mir rief: „Meer in Sicht, Meer in Sicht!“

Wir hatten im Vorfeld den Preis nicht verhandelt, der im Falle eines Sieges dem Gewinner winkt und so lege ich geschwind fest: „Der Sieger spendiert dem Verlierer zum Trost eine Cola in Doberdò del Lago. Das ist der nächste größere Ort auf unserem Weg. Da gibt es bestimmt eine Bar.“ Und so war es auch.

 

Kleine Robertsche Abschweifung 10

Nun sind wir an der Adria, weg vom Touristentrubel entlang der brausenden Soča. Was gab es in diesem Alpental, diesem riesigen Spielplatz auf dem Schlachtfeld des 1. Weltkrieges, nicht alles an tollen Spaßangeboten. An jeder Ecke konnte man Fahrräder ausleihen, also „Biking“, „E-Biking“ und „Mountain-Biking“. Weiter ging es mit Rafting, also Schlauchbootfahren mit SALE 30%. Außerdem „Kayaking“ mit special-price für Frühbucher. „Canyoning... da lassen sich unbescholtene Bürger mit Helm im Gummianzug - einer Presswurst ähnlich - in wasserführende Schluchten schmeißen. Triefend kommen sie wieder heraus, klatschen sich gegenseitig ab und sind froh, diesen Irrsinn überlebt zu haben. „Caving“ gibt es auch noch. 30% SALE nur noch bis Ende Mai. Ich glaube, die bieten Höhlentouren an, vielleicht auch Grusellehrgänge in Weltkriegsstollen und Kavernen. Mit Knochen und Schädeln italienischer oder österreichischen Muschkoten. Wenn nicht, wäre das eine Marktlücke, in die man hineinstoßen könnte.

Natürlich gibt es auch Paragliding, also Drachenschirmfliegen im Tandemflug mit Profi. Nicht günstig, trotz SALE 10%. Zelten im Luxustippi mit Bad und Kühlschrank. Hab vergessen, wie dieses beknackte ...-ing heißt. Vielleicht „Tipping? Und auch das gute alte FKK-ing gibt es, auf einer hübschen Insel in der Soca.

Ich bin von den vielen -ings leicht genervt, aber spüre irgendwie, dass da noch was fehlt. Händchenhaltend schlendern wir runter zum Fluss. Da sehe ich es: Am Ufer das große Schild: „For Guests Hostel Paradiso 15 % SALE for Free-Fucking.“

„Huhni, nichts wie hin, da geht was ab! Ist doch unsere Herberge!“

Martina fragte nur, was ich denn neuerdings mit Angeln am Hut hätte. Irritiert schiebe ich die Brille auf die Nase und sehe nun deutlich: „For Guests Hostel Paradiso 15 % SALE for Free-Fishing.“ Mist, denke ich und fluche leise: „Fucking-Fishing.“

Ende der Abschweifung